|
Kaiserkrieger II - der Verrat
Mit dem zweiten Band seiner wahrscheinlich sechs Romane umfassenden Alternativweltserie geht der Saarbrücker Autor Dirk van den Boom im wahrsten Sinne des Wortes in die Vollen. Während der Auftakt „Die Ankunft“ noch als Standortbestimmung nicht nur für die in der Zeit verschlagene „Saarbrücken“ und ihre Besatzung angesehen werden musste, springt der Handlungsbogen über drei ausgesprochen relevante und einen eher im Hintergrund gehaltenen Spannungsbogen sofort an. Für Neueinsteiger in diese Alternativweltserie finden sich in den ersten Kapiteln einige Randinformationen und am Ende des Buches ein umfangreiches Personenverzeichnis, aber es empfiehlt sich aufgrund der teilweise ausgesprochen ambivalenten Protagonistenzeichnung, mit dem ersten Buch einzusteigen.
Der sicherlich wichtigste, aber auch am schwierigsten einzuschätzende Handlungsstrang beschreibt die Operation Kapitän Rheinbergs und seines Kompaniechefs Becker, die sich entschlossen haben, dem Jungkaiser Gratian gegen die Goten beizustehen. Während Rheinberg aus seinem Geschichtswissen weiß, das die Völkerwanderung letztendlich direkt oder indirekt für den Untergang des inzwischen bis ins Mark dekadenten römischen Reiches verantwortlich ist, sieht er in diesen im Vergleich zu den das Reich umgebenden Barbarenstämmen Hort der modernen Zivilisation die einzige Chance, die „Saarbrücken“ seetauglich zu halten und seinen Männern ein zumindest zumutbares zu Hause zu geben. Dazu müssen die zahlenmäßig erdrückend überlegenen Goten besiegt werden. Rheinberg hat sich schon im ersten Band als geschichtlich sehr gut gebildeter Gesprächspartner für die Senatoren der Hafenstadt Ravenna erwiesen, wo die „Saarbrücken“ mit einer Notbesatzung zurückgelassen wird. Jetzt demonstriert er historisch verbürgten Protagonisten wie Ambrosius, Theodosius und letzt endlich dem bislang mit der Situation überforderten Jungkaiser die Fähigkeiten seiner insgesamt einhundertsechzig Infanteriesoldaten und ihren modernen Waffen. Hier folgt allerdings mit einer originellen Grundprämisse Dirk van den Boom eher Eric Flint und seiner im dreißigjährigen Krieg mit einer zeitlich versetzten amerikanischen Siedlung spielenden Geschichte als Stirling, der die Insel Nantucket und alle Bewohner in die Vergangenheit versetzt hat. Während sich die Inselbewohner aufgrund ihrer exponierten, aber auch isolierten Lage erst einmal in Ruhe eine überlebensfähige Basis aufbauen konnten, sind Rheinberg und seine Leute unter extremen Zeitdruck. Erstens verfügt die „Saarbrücken“ nicht über unendlich viel Munition und zweitens muss das Schiff bald aufgrund des Mittelmeerwassers in ein Trockendock, um bodentechnisch gründlich gereinigt zu werden. Rheinbergs Methode ist auf den ersten Blick brutal und rücksichtslos. Aber der Autor stellt ihn als opportunistischen Soldaten des Kaiserreichs - und damit stellvertretend für die meisten Berufssoldaten - dar, dem die eigene Haut lieber ist als tausende von Barbaren vor den Tür der Stadt. Für den Roman spricht, dass dank zahlreicher gotischer Spione nicht alles glatt geht und die technische Überlegenheit Rheinbergs Truppen durch intelligente Taktik wie zahlenmäßige Überlegenheit der Goten teilweise wieder ausgeglichen wird.
Auf einer zweiten Handlungsebene beschreibt der Autor das Schicksal des Deserteurs Fähnrich Volkert, der sich unsterblich in die Senatorentochter Julia verliebt hat. Er wird für die römische Truppe zwangsrekrutiert und soll seinen 25 Jahre dauernden Dienst abhalten. Mit Volkert dringt der Leser neben der etwas überzogen beschriebenen Erotik im Grunde in den Kern des römischen Militärs ein. Aus einer intimen Perspektive mit ausgesprochen vielen bemerkenswert unauffällig präsentierten Details beschreibt van den Boom das harte Alltagsleben der römischen Soldaten, die mangelhaft ausgebildet und eher notdürftig ausgerüstet in die Schlacht geschickt werden. Julias verzweifelte Versuche, ihren Geliebten dank ihres politischen Einflusses freizukaufen, wirken ein wenig zu klischeehaft und unterminieren die ansonsten interessant geschriebene Handlungsebene.
Die Besatzung der zurückgelassenen „Saarbrücken“ sieht sich inzwischen einer Meuterei eines Teils der Crew gegenüber, die von ansässigen oppositionellen Kräften in Ravenna unterstützt wird. Im Vergleich zu der teilweise etwas zu ausgewalzten und zu viel erläuternden Handlungsebene um Rheinberg kommt dieser Abschnitt viel zu kurz und wirkt ein wenig zu statisch. Neben der Meuterei wird das Schiff von fanatisch Priestern angegriffen, welche das Teufelswerk inklusiv Besatzung am Liebsten verbrennen möchten. Das stimmungsvolle Titelbild gibt etwas künstlerisch verfremdet den letzten Angriff sehr gut wieder, auch wenn es Dirk van den Boom nicht überzeugend gelingt, Spannung zu erzeugen. Manche Passagen wirken noch zu stark konstruiert und die Besatzung der „Saarbrücken“ kommt zu gut weg. Eher eingestreut wechselt Dirk van den Boom selten, aber dann effektiv die grundsätzliche Perspektive und lässt unabhängig von den kaiserlichen Eindringlingen auch gänzlich mit historischen - fiktiv wie realen - Persönlichkeiten belebte Sequenzen zu. Dieser Seitenwechsel erhöht auf der Rheinbergebene die Spannung - der Leser weiß im Gegensatz zu den Soldaten um Kompaniechef Becker, dass ihre Taktik verraten worden ist -, während sie insbesondere beim politischen Geplänkel hinter den Kulissen zwischen interessant - Julias Bitte an den erfahrenen Senator - bis klischeehaft - das Zusammenrotten der eindimensional beschriebenen Opposition in Ravenna - hin und her schwanken.
Bei der Lektüre muss der Leser sicherlich eine Prämisse außer acht lassen. Es spielt für die Protagonisten wie auch den Autoren keine Rolle, der Frage nachzujagen, ob derartig massive Eingriffe in die Vergangenheit nicht die Gegenwart verändern und die Entstehung des wilhelmischen Deutschlands vielleicht sogar verhindern, aus dem die „Saarbrücken“ in die Vergangenheit gefallen ist. Für Rheinberg und seine Besatzung geht es wie für das römische Reich um das Überleben in einer barbarischen Zeit. Hieraus entwickelt sich insbesondere in der zweiten Hälfte des Buches eine Zweckgemeinschaft, welche die Basis - neben den politisch kriegerischen Verwicklungen - für die nächsten Romane der Serie bilden wird. Die Idee, um den kleinen Kreuzer eine moderne Siedlung zu errichten, in welcher nicht nur das Schiff in stand gehalten werden kann, sondern vor allem die Deutschen ihr überlegenes technisches Wissen im Kleinformat an die Römer verkaufen können, ist sicherlich ausbaufähig. Auch hier verbindet Dirk van den Boom gute Ideen mit einer wieder klischeehaft, das Zeitreisegenre an sich fast parodierenden Ausführung. Ob die Schankmädchen wirklich immer und überall das Freiwild der erregten Kneipenwirt sind, ist einer der Punkte, bei denen Dirk van den Boom fast überambitioniert ans Werk geht. Hinzu kommen die - aus seiner Situation heraus verständlich - patriotisch pathetischen Reden Rheinbergs, in denen er sich dem römischen Imperium - auch kein Hort der Demokratie - förmlich anbiedert. Die historische Zeit hat Dirk van den Boom sicherlich geschickt gewählt, Rheinberg hatte im Grunde keine Alternative. Trotzdem agiert er diplomatisch ein wenig zu offensiv und der schmale Grad zwischen Barbaren - die rücksichtslos getötet werden können - und „Zivilisation“ - die Römer haben die von ihnen eroberten Gebiete auch nicht mit dem Mistelzweig regiert - wird wenig differenziert abgehandelt. Stilistisch deutlich martialischer, aber damit nicht unbedingt realistischer bemüht sich Dirk van den Boom, sowohl der römischen Geschichte als auch der kaiserlich deutschen Herkunft der Soldaten gerecht zu werden. Während die Dialoge teilweise - insbesondere im Vergleich zum ersten Band - zu gestelzt, zu überbetont wichtig geschrieben worden sind, funktionieren die historischen Beschreibungen sehr gut. Dirk van den Boom gelingt es, ein überzeugendes - wenn auch sich mehr und mehr verfremdendes - Ambiente zu erschaffen, das eine Vergangenheit beschreibt, wie es sie in dieser Form wahrscheinlich nie gegeben hat, wie sie aber gewesen sein könnte.Die Zeichnung der Figuren - sowohl die Besatzung der „Saarbrücken“ inklusiv des Fahnenflüchtigen Volkert als auch die historischen Protagonisten von den nur auf den ersten Blick kultivierten Römern bis zu den verschlagen intelligenten Goten - ist zufrieden stellend, manche Charaktere gehen aber angesichts ein Vielzahl von nicht immer notwendigen neuen Figuren unter.
Zu den weiteren Stärken des vorliegenden Buches gehört im Vergleich zum ersten Teil die plottechnische Dichte. Die Wechsel zwischen den einzelnen Handlungsebene sind jederzeit für den Leser nachvollziehbar. Keine Sekunde hat man das Gefühl, als versuche der Autor Seiten zu schinden, wobei der Mittelteil des Buches plottechnisch ein wenig überfrachtet erscheint. Einzelne Teilaspekte des komplexen Plots hätten ausführlicher abgehandelt werden können, ohne das die Gesamtstruktur des Buches in Mitleidenschaft gezogen worden wäre. Im Vergleich zum etwas zu klischeehaft abgeschlossenen ersten Band öffnet sich für den römischen Industrialisierung durch die preußischen Soldaten ein ganz neues Spektrum und befreit den Autoren noch weiter von der inzwischen irrelevanten historischen Grundhandlung. Es bleibt zu hoffen, dass Dirk van den Boom in den folgenden Romanen diese Ideen weiter extrapoliert und nicht durch irgendwelche Hintertürchen den historischen Geschichtsverlauf wieder herstellen zu sucht. Zusammengefasst eine solide, teilweise strukturell deutlich überzeugendere Fortsetzung der Ankunft der „Kaiserkrieger“, die spannungstechnisch allerdings durch eine Überfrachtung und den teilweise insbesondere bei den Actionszenen etwas zu distanzierten Stil gegenüber dem ersten Buch leicht abfällt.
30. Mai. 2011 - Thomas Harbach
Der Rezensent
Thomas Harbach

Total: 732 Rezensionen
März 2018: keine Rezensionen
[Zurück zur Übersicht]
|
|