Jenseits von Reform
Warum die Autoren sich selbst und ihre Verlage ganz neu denken müssen
Eine Antwort auf Zoë Becks “Differenzierung des eBook-Themas”
Nichts hat den Literaturbetrieb so grundsätzlich aufgewirbelt wie der Hype ums digitale Publizieren. Dagegen wirken die Debatten, die in den Jahrzehnten zuvor als große Aufreger durch das Feuilleton und über die Buchmessen gejagt worden sind, furchtbar klein und banal. Seit der Streit um das Urheberrecht eskaliert und den gesamten Literaturbetrieb zur Positionierung zwingt, ist klar: Jetzt geht es nicht mehr um die Frage, wie realitätshaltig literarische Texte sein sollten oder wie schrill sich Autorinnen und Autoren inszenieren dürfen. Es geht auch nicht um die Frage, ob Günter Grass schwache Zeilen über Israel schreiben oder Thomas Steinfeld dem Herausgeber der FAZ fiktiv die Füße absägen darf. Stattdessen geht es ans Eingemachte. Diskutiert wird über die Verwandlung des gesamten literarischen Feldes. Und diskutiert wird damit über die Bedingungen und Möglichkeit der nächsten Literatur.
In dieser Debatte hat sich gerade eben die Thriller-Autorin Zoë Beck zu Wort gemeldet. Wie bei so vielen anderen Beiträgen zum Thema kann man die Energie spüren, die derzeit im Spiel ist, wenn es um Literatur geht. Wohl erst im Rückblick wird sich herausstellen, wie sehr die Rhetorik und Stilistik der Blogs den Essayismus zu Beginn des neuen Jahrhunderts renoviert und der literarischen Debattenkultur auf die Sprünge geholfen haben. An Becks pointiertem Beitrag kann man das jetzt schon studieren.
“Wieso sind Sie eigentlich noch bei einem Verlag?”
Studieren kann man daran aber noch etwas anderes. Eine gewisse Verwirrung nämlich. Zoë Beck versucht für sich als Autorin all das zu sortieren, was im Moment zum Thema eBook an Meinungen und Vorschlägen im Umlauf ist. Vieles ist, wie Beck Schritt für Schritt zeigt, bloßer Hype. Einiges ist reine Ideologie. Viel basiert auf Wünschen und Hoffnungen. Der Treibstoff ist auf Autorenseite nicht selten die Enttäuschung darüber, dass der Erfolg mit dem letzten Buch ausgeblieben und man vom Verlag nicht gerade höflich behandelt worden ist.
Die Anti-Verlagsstimmung hat aber nicht nur viele Autoren erfasst. Zoë Beck berichtet von Freunden, Bekannten und Experten, von denen sie erstaunt gefragt wird, warum sie noch bei einem Verlag publiziert und ihre Bücher nicht gleich selbst als eBook zum Download bereitstellt. Kann sie denn nicht auf Verlage verzichten und auf eigene Faust publizieren? Hat nicht gerade der Dings mit seinem Krimi über Amazon eine Million Euro verdient? Oder waren es zehn Millionen? Dollar? Oder Exemplare?
Ernsthaftes Rechnen
Beck findet solche Fragen eigentlich nicht allzu lustig. Sie erinnert daran, dass es für die Autoren beim Schreiben um die ernsthafte Frage nach dem Leben und Überleben geht. Sie müssen sich deshalb ernsthaft mit dem Digital Publishing auseinandersetzen, statt spaßeshalber mit Halbwissen zu hantieren.
Beck erinnert auch daran, dass zu dieser Ernsthaftigkeit gehört, jene Tellerwäscher-Millionär-Geschichten, die über eBooks erzählt werden, konkret nachzurechnen. So konkret, dass man am Ende auf den Betrag kommt, der hängen bleibt, wenn man neben dem Schreiben auch noch das Lektorat, den Satz, die Covergestaltung und das Marketing selbst übernimmt.
Das ist nämlich nicht viel. In den seltensten Fällen ist es mehr, als ein Autor von einem seriösen Buchverlag bekommt. Zwar gibt es immer wieder selbst publizierte eBooks, die sich überraschend gut verkaufen. Doch statistisch gesehen fallen die genauso wenig ins Gewicht wie jene Bücher, die von den Verlagen auf gut Glück gedruckt werden und sich dann plötzlich als veritable Bestseller entpuppen. Es gibt sie. Aber man darf sie nicht mit dem Durchschnitt verwechseln. Erst wenn sich nachweisen lässt, dass die eBook-Autoren nicht nur in Spitzenfällen, sondern in der Breite das Honorar bekommen, das Printverlage zahlen, ändert sich das Bild.
Die kränkende Beziehung
Eigentlich geht es Zoe Beck aber gar nicht ums Geld. Viel lieber denkt sie über die Arbeitsbeziehungen zwischen Autor und Verlag nach. Und liest man ihr Statement, dann weiß man: Die Erfahrungen, die sie und ihre Kollegen in dieser Beziehung gemacht haben, sind äußerst ambivalent. Um nicht zu sagen: eigentlich schlecht.
Wenn ein Buch im Verlag nämlich nicht als Top-Titel platziert wird, läuft man ganz hinten mit. Dann können Autoren froh sein, vom Lektor gut betreut, vom Marketing anständig beworben und von der Öffentlichkeitsarbeit hin und wieder ins Rampenlicht geschoben zu werden. Dass die Verleger sich bei solchen Mitläufern vorausblickend um ein zweites oder drittes Buch bemühen und den erfolglosen Autor an den Verlag binden, ist mittlerweile so gut wie ausgeschlossen. Auf langfristige Bindungen wird heute nur noch selten gesetzt. Die beliebteste Strategie ist der Schnellschuss ins Dunkle. Was nicht trifft, ist raus.
Erinnerungen an das Paradies
Also dann eben nichts wie raus aus einer Beziehung, die, weil sie allein von Erfolg oder Misserfolg abhängt, so häufig von Kränkungen begleitet und selten von echter Freundschaft oder gar Liebe geprägt wird. Aber wohin dann, wenn man nicht bleiben will?
Am besten weit weg. Doch kaum malt sich Zoe Beck die verlagslose Freiheit der eBook-Autoren aus, schreckt sie zurück. Denn Freiheit heißt eben auch: alles selber machen zu müssen. Wer sein eigener Verleger ist, der eigene Designer, der eigene Marketingchef und der eigene Pressesprecher, wer obendrein noch rund um die Uhr den direkten Kontakt zu seinen Lesern pflegen und sie mit guten Lesungen beglücken will, entdeckt irgendwann die Vorteile der Arbeitsteilung. Dann erinnern sich Autoren plötzlich an den Verlag wie an ein verlorenes Paradies.
So wie Zoe Beck das tut. “Es hat was von zu Hause, irgendwie”, schreibt sie so melancholisch, dass man fast den Seufzer hört. “Da gehört man hin, corporate identity, sozusagen. Da kümmert man sich (meistens ja doch) um einen. Die Lektorin hört zu, wenn man über die Schreibblockade jammert. Das Marketing lässt mit sich reden, wenn das Cover überhaupt gar nicht geht. Die Vertriebschefin stellt einen auf der Buchmesse irgendwelchen Buchhändlern vor, mit denen man sich blendend versteht und die einen gleich für Lesungen buchen. Die Presseabteilung geleitet einen unfallfrei durch den Lesungsherbst. Deshalb spricht, für die professionellen Autoren, noch zu viel gegen ein self-publishing. Ja, die Ausnahmen gibt es immer, aber die breite Masse ist noch recht gut im Verlagswesen versorgt.”
“Wir brauchen ein enges Verhältnis zum Verlag”
Damit steht bei Beck das eine unvermittelt neben dem anderen. Wie in einer alten Beziehung, von der man meint, dass man sie nicht mehr haben will, sich aber davor fürchtet, am Ende ganz alleine dazustehen.
Und wie es in alten Beziehungen so ist, hofft Beck darauf, dass wenigstens der andere sich ändert, um alles zu retten. In diesem Fall: die Verlage. Denn “da es nicht der erste große Umbruch in der Branche ist, in dem wir gerade stecken, wird auch diesmal die Buchwelt nicht für immer untergehen. Sie wird sich ändern, und mit ihr die Verlage in ihren inneren Strukturen – das müssen sie, um konkurrenzfähig zu bleiben, aber auch, um die wichtigen, geldbringenden Autoren zu halten”.
Beck hofft, dass es auch jenseits davon immer weiter “Leute geben wird, die professionell Geschichten schreiben“ und meint damit natürlich sich. „Da wir meistens einsam an unseren Schreibtischen sitzen, sind wir ganz froh über Unterstützung in anderen Bereichen. Aber auch froh, wenn alles etwas transparenter für uns wird. Je mehr wir verstehen, desto besser können wir auch agieren. Wir sind näher an unsere Leser gerückt, weil wir Tag und Nacht im Netz mit ihnen kommunizieren können. So verstehen wir, warum sie unsere Bücher mögen. Oder auch nicht. Wir brauchen ein enges Verhältnis zum Verlag, um gemeinsam genau die Bücher entstehen lassen zu können, die wir schreiben wollen.”
Der falsche Wunsch, dass alles beim Alten bleibt
Damit fordert Beck eine sanfte Reform, wo es doch eigentlich um die Konsequenzen der digitalen Revolutionen geht. Tatsächlich versucht sie das ideale Verlagsmodell als kuschelige Wohngemeinschaft genauso zu retten wie das Bild vom einsamen Autor, der ganz für sich an seinem Werk sitzt und jenseits von Multitasking seine Individualität realisiert, die später das Publikum durch den Text hindurch lesend genießen soll.
Dahinter steht bei Beck nichts weiter als die Hoffnung, dass sich die alte Buchkultur unter den neuen Bedingungen noch einmal so simulieren lässt, als sei nicht nur alles beim Alten geblieben, sondern das Alte auch noch irgendwie besser, als es vorher jemals war.
Das aber wird bloße Hoffnung bleiben. Denn schon an Zoë Becks Stellungnahme lässt sich ablesen, dass die Innovationen im Bereich des Digital Publishing derart viel durcheinander bringen, dass nichts mehr bleiben wird, wie es war. Und so kommt man nicht umhin, das Verhältnis zwischen Autoren und Verlagen grundsätzlicher zu überdenken, als Beck es tut – und dabei von Autorenseite noch genauer zu überlegen, wie man realisieren kann, was man eigentlich möchte.
Die nächsten Verlage…
Denn dafür wird man sich in Zukunft außerhalb der traditionellen Verlagsstrukturen Partner suchen können. Wenn es etwa darum geht, zwar alleine zu schreiben, aber nicht alleine sein zu wollen, dann braucht man Leute und Institutionen, deren Aufgaben entsprechend definiert und strukturiert sind. Autoren werden sie um sich herum als Teams zusammenstellen. Oder sie werden selbst zu bestehenden Teams stoßen, die ihrerseits auf der Suche nach Autoren sind.
Sie werden temporär kooperieren, um ein Projekt zu realisieren. Dann mischen sie sich wieder neu. Vielleicht bleibt der Autor beim nächsten Buch doch lieber wieder ganz allein und übernimmt all die Aufgaben, die er vorher ans Team delegiert hat. Vielleicht aber geht er auch für Wochen oder Monate in einem anderen Kollektiv auf, bei dem sein Name nichts, die kreative Schreibarbeit aber alles zählt.
Angesichts der Starrheit der literaturbetrieblichen Organisations- und Rollenmodelle scheint es kaum sinnvoll, darauf zu hoffen, dass sich die Verlage reformieren, um diesen neuen Anforderungen gerecht zu werden. Wenn sie es tun, dann wohl nur, indem sie wie bisher ihrer Auflösungsstrategie folgen und das Outsourcing von Kernkompetenzen betreiben.
Dadurch sind mittlerweile viele freie Lektoren, Marketingexperten, Designer auf dem Markt. Die haben soviel kreatives Potential, dass sie damit beginnen können, neuartige Verlage zu gründen. Die müssen dann gar nicht mehr Verlage heißen, weil sie als temporäre Zusammenschlüsse nicht nur darauf setzen, literarische Texte in den Buchhandel zu bringen. Ihr Angebot kann vielfältiger sein. Sie werden schneller sein. Vor allem werden sie sich auf die unterschiedlichen medialen Anforderungen von unterschiedlichen Projekten besser ausrichten können.
…und die nächsten Autoren
Und was passiert mit den Autoren? Auch die sollten nicht darauf hoffen, dass für sie alles beim Alten bleibt. Sie werden sich eben bei jedem neuen Projekt überlegen müssen, ob ein Team gebraucht wird und ob und wie es sich sinnvoll und kostengünstig zusammenstellen lässt.
Autoren werden sich dann zwischendurch auch immer wieder überlegen müssen, ob sie für ein nächstes Projekt ihre Rolle temporär umdefinieren und zum Teil eines Teams werden, das sie gar nicht selbst zusammengestellt haben.
Auf jeden Fall werden die nächsten Autoren unter diesen Bedingungen nicht mehr nur schreiben. Sie werden sich immer auch die Formatfrage stellen müssen und den Rahmen miterfinden müssen, in dem das Schreiben für sie möglich wird. Dabei geht es nicht mehr nur um den eigenen Text. Es geht immer auch um das Design der Kooperationen, durch die man mit dem Publikum in Kontakt kommt.
Die erfolgreichsten Stories wird dann erzählen, wer in der Lage ist, die besten Teams zusammenzustellen. Und die besten Stories wird erzählen, wer das alles als eine kollektive und transmediale Erzählung entwerfen und realisieren kann, die nicht in einem Buch endet und schon gar nicht auf einen Text beschränkt bleibt.
In der Diskussion geht verloren, dass Autorinnen und Autoren seit je her eigentlich nur eine zentrale Aufgabe, sozusagen eine Kernkompetenz, haben, nämlich gute Geschichten zu erzählen, unabhängig davon, in welcher Form sie die Leserschaft erreichen. Selbstverständlich beeinflussen neue Medien, Publikationsformen und neue Kommunikationswege Inhalt und Art des Erzählens. Kreative Arbeit auf der einen Seite und Vermarktungsmöglichkeiten auf der anderen haben originär nichts miteinander zu tun. Zoe Beck bringt mit einer großen Energie auf den Punkt, worum es geht. Ich habe die Differenzierung mit etwas weniger Zündstoff zwischen den Zeilen in meinem Blogbeitrag “Warum Autoren jammern dürfen, sich aber nicht beschweren sollten” versucht (http://schreibkraftfmr.wordpress.com/2012/07/27/warum-autoren-jammern-durfen-sich-aber-nicht-beschweren-sollten/) und mir gefällt, dass die Kollegin beides nicht tut!