Ruf der Geister
Geisterjagd im Ruhrpott
Joshua ist Streetworker mit einer besonderen Gabe: Seit seiner Kindheit kann er Geister sehen. Alle, die einen gewaltsamen Tod gestorben sind, fühlen sich zu ihm hingezogen und suchen seine Hilfe.
Ich war bereits seit der Ankündigung des Buches sehr gespannt darauf, ob Tanja Bern es schafft, einen Geisterjäger im Ruhrpott authentisch wirken zu lassen und ob ihr Geisterseher der Typ zupackender „Ghostbuster“ ist oder eher von der still leidenden Fraktion – es scheint nicht viel zwischen diesen beiden Polen zu geben. Ich wurde überrascht, denn Joshua ist nicht nur ein ganz eigener Charakter, sondern auch ein Mann, wie ihn sich Frauen wünschen.
Das Buch beginnt mit einem Todesfall am Duisburger Hauptbahnhof. Kommissar Erich Salberg ist ein alter Freund seines Vaters und ruft Josh zu Hilfe, wenn ungeklärte oder besonders grausige Todesfälle seinen Weg kreuzen. Josh sieht die Geister der Verstorbenen und kann Erich sagen, ob sie ermordet wurden oder sich freiwillig das Leben genommen haben. Doch als eine Serie besonders erschütternder Frauenmorde beginnt, versagt Joshuas Gabe. Er kann zwar die Toten sehen, das Gesicht des Mörders jedoch bleibt ihm, anders als sonst, verborgen. Nichts als ein schwarzer Fleck ist dort, wo sich das Gesicht des Täters befinden sollte.
Joshua ist eine sympathische Figur, durch seine Fähigkeit ist er gerade anders genug, um aus der Masse herauszuragen. Andererseits ist er ein ganz normaler Mann, der ein bisschen schlunzig durch die Gegend läuft. Halt findet er in der Polizistin Lea, die er ebenso erstaunt wie er mich erstaunt hätte, wäre ich ihm in der Realität begegnet. Er ist mitfühlend, sympathisch, witzig, all das, was in den einschlägigen Kleinanzeigen gesucht wird. Andererseits ist er sehr in seinem Job als Streetworker gefangen und versucht, ein wirklich guter Mensch zu sein und den nur für ihn sichtbaren gequälten Seelen zu helfen. Fast zu gut, um wahr zu sein, hätte Tanja Bern ihn nicht noch mit einigen liebenswürdigen Schrullen ausgestattet. So ist er eine absolut glaubwürdige Figur, und auch sein Fluch, seine Gabe, ändern nichts an diesem Klang von Echtheit in einem Mysterythriller, der seine Hauptfigur mit paranormalen Fähigkeiten ausstattet.
Die Krimihandlung und die persönliche Geschichte von Joshua sind absolut im Gleichgewicht, was mir sehr gut gefallen hat. Der Leser erfährt genug über den Streetworker und Geisterseher, um sich mit ihm zu identifizieren, die Morde und Ermittlungen werden immer wieder vorangetrieben, bis die Lösung sich überraschend abzeichnet. Zwar liegt die Gewichtung eher auf Mystery als auf Thriller, es ist jedoch die Mischung aus beidem, die dem Buch seinen Reiz verleiht. Geisterjagd im Ruhrgebiet funktioniert – ich habe weder den wabernden Nebel Englands, noch die verhaltenen Seufzer viktorianischer Seelen oder gar das Ektoplasmagewehr schießwütiger amerikanischer Geisterjäger vermisst. Tanja Bern hat ihre eigene Geschichte geschrieben, und gerade dafür, sich von vermeintlichen Genrevorgaben zu lösen und ihren Weg zu gehen, gebührt ihr höchstes Lob.
Fazit:
Die Hauptfigur Josh ist glaubwürdig und sympathisch, und ich bedaure ernsthaft, ihm nicht mit Mitte Zwanzig im realen Leben begegnet zu sein. Ruf der Geister fesselt aber vor allem durch eine kluge und absolut eigenständige Geschichte, die hervorragend ins Hier und Jetzt passt und ganz auf Seufzer, Ohnmachten und Schnickschnack verzichtet. Das hat die Geschichte auch nicht nötig. Sie benötigt keine künstlichen Lebensverlängerungsmaßnahmen, sie lebt und atmet von ganz allein.
12. Aug. 2013 - Gunda Plewe
Der Rezensent
Gunda Plewe

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Gunda Plewe wurde 1971 am Niederrhein geboren, und ihr Lebensweg verlief bis zum 3. Semester ihres Germanistikstudiums schnurgerade und zielgerichtet auf eine Tätigkeit im Universitätsbetrieb hin – zu diesem Zeitpunkt war ihre Vorstellung von einem idealen Leben die, in einem Elfenbeinturm zu sitzen und Mörike-Gedichte zu interpre...
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