Geschrieben am 1. September 2012 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Zoë Beck differenziert das e-Book-Thema

Natürlich kann jeder, der für seine Texte keinen Verlag findet, sich für ein verkanntes Genie halten und es der bösen Welt mal richtig zeigen: Mach ich halt ein e-Book. Auf der anderen Seite sind auch kluge, reflektierte und erfolgreiche Autoren zu e-Book-Verlagen wie amazon gewechselt. Unsicherheit beherrscht die Diskussion. Eine Differenzierung von Zoë Beck.

„Wieso sind Sie eigentlich noch bei einem Verlag?“

Das wird man im Moment ja dauernd gefragt, wenn man Bücher schreibt. Die Leute haben gehört, dass wir Autoren von unseren Verlagen schlecht behandelt werden und dass man doch wahnsinnig toll im self-publishing mit dem e-Book durchstarten kann. Ist ja nicht mehr so wie früher, als self-publishing noch pfui war und die Verlage ihre Autoren lieb hatten. Letztens erst meinte ein Urgestein der Verlagsbranche zu mir: „Kindchen, als ich noch in deinem Alter war, da sagte man uns, ohne Autoren wären wir nichts. Heute sagen die Verlagsmenschen: Ohne uns wären die Autoren nichts. Es geht ja nur noch ums Geldverdienen.“

Ach ja, dieses furchtbare, unwürdige Geldverdienen. Sagte nicht letztens erst eine sehr bekannte Verlegerin, es sei doch allgemein bekannt, dass niemand ernsthaft vom Schreiben leben kann, von wenigen Ausnahmen mal abgesehen?

Was wollen wir überhaupt alle, warum sind wir nicht einfach froh, dass jemand den Mist druckt, den wir absondern? Wo wir herkommen, da stehen noch tausend andere, die nur darauf warten usw.

Wer schreibt Bücher?

Also, was wir wollen: Bücher schreiben und damit Geld verdienen. Jetzt mal ehrlich. Diese Schreiberei mag weithin ein schönes Hobby sein, dem Rentner die Langeweile vertreiben, der Arztfrau die Boutique ersetzen. Es gibt aber auch uns, die wir das Schreiben als Beruf haben und den professionellen Status wirklich ernst nehmen, in jeder Hinsicht. Wir plotten und planen, schreiben, überarbeiten. Bilden uns weiter, recherchieren, feilen am Stil. Solche Sachen. Also, wir tun schon ein bisschen mehr als darauf zu warten, dass uns die Muse küsst, irgendwo zwischen Tiefkühltruhe und Cabriofahrt ins Grüne. Wir sind wirklich der Meinung, dass wir arbeiten. Für Leute, die gerne lesen, und die ein gewisses Niveau (auch und gerade an Unterhaltung) erwarten. Es ist sehr schwer, Menschen gut zu unterhalten.

 Sind Verlage grässlich?

Die Verlage, nun, inwiefern sind sie eigentlich so grässlich zu uns? Das ist schnell gesagt. Die Vorschüsse – für die Wenigsten sind sie üppig, und gerade mal wieder sinken sie. Die Beteiligungen – am verkauften Taschenbuch verdient man grob über den Daumen 50 Cent, am Hardcover um die 2 Euro. Nun muss man das nicht auf den Punkt genau ausrechnen, aber wer im Taschenbuch seine 5000 Stück verkauft, wird nicht sofort vom Verlag rausgeworfen, und ab einer fünfstelligen Verkaufszahl wird man zumindest mit dem richtigen Namen auf der Buchmesse angesprochen. Richtig, das ist nicht viel für die Arbeit, die in einem guten Buch steckt.

Am e-Book verdienen wir 25%, weshalb sich die Taschenbuchautoren über jeden bezahlten Download (da ist man dann fast bei 2 Euro) wie blöde freuen. (Bei den Hardcoverautoren fallen die Verkäufe vermutlich noch nicht so ins Gewicht, weil da die elektronischen Ausgaben noch viel zu teuer sind. Das ist aber gerade nicht Thema, wie teuer e-Books sein dürfen/müssen/wollen.) Nun bieten die Plattformen, bei denen man seine e-Books selbst hochladen kann, deutlich größere Gewinnspannen. Sehen wir uns den Branchenriesen amazon an, der gibt 70%, und jetzt darf wieder jeder ein bisschen rumrechnen, wie viel man selbst verdient bei einem niedrigen Preis von, sagen wir 3,99 Euro (abzüglich allerdings 19% MWSt, die ist höher als beim gedruckten Buch), so im Vergleich. Außerdem quält man sich nicht mit einer Marketingabteilung herum, die ein total dämliches und sachlich falsches Cover auf das Buch klatscht („Das ist ein Bild aus dem 18. Jahrhundert, und mein Buch spielt im Mittelalter!“, jammerte letztens wer, oder: „Die Landschaft ist Südschweden, das Buch spielt aber in Nordschweden.“), man kann sich den Titel draufschreiben, den man seinem Werk von Anfang an geben wollte, und wer jetzt sagt: Aaaber die Profis!, der schaue nach den USA, wo amazon genau diese Profis am Start hat. Der amazon-Autor bekommt Proficover, wird in allem beraten, sogar lektoriert. Den Vertrieb macht amazon. Für die Aufmerksamkeit sorgt, neben amazon auf der eigenen Plattform, der Autor.

Das Marketing

Das müssen Verlagsautoren in den meisten Fällen sowieso schon selbst tun. Wer nicht gerade den Jackpot hat und mit einem Marketingetat beworfen wird, steht blöd da. Keine Werbung, keine gekauften Tischplätze bei den Ketten, um in entsprechenden Stapeln dort zu liegen, kein gar nichts. Öh – und jetzt? Ja. Und dann war da noch der kleine Vorschuss. Und der Ärger wegen des Covers. Und ach, die Vorlaufzeit, ein halbes Jahr früher, und das Buch wäre der Megaburner gewesen, aber diese Vorlaufzeiten! Auch da ist amazon naturgemäß flexibler. Wenn das Buch fertig ist, wird es hochgeladen. Zack. Für Nischen-/special interest-Autoren ohnehin das Beste, was sie machen können. Sie finden ihre Leserschaft nicht unbedingt über die Buchhandlungen. Sondern über Foren oder andere Netzwerke, über word of mouth, wie auch immer. Statt des kleinen – wenn überhaupt – Vorschusses gibt es das Geld eben etwas später. Wir reden hier ja nicht über Summen, die einen nennenswerte Sprünge machen ließen, oder gar die fünfköpfige, frierende Familie vorm Hungertod hätten retten können.

Die Mid-List

Ab dem sogenannten Mittelfeld sieht es schon wieder etwas anders aus. Reden wir mal von Autoren, die im Jahr zwei bis drei Bücher schreiben, unterschiedliche Genres. Die sagen: Ja, ich lebe vom Schreiben. Bei denen wäre es nicht mehr ganz so leicht, auf die Verlagsvorschüsse zu verzichten, zumal einen ein Verlag ja auch möglicherweise noch eine Weile mitzieht, obwohl man einen Flop hinter sich hat. Und doch lockt die Vorstellung, die eigene Fanbase zu mobilisieren und drauf zu warten, dass amazon als Verleger endlich mit diesen Traumkonditionen in Deutschland einschlägt. Kann ja nicht mehr lange dauern. Weil dann auch für das Mittelfeld der Ärger über nicht vorhandene Werbung, Unmut auslösende Cover und verwirrende Titelgebung wegfällt. Für den – übrigens sehr wahrscheinlichen – Fall, dass man nämlich nun bei den ersten Schnellschüssen im e-Book merkt, dass man das mit Cover und Titel auch nicht wirklich besser draufhat als „die da“, wartet man einfach auf die amazon-Profis, die es dann richten werden. Wenn amazon den eigenen Verlag hat, wird es auch amazon-Buchhandlungen so mit „in echt“ in der Fußgängerzone geben. Statt Thalia und Hugendubel und wie sie alle heißen, die ja immer schon genervt haben, besonders dann, wenn sie nicht einen Sondertisch oder gar ganze Wände mit dem eigenen Buch in der Filiale ums Eck hatten. Also auch beim Mittelfeld gibt es Gründe, nervös zu werden. Und die Bestsellerautoren? Die sind garantiert gleich weg, wenn amazon ruft. Die verkaufen so oder so. Warum nicht gleich sehr viel höhere Gewinne einstreichen?

Was tun – im Buchverlag?

Die Verlagsmitarbeiter sitzen aus genau diesen Überlegungen heraus deutlich frustriert in ihren Büros und jammern. „Wie soll ich denn einem Autor erklären, dass sein Buch erst 2014 erscheint, wenn er mir heute das fertige Manuskript gibt?“, sagt einer. Schnelles Publizieren, flexible Erscheinungsdaten, das wäre einer der wichtigsten Punkte, auf die sich die Verlage einstellen müssten. Und auf die Vielfalt setzen, was in Zukunft besser möglich sein sollte als bisher. Statt weniger Spitzentitel und einer Menge Platzhalter und Pausenfüller ein qualitativ solides, inhaltlich breites Programm anbieten und entsprechend breit vermarkten. Nicht mehr einer bekommt die 300.000 Euro für Plakate, Stofftierchen und Fernsehwerbung, sondern die Summe wird auf mehrere Titel verteilt. Wie das? Keine Ahnung. Ich hab kein Marketing studiert. Aber ich weiß nur, dass diese Me-Too-Produkte, das Massenproduzierte nichts mit Nachhaltigkeit zu tun haben. Oder mit dem Aufbau von Autoren.

Kuschelfaktor

Genau das ist ja das Fatale: amazon winkt mit Versprechen, die die renommierten Verlage geben sollten. amazon gibt den Autoren dieses kuschelige Gefühl, mit ihrer Arbeit ernst genommen zu werden. Dass da auch wieder nur ein Konzern mit dem Interesse an Gewinnmaximierung dahintersteckt – wollen wir das wissen? Nachdem man uns jahrelang gesagt hat, wir sollen uns nicht so für Geld interessieren, wir würden eh nicht genug verdienen, um davon leben zu können? Oder, ein Zitat: „Mädchen, frag nicht immer nach dem strategischen Kram, davon verstehst du nichts. Schreib einfach.“

Wäre schön, wenn Autorsein so funktionieren würde. Hat es jemals so funktioniert? In der „guten alten Zeit“, die das Verlagsurgestein heraufbeschwor, als er meinte, früher wären sie noch einem Autor mit Ehrfurcht begegnet? Ich weiß es nicht, ich war nicht dabei. Aber heute funktioniert es nicht mehr. Die Lektorate sind überarbeitet, weil sie durch die Fülle der Platzhaltertitel (das sind die, die dann in der Vorschau den kleinsten Platz haben, also sehr viele pro Vorschau und Verlag), in die sie ja genauso viel Zeit und Arbeit stecken müssen wie in jedes andere Buch, keine Möglichkeit mehr haben, um wirklich intensiv an Sprache, Form, Inhalt zu arbeiten. Also sollte man als Autor selbst ein kritisches Auge darauf haben. Vom Marketing bekommt man, wenn sie überhaupt wissen, dass man existiert, gerne mal gesagt, man solle doch bitte mit dem iPhone einen eigenen Trailer drehen. „Die Leute mögen das, das ist so authentisch.“ Auch das ist nicht böse gemeint. Sie haben keinen Etat für kleine Fischchen. Sie wissen aber, dass es soziale Netzwerke gibt, das macht ein Autor dann ja sowieso selbst, und schon ist man sein eigener Werbefachmann.

Tritt sich fest …

Nicht, dass die Marketingmitarbeiter faul wären. Im Gegenteil, deren Druck will man auch nicht haben. Aber der Fokus liegt auf den paar Spitzentitelkampagnen, die unbedingt klappen müssen, sonst gibt es mächtig Ärger. Wenn einer von den Kleinen absäuft, merkt das keiner. Lass ihn liegen. Tritt sich fest. Egal. (Denen sagt man dann: „Wenn es die großen Bestseller nicht gäbe, die wir mit Mühe durchdrücken, wäre nicht genug Geld für eure Vorschüsse da!“ Aha.)

Die Verlage haben sich selbst in dieses System manövriert. Sie können sich da auch genauso wieder selbst rausziehen. Die Angst vor amazon und der Zukunft und „Ach was machen wir denn ohne die Buchhandelsketten, das ließ sich immer so schön kalkulieren“ würde dann deutlich gemindert.

Rohstoff

Zwei Rohstoffe sind in unserem Geschäft wichtig: Geld (da ist es wieder) und Geschichten. Für die Geschichten braucht es Autoren. Natürlich funktionieren immer mal wieder solche Kollektivideen, ein Team entwickelt, ein anderer schreibt auf. Aber es hat sich auch gezeigt, dass ein Dan Brown nicht einfach mit dem nächsten Vatikanthrillerschreiber ersetzt werden kann. Nicht jedes lustige Frauenbuch erreicht die Leserinnen von Kerstin Gier oder Anne Hertz. Nur weil der Kommissar schlecht gelaunt durch Schweden läuft, sind die Verkaufszahlen nicht wie bei Henning Mankell. Es gehört mehr dazu als das Genre, das auf dem Cover steht. Deshalb braucht es die einzelnen Autoren.

Corporate Identity

Und die fühlen sich bisher, bei allem Gemecker, doch ganz wohl mit dem Prinzip „Verlag“.

Es hat was von zu Hause, irgendwie. Da gehört man hin, corporate identity, sozusagen. Da kümmert man sich (meistens ja doch) um einen. Die Lektorin hört zu, wenn man über die Schreibblockade jammert. Das Marketing lässt mit sich reden, wenn das Cover überhaupt gar nicht geht. Die Vertriebschefin stellt einen auf der Buchmesse irgendwelchen Buchhändlern vor, mit denen man sich blendend versteht und die einen gleich für Lesungen buchen. Die Presseabteilung geleitet einen unfallfrei durch den Lesungsherbst. Deshalb spricht, für die professionellen Autoren, noch zu viel gegen ein self-publishing. Ja, die Ausnahmen gibt es immer, aber die breite Masse ist noch recht gut im Verlagswesen versorgt.

Und da es nicht der erste große Umbruch in der Branche ist, in dem wir gerade stecken, wird auch diesmal die Buchwelt nicht für immer untergehen. Sie wird sich ändern, und mit ihr die Verlage in ihren inneren Strukturen – das müssen sie, um konkurrenzfähig zu bleiben, aber auch, um die wichtigen, geldbringenden Autoren zu halten. Der Vertrieb wird sich ändern, weil sich das Einkaufsverhalten verändert hat und die kleinen Buchhandlungen wieder zugewinnen können. Was vermutlich – wer weiß das schon – bleibt, ist, dass es Leute geben wird, die professionell Geschichten schreiben. Und da wir meistens einsam an unseren Schreibtischen sitzen, sind wir ganz froh über Unterstützung in anderen Bereichen. Aber auch froh, wenn alles etwas transparenter für uns wird. Je mehr wir verstehen, desto besser können wir auch agieren. Wir sind näher an unsere Leser gerückt, weil wir Tag und Nacht im Netz mit ihnen kommunizieren können. So verstehen wir, warum sie unsere Bücher mögen. Oder auch nicht. Wir brauchen ein enges Verhältnis zum Verlag, um gemeinsam genau die Bücher entstehen lassen zu können, die wir schreiben wollen.

Zoë Beck

Zoë Becks Homepage und Fanseite bei Facebook.

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