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Torso

TORSO

Wolfram Fleischhauer
Roman / Thriller

Verlagsgruppe Droemer Knaur

Fester Einband, 432 Seiten
ISBN: 978-342619853-7

Okt. 2011, 1. Auflage, 19.99 EUR
Bestellen: Jetzt bestellen / auch als eBook erhältlich

Auch wenn es auf den ersten Blick pervers erscheint und dem Unglauben von Fleischhauers Protagonisten entspricht, sein erster Thriller um einen "Mörder", der sich an Bildern aus dem italienischen Mittelalter orientiert und damit auf gegenwärtige Probleme hinweist, wirkt wie eine Geschichte aus dem letzten Jahrtausend. Zu schnell haben die aktuellen Ereignisse von der Lehman- und Finanzkrise ausgehend die Ereignisse um die Bankgesellschaft Berlin und den Sturz des damaligen Bürgermeisters Diepgen überrollt. Wenn die Protagonisten von Belastungen der öffentlichen Hand durch schwer durchschaubare rückgarantierte Immobilienprojekte in Höhe von möglicherweise fünf bis zehn Milliarden sprechen und damit die zukünftigen Generationen belasten, dann erscheinen diese schon kaum vorzustellbaren Zahlen angesichts der gigantischen Rettungsschirme für Staaten als die sprichwörtlichen Peanuts.

Der Autor hat zusätzlich das Problem, dass ein in die Tiefe gehen dieser speziellen Problematik der nach der Wende boomenden und davor am Tropf des bundesdeutschen Westen hängenden Stadt Berlin den ansonsten strigenten Plot sehr behindern würde. Auf der anderen Seite muss der Autor ausreichend Fakten aufbereiten, um ein bedrohliches Szenario zu entwickeln, das die drastische Vorgehensweise eines auf den ersten Blick wahnsinnigen Einzelgängers nachvollziehbar macht. Dabei hält sich Fleischhauer an die bekannten Fakten: der im Grunewald aufgefundene EDV Leiter der zwischen geschalteten ANUBIS Gesellschaft hat im Gegensatz zum Plot des Romans mit den Untersuchungsausschüssen zusammengearbeitet. In Fleischhauers Fiktion ist er eine ambivalente Zwittergestalt, die auf der einen Seite kaufbar gewesen ist, auf der anderen Seite die wichtigsten Informationen zwar nicht die Behörden, aber einem ehrbaren wie leider auch tot kranken Polizisten zugespielt hat. Und zwar bevor die immer lauteren Gerüchte um eine Schieflage der verschiedenen Immobiliengesellschaften an die Öffentlichkeit gedrungen sind.

Vielleicht auch um ein wenig den Klischees des Genres im Allgemeinen und der ehrenwerten Gemeinschaft von Politik und Bankkommerz folgend baut der Autor mit der Privatbank Zieten und ihres einzigen Gesellschafters/ Direktors ein Musterbeispiel des verhassten profitsüchtigen Bänkers aus, der mehr und mehr die Kontrolle über die verschiedenen Schachtelkonstruktionen im Allgemeinen; den kontrollierbaren Datenfluss im Besonderen und schließlich auch die eigene Familie im Speziellen verliert. Zieten wirkt zu eindimensional, sehr zu sehr typischen Vorstellungen der Öffentlichkeit geschuldet charakterisiert, so dass er als Figur nicht nur die notwendige Effektivität verliert, sondern trotz seiner wenig nachvollziehbaren Handlungsweise bei der offensichtlichen Entführung seiner Tochter für einen Mann seiner Position in einem Spinnennetz aus Intriganten zu angreifbar erscheint. Der politisch wirtschaftliche Hintergrund inklusiv der Männer fürs Grobe entwickelt sich nach bewährten Muster, wobei Fleischhauer kurz vor dem finalen Showdown auf einen vielleicht zu frustrierenden Bauerntrick zurückgreift, mit dem er eine elementare Figur gewissenstechnisch vielleicht nicht rein, aber sauber spült. Hinzu kommt der cineastisch wirkende Paukenschlag, der in unzähligen in erster Linie amerikanischen Gerichtsfilmen sehr gut funktioniert hat und funktioniert, hier irgendwie zu überambitioniert angelegt erscheint.

An einer anderen Stelle wirken die Ermittlungen hinsichtlich der grausamen entstellten Torsi und menschlichen Körperteile nicht ganz logisch. Während Zietens Handlanger für den Leser nachvollziehbar innerhalb sehr kurzer Zeit die Zusammenhänge zwischen den kryptischen Nachrichten; den Posen und schließlich auch den Hinweisen auf eine italienische Stadt aus dem dreizehnten Jahrhundert erkennen kann und dabei auf den ermittelnden Polizisten Zollanger als potentiellen Täter stößt, braucht dieser im Vergleich trotz gewisser im letzten Kapitel ausführlichst erläuterter Vorkenntnisse ungewöhnlich lange, um die richtigen Schlüsse zu ziehen. Diese Passagen wirken vor allem rückblickend unglaubwürdig und erwecken im Leser den Verdacht, als sei sich Wolfram Fleischhauer angesichts des Endes seines Buches nicht ganz klar gewesen, ob er wirklich den Mut hat, einen Helden zum Schurken mit einer die Gesellschaft warnenden Mission zu machen oder wie es sich letzt endlich herausstellt, den literarisch einfacheren und für den Leser nicht befriedigenden Weg zu wählen. Dabei weicht der Autor positiv auf den philosophisch künstlerischen Erzählstil seiner ersten vier Romane aus und verbindet historische Fakten mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen zu einem aus dem Nichts sich auf der theoretischen Ebene und vor allem auch ohne die zu provokanten Thrillerelemente sehr gut funktionierenden Plot. Dass Fleischhauer trotz der Schwächen des auf den ersten Blick für das gegenwärtige Thrillermassenpublikum geschriebenen Romans zu den eher intellektuellen, kritisch hinterfragenden Unterhaltungsautoren der Gegenwart gehört, wird an vielen Stellen deutlich. Was dem Buch fehlt ist vielleicht die Tiefe, welche insbesondere „Das Buch, in dem die Welt verschwand“ oder mit einigen Abstrichen der griffigere „Der gestohlene Abend“ ausgezeichnet hat.

Im Gegensatz zu den Schwächen bei der überambitionierten Plotentwicklung bleiben dem Leser Fleischhauers Charaktere länger im Gedächtnis.
Zollanger als der ehemalige Vorzeige Ossi, ein Streifenpolizist, der an den Sozialismus der DDR geglaubt hat, ist natürlich die dominierende Figur. Auch wenn Fleischhauer aus Zollanger am Ende eine bodenständige Inkarnation von Alan Moore „V“ aus der gleichnamigen Comicserie macht, überzeugt insbesondere im wichtigen Mittelteil die Entschlossenheit dieser Figur. Nur legt der Autor den Plot zu stark konstruiert an. Zollanger muss sein Wissen vor den Lesern im Gegensatz zu seinen Mitstreitern in doppelter Hinsicht verstecken, um überzeugend zu erscheinen. Vielleicht hätte die Figur noch ein wenig vielschichtiger, kantiger angelegt werden können. Zollangers Kollegin Sina könnte eine Frau der Gegensätze sein, die sehr freundschaftliche Gefühle für ihren vereinsamten Kollegen empfindet, sich aber auch in ihrer Ehe wohl fühlt. Sie ist mehr als eine Stichwortgeberin, auch wenn der Autor sie in der zweiten Hälfte des Buches unnötigerweise ein wenig vernachlässigt. Statt dessen stellt Fleischhauer mit der jungen Straßenarbeiterin und jeglichen Kapitalismus ablehnenden Erin Zollanger eine Helferin wider Willen an die Seite. Sie hat nie den Selbstmord ihres Bruders geglaubt. Als sie durch einen Zufall in ihrer Wohnung dessen Computeraufzeichnungen und schließlich auch die SIM Karten findet, wird sie aus ihrer von Armut und Überlebenskampf auf der Straße gezeichneten Welt hinaus gerissen in den Bereich des Großkapitalismus, welcher nichts mehr mit einer investierenden Realität zu tun hat. Aus dieser existentiellen Position macht Fleischhauer zu wenig, auch wenn er die Stückwerke wie das Benutzen einer primitiven Steinschleuder mit tödlichen Zündkolben rechtzeitig vor einem der beiden Showdowns etabliert. Zumindest zeigt er die beiden so gegensätzlichen Welten - Glanz und Elend - nach, welche momentan eine großmannssüchtige Hauptstadt beherrschen. Um diese drei relevanten Figuren inklusiv des schon angesprochenen eindimensionalen Antagonisten Zieten und seines natürlich osteuropäischen Mannes fürs Grobe bewegt der Autor eine Reihe von auf ihre Funktionalitäten - korrupter Staatsanwalt, dumm naive Politiker, die erstaunlich gut organisierten aus der Gesellschaft ausgestiegenen Obdachlosen und schließlich Zollangers desillusionierte vor Jahren geschiedene Ehefrau -, reduzierte Figuren.
Die mit dem Fund des ersten Torsos beginnenden Hinweise auf die Geschichte wirken teilweise ein wenig zu deplatziert, so übertrieben quergedacht. Natürlich etabliert der Autor nicht unbedingt konsequent eine entsprechende Figur, legt in der Mitte des Buches eine eher kommerzielle begründete falsche Spur und schließt den Roman auf einer zynischen Note. Da erscheint vieles weniger erzählt als durchgehend routiniert konstruiert. Das Bild, das der Autor vom modernen und innerlich doch verrotten Berlin, von der an vielen Fronten gescheiterten Wiedervereinigung und schließlich der Brutalität der untergegangenen DDR Systems zeichnet, ist gut recherchiert und nach einer stringenten Baukastenmethode auch erfolgreich zusammengesetzt. Nur manchmal fehlt vor Wut über die rücksichtslosen wie politisch einflussreichen Seilschaften dem Roman das Herz, die Seele, welche viele von seinen bisherigen Arbeiten so einzigartig machten. „Torso“ ist in dieser Form ein interessantes, wenn auch eher bemühtes Experiment, aus der literarisch künstlerischen Ecke auszubrechen. Stellenweise wirklich eindrucksvoll, dann wieder zu offensichtlich und mechanisch konstruiert macht „Torso“ unnötigerweise eher seinem Titel alle Ehre als das das Buch in dieser Form zu Wolfram Fleischhauers stärkeren Arbeiten gezählt werden kann. Die soliden kritischen Ansätze hat die Finanzkrise mit ihren noch gigantischeren Summen ins Meer des Vergessens zumindest außerhalb der Hauptstadt gespült.

14. Mai. 2012 - Thomas Harbach

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

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