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Jenseits von Gut und Böse
Obwohl man als Rezensent stets bemüht ist, ein Buch so objektiv wie möglich zu betrachten und zu bewerten, ist die Umsetzung beinahe unmöglich. Natürlich kann man auf Stil, Rechtschreibung oder Stringenz eingehen, damit enden aber meist die Möglichkeiten einer nüchternen Betrachtung. Und letztendlich wird die Frage, ob das Buch gefallen hat, oder nicht, weniger von oben genannten Elementen beeinflusst.
Zu Jenseits von Gut und Böse fällt es mir indes noch schwerer auch nur im Ansatz eine objektive Meinung vorzulegen, den die Titel der Goblin Press sind für mich von jeher sehr Emotions belastet – nicht etwa im negativen Sinne.
Erst durch den Verlag von Jörg Kleudgen gelang mir der Schritt in das Phantastik- und Horror Fandom, ausgelöst durch die Suche nach weitern GP Titeln, denn zu dieser Zeit, im Jahr 2005, hatte der Verlag, rückblickend einstweilen, seine Pforten geschlossen.
Die Titel der Goblin Press haben ich immer als etwas Besonderes betrachtet, denn sie machten von Beginn an auf mich den Eindruck, unbelastet von den Drang zu sein den Leser um jeden Preis gefallen zu wollen, und sich lasen, als wären sie dem Autor direkt aus dem Kopf in die Feder und von dort auf das Papier geflossen. Wahrscheinlich täuschte dieser Eindruck, denn sicherlich hatte Jörg Kleudgen jedem Buch ein Lektorat angedeihen lassen. Dennoch verströmte jeder Goblin Press-Text eine Ursprünglichkeit, frei von Nivellierungsversuch und den Überführen in eine angepasste Form.
Aus diesem Grund war ich Anfangs auch etwas skeptisch, als mir die Pläne zu einer überarbeiten Neuauflage von Jenseits von Gut und Böse zu Ohren kamen.
Noch im September 2011, in einem Interview mit Jörg Kleudgen für LITERRA, fragte ich ihn, ob auch Neuauflagen in der wiederauferstanden Goblin Press geplant wären, was er verneinte. Umso überraschender natürlich die gegenteilige Nachricht.
Natürliche kenne ich den Titel noch in seiner Urform aus dem Jahr 1994. Ich hatte mir das gute Stück mit Mühe und Not über eBay ersteigert, zu einem Preis jenseits von Gut und Böse – wie passend!
Ärger verspüre ich jedoch keineswegs darüber, den Titel nun so in seiner dritten Auflage wiedersehen zu dürfen, die vorgenomenen Editierungen hat ihn nicht im Geringsten geschadet, sondern neue Facetten des Textes freigelegt. Einen Vergleich zwischen beiden Fassungen möchte ich jedoch nicht wagen, sondern das Buch so vorstellen, als hätte ich es zum ersten Mal gelesen – mit Plaisir, was schon jetzt gesagt werden kann.
Alles beginnt in einem steinernen Verlies in dem der Hauptakteurs Stanley Carpenter gefangen scheint, in Erwartung einer schrecklichen Wahrheit, die ihm bald eröffnet werden soll. Seine Freundin Lisa teil sein Los, scheint jedoch den Verstand verloren zu haben.
In dieser Zeit voll dunkler Erwartungen erinnerte sich Stanley an sein vorheriges Leben, das nur wenige Augenblicke in der Vergangenheit liegt. Als erfolgreicher Rechtsanwalt führte er eine Kanzlei und war eines Tages in die kleine Hafenstadt Salisbury gekommen, um einige ruhige Urlaubstage zu verleben. Überdies war die Scheidung von seiner Frau erst wenig Tage alt; ein doppelt guter Grund, sich der Ruhe hinzugeben.
Als er bei einem Spaziergang nahe der Küste entlangwandert, begegnet im Lisa Quinton, die er in jenem Moment davor bewahrt, von einer Klippe zu stürzen. Sie lädt ihn das nahe Gasthaus Black Swan ein, wo beide ins Plaudern geraten. Auf Stanley übt die junge Frau eine seltsame Wirkung aus. Umso mehr ist dieser Umstand bemerkenswert, denn von Kindesbeinen an ist Stanley nicht in der Lage Gefühle zu entwickeln. Der vornehmliche Grund, weshalb ihn sein Ehefrau verließ.
In welchem Sujet sich die Autoren bewegen, bekommt man bereits auf den ersten Seiten mit. Die Erwähnung von Örtlichkeiten wie Ipswich oder Arkham sprechen eine deutliche Sprache. Viel interessanter ist jedoch auf den ersten Blick die Unfähigkeit des Protagonisten Gefühle zu empfinden. Über die Jahre ist es Stanley zwar gelungen, sich Masken zuzulegen, die Emotionen vortäuschen, sein Innerste bleibt indes aber allzeit leer.
Es ist diese Gefühlskälte, die so etwas wie der Dreh-und Angelpunkt der Erzählung ist. Den Autoren ist nicht nur ein exzellente Herausarbeitung der Gedankenwelten des Protagonisten gelungen, wie er an diesem Makel leidet, es ergibt sich auch ein Paradox daraus, denn wie kann ein Mensch leiden, wenn er keine Gefühle verspürt? Zum anderen widerspiegelt Stanley aber auch die moderne Gesellschaft, die einzig auf Funktionalität und Ergebnis geeicht ist.
»Es gibt heutzutage viele gefühlskalte Menschen, nur haben diese den Umstand ihrer Emontionslosigkeit sich selbst zu verdanken, während ich damit geboren worden war. Mir ist bis heute ein Rätsel, dass man es ohne Gefühle in unserer modernen Welt eher zu etwas bringt, als mit einem Übermaß an selbigen.«
Es sind solche trefflichen Sätze, die zwar im weiteren Verlauf der Handlung keinen Gebrauch mehr finden, im Protagonisten aber als Manifestation die Geschichte bestimmen. Dem Leser wird es wie eine Mahnung vorkommen und unweigerlich, was wohl auch in der Intention des Romans liegt, eine Reflexion über die vorherrschenden Normen und Werte der menschlichen Gemeinschaft in Gang setzten. Somit versteht sich Jenseits von Gut und Böse nicht nur als Unterhaltungsroman, sonder möchte gleichermaßen zum Nachdenken anregen.
Im weiteren Verlauf stellen sich gleichwohl einige Probleme ein. Nicht nur das Lisas Bruder, Henry Quinton, eine sehr eifersüchtige Person ist, so stirb auch noch Stanleys Mutter. Auf ihrem Totenbett versucht sie im noch mitzuteilen, wer sein richtiger Vater war, doch der Tot gewinnt. Dieses traurige Vorkommnis facht in Stanley den Wunsch an, nach seinen leiblichen Vater zu suchen.
Als es zwischen ihm und Henry Quinton zu einer Auseinandersetzung kommt, in dessen Zuge sich Letzterer genötigt sieht sich entschuldigen zu müssen, um seine Schwester nicht zu verlieren, kommt es zu dem Plan, Stanley auf eine Expedition nach Australien mitzunehmen, die vor Jahren von den Geschwistern begonnen, aber nicht beendet werden konnte, da es zu einem verheerenden Unfall kam. Diese Forschungsreise wird von der Miscatonic University gesponsert, für die Henry schon oft tätig werden durften – er als begabter Archäologe und seine Schwester als wichtige Helferin. Doch auch eine zwielichtige Vereinigung, der Henry verpflichtet scheint und die den Namen K'TULU GESELLSCHAFT träg, ist involviert.
In Australien angekommen lässt die Katastrophe nicht lange auf sich warten. Es ist auch der Ort, an dem Stanley seinen leiblichen Vater kennenlernt, doch ob ihm dieser Umstand Befriedigung verschafft, ist eher zweifelhaft.
Die bereits erwähnte lovecraftsche Komponente wird im Großteil der Handlung durch gut platzierte Einwürfe offenbar und stellt gleichzeitig auch den Schwachpunkt von Jenseits von Gut und Böse dar, denn der Leser wird dadurch schnell in die Ahnung versetzt, auf was es hinausläuft. Einen gewissen Ideenreichtum muss man dem Roman nichts desto trotz zubilligen, den aus den umfangreichen Mythos-Stoff greift er eine Figur heraus, die bisher nur wenig beleuchtet wurde. Damit fügen Frank Eschenbach und Jörg Kleudgen, ganz wie es Lovecraft schon zu Lebzeiten wünschte, dem Cthulhu Mythos neue Facetten hinzu.
Vergessen werden sollte auch hier nicht den Schwäche des Protagonisten Gefühle zu empfinden. Denn gleichzeitig neben der Gesellschaftskritik kann sie auch als Widerschein der lovecraftschen Schöpfung angesehen werden, in der es ja bekannter Maßen um Wesen geht, die jeden menschlichen Begriff spotten und die die undurchschaubaren, fremden Kräfte des Universum verkörpern, denen der Mensch auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Kräfte, die keine Gefühle kennen.
Stilistisch kommt Jenseits von Gut und Böse ein wenig unterkühlt daher, passt aber zu der Figur des Stanley Carpenter und stört den Lesefluss nicht im geringst.
Freilich werden primär die Freunde von H. P. Lovecraft großes Vergnügen an den Roman haben, doch auch Leser, die bisher wenig Erfahrungen mit dessen Werken gemacht haben, werden damit gut unterhalten. Über die Neigung zu einigen pathetischen Ausfällen am Ende kann man dann auch gut hinwegsehen und muss, alles in Allem, Jenseits von Gut und Böse zu den bemerkenswertesten Titeln der Goblin Press zählen. Die 2012 erfolgte Neuauflage ist somit mehr als gerechtfertigt!
07. Mai. 2013 - Eric Hantsch
Der Rezensent
Eric Hantsch

* 29. Mai 1986
Website: http://dunkelgestirn.wordpress.com
Total: 11 Rezensionen
März 2018: keine Rezensionen
Eric Hantsch stellt sich vor:
Geboren wurde ich am 29.05.1986 in Dresden und lebe in Neustadt i. Sa., einem ländlichen Ort, unweit der Sächsischen Schweiz.
Die Begeisterung für phantastische Geschichten wurde schon frühzeitig in mir geweckt; angefangen mit den Märchen der Brüder Grimm und Wilhelm Hauff. Das erste,...
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