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Tetelestai!
"Ein Karma-Drama in 3 Aufzügen aus dem Spectre-Dragon Zyklus" ist dieses Buch untertitelt, und in seiner Werbung nennt BLITZ diesen Zyklus "Dark Fantasy der besonderen Art". Nach der Lektüre kann ich guten Gewissens bestätigen: Letzteres stimmt definitiv.
"Tetelestai!" schließt den ersten Subzyklus von "Geisterdrache" ab; voraus gingen die Bände "Kriecher" und "Adulator". Beide sind ein und dieselbe Person, ein "Anti-Held", wie uns das kurze Vorwort informiert. Es sagt auch aus, dass ursprünglich nur ein Zweiteiler geplant war, aber dieses Buch, eine "Verbindung zwischen Roman und Schauspiel", sei dann in dieser Form entstanden, "um den Abschluss und die Tragweite der Wahrheit, die sich hinter Kriechers Schicksal verbirgt, dramatischer gestalten zu können". Und wenn auch Kriechers Schicksal ende, so würden doch die Legenden um Praegaia die Welt des Geisterdrachen fortgesetzt. Dies soll Einführung genug sein; weitere Informationen und Texte kann der interessierte Leser bei BLITZ selbst oder unter www.geisterdrache.de abrufen. Nun aber zum Text selbst, dessen Inhalt sich wie folgt zusammenfassen lässt:
Der mächtige dunkle Lord Witheroxxze möchte endlich Kriecher fassen, ein Geschöpf der Allmutter-Göttin Medoreigtulb (rückwärts lesen!), das sich gegen diese gewendet hat. Dazu gibt er beim "verpönten Poeten" Terach Hagakur ein Stück in Auftrag, dessen Inhalt vorgeschrieben ist. Die Aufführung soll Kriecher anlocken, und das tut sie auch, denn es geht in diesem Stück um seine Lebensgeschichte als Taranis Dannan (ein junger, unbekümmerter Bursche, der einst auszog, sein Glück zu machen). Kriecher kommt, trifft auf die Göttin, auf Witheroxxze und auf die Soldaten, die ihn fangen sollen. Damit nimmt nicht nur sein Schicksal seinen Lauf, und nicht nur seines endet.
Diesen Plot verpackt Marc-Alastor E.-E. in eine für das Fantasy-Genre ungewöhnliche Form: Gegliedert ist das Werk in 3 Aufzüge zu je 6 Auftritten. Einige dieser Auftritte sind Auszüge aus Hagakurs Stück, andere wiederum ähneln "normaler Prosa"; ähneln, denn wo in ihnen wörtliche Rede vorkommt, reimt der Autor abermals. Dritte Texte, die, in denen kaum gesprochen wird, vermögen den konventionell gestimmten Leser wohl am ehesten zufrieden zu stellen. Diese Passagen treiben entweder die Handlung schnell voran mit all dem Blut, der Gewalt und auch dem Sex, den man in einem Dark-Fantasy-Werk erwarten mag -, oder sie sind den Reflexionen Fraters gewidmet, eines Teils von Kriechers Seele (oberflächlich betrachtet, könnte man ihn als "den guten" bezeichnen).
Da Marc-Alastor E.-E. stets und ständig zwischen diesen Formen wechselt, kommt beim Lesen keine Langeweile auf; ich verhehle allerdings nicht, dass flüchtiges Durchblättern des Buches alle Leser abschrecken könnte, die es mit Dramatik nicht so sehr haben (schon gar nicht, wenn man diese selbst lesen muss). Jedoch, der Text vermag mit zunehmendem Fortschreiten durchaus zu fesseln. Dies könnte in noch höherem Maße für denjenigen gelten, der die beiden ersten Teile des Zyklus kennt; aber selbst ohne diese Kenntnis empfand ich mehr und mehr Interesse für die Geschichte und für Kriechers Schicksal.
Komplettiert wird die Originalität des Buches durch die Sprache. Zum einen verwendet Marc-Alastor E.-E. (der Welt, in der das Stück aufgeführt wird, durchaus angemessen) viele Anachronismen, wie "itzt", "bar jedweder Bedeutung", "mir deuchte", "schien nicht wahrhaft ereifert" und so weiter. Im Narren, einer Figur des Schauspiels im Schauspiel, kulminiert das Anachronistische, denn dieser spricht gänzlich in frühneuhochdeutscher Manier, was sich so liest: "Secundo sey für euch all vermerket, / Dasz die Hoell und dies Land sind doch nit eyns."
Aber dies macht das Ungewöhnliche nicht allein aus; auffälliger sind die Kontraste zwischen dem hochsprachlichen, stellenweise nahezu hymnischen Ton (vor allem in Fraters Reflexionen) und den armseligen Knittelversen des verpönten Poeten, der sein Geschäft eben nicht beherrscht, sowie den Knittelversen der oben erwähnten wörtlichen Rede, die ebenfalls nach der "Reim-dich-oder-ich-fress-dich"-Methode holpert und stolpert. Ein Beispiel: "Wenn man so mit dir verfährt, ist das denn deiner Gilde recht? Steht nicht auch in eurem Arbeitsrecht, Notenstecher hätten geregelte Zehn-Stunden-Tage?" <...> "Mir dünkt, Freund, dein Interesse liegt nicht bei Ystas Plage. Erwartest du den Despoten etwa hier?" <...> "Mein Auftraggeber ist seit langem schon dahier." (Ausgelassen habe ich die in Prosa verfassten Begleitsätze des Dialogauszuges.)
Marc-Alastor E.-E. kann sehr gut schreiben, er könnte es mühelos besser machen; diese absichtlich schlechten Verse deuten offenbar darauf hin, dass auch das "echte Leben" nur ein erbärmliches Schauspiel ist, von einem erbärmlichen Poeten oder von den Figuren selbst inszeniert. Über diesem Geschehen steht Witheroxxze und gähnt es gelangweilt an; er wartet darauf, ein gottähnliches Wesen zu werden, und hat in seinem langen Dasein genug von diesen Szenen zu sehen bekommen, um daran noch Anteil zu empfinden. Ihn interessiert einzig Kriecher, ein Wesen, das außerhalb dieses schlechten Stückes steht und doch immer wieder hineindrängt, um den Tod zu finden, den endgültigen und absoluten. Kriecher leidet. Wenn man kein Gott und kein Drache ist, so scheint der Text zu sagen, dann ist Leiden die Daseinsform, auf die letztendlich alles hinausläuft und die man ganz hinter sich lassen möchte ("Karma-Drama"). Einige Sätze aus Fraters Reflexionen verdeutlichen dies Leiden: "Ich stand mit ihm auf einer Klippe, die weit in die Nacht heraufreichte und deren Sterne wie Zahlen auf einem Zifferblatt waren. Ich sah ewiglich. Ich hörte ewiglich. Ich roch ewiglich. Ich schmeckte ewiglich, und ewiglich war ich die Seele, die gefangen blieb in einer Seele, die gefangen war."
Ich gestehe ehrlich: Anfangs war ich auch kein Liebhaber des Selbst-Lesens von Dramatik diesem Buch gegenüber eher skeptisch eingestellt, dazu verwirrt, weil mir Hintergrundwissen fehlte. Doch je weiter ich las, desto mehr erschlossen sich mir die Zusammenhänge, und desto größer wurde das Vergnügen, welches die originelle Form und Sprache bereiteten.
Ich kann für dieses ungewöhnliche Buch eine Empfehlung aussprechen und bin nun auf weitere Werke des Autors gespannt.
14. Okt. 2006 - Peter Schünemann
Der Rezensent
Peter Schünemann
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Dark Fantasy - Rezensent: Florian Hilleberg |
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