
Deutscher Kuchen hinterm Mond
Hallo, ich bin Iris aus Berlin, und ich fühle mich wie Rosa Luxemburg. Ich bin zwar nicht in die, sondern aus der Schweiz geflohen, aber ich bin ganz sicher, dass es viele Leute gibt, die mich aufgrund meiner politisch brisanten Kolumne (naja ok, wahrscheinlich eher weil sie mich einfach doof finden, oder weil sie gerade irgendwie mies drauf sind wegen Corona und so), am liebsten in den Landwehrkanal schmeissen würden. Wie Rosa habe ich lange Haare und eine markante Nase, und mein Vorname hat auch vier Buchstaben. Ich war schon viele Male am Rosa-Luxemburg-Platz und habe mich da eigentlich immer nur schlecht gefühlt, weil ich nicht an der Volksbühne engagiert… Nee, ich merke, das wird nichts.
Wahrscheinlich ist mir Rosa nur deshalb eingefallen, weil ich gerade von einem Gastspiel in Luxemburg zurückkomme. Wir haben dort SCHTONK! gespielt. Die wenigen Vorstellungen, die von einer dreimonatigen Tournee übriggeblieben sind – zufällig ein paar Tage bevor auch dort die Theater schließen mussten. Die wenigen Menschen, die die Vorstellungen besuchen durften, lachten hinter ihren Masken über sentimentale Alt-Nazis und die gekonnten Hitler-Parodien. Und zwar – da bin ich mir ziemlich sicher – nicht, weil sie den Nationalsozialismus verharmlosen oder den Diktator mit dem albernen Schnäuzer nicht ernst nehmen – schließlich waren die Ardennen quasi ein Nazi-Hotspot. Im Gegenteil, ich denke, wenn der Adolf einfach nur ein armer psychisch Kranker und ein talentfreier Kunstmaler geblieben wäre, würde es kaum jemandem Spaß machen, über ihn zu lachen. Zumal man ihn dann heute auch überhaupt nicht mehr kennen würde.
Es sei leicht, über Jana aus Kassel zu lachen, lese ich. Ja, das ist es. Aber deswegen muss es nicht falsch sein. Es wäre falsch – und das meint die Kritik am Gelächter wahrscheinlich – wenn man über die Auswüchse (Jana) lachen und dabei die Taktik von AfD und Konsorten (Geschichtsrevisionismus) nicht ernst nehmen würde. Lächerlichkeit und Monstrosität schließen sich nicht aus. Im Gegenteil, sie scheinen gerne im Doppelpack aufzutreten: Hitler, Trump und der Joker sind nur ein paar wenige der allgemein bekannten Beispiele.
„Humor ist das, was uns daran hindert, aus dem Fenster zu springen.“ Ich glaube George Tabori hat das gesagt. Und wenn ich den Stimmen in meinem Bekanntenkreis und denen in den sozialen Netzwerken glauben darf, sind es im Moment nicht diejenigen, die was von „Ich will mein Leben zurück!“, „Freiheit!“ und „Nieder mit der Corona-Diktatur“ herum krakeelen, die manchmal am liebsten aus dem Fenster springen würden. Obwohl sich in dieser Gruppe auffällig viele Herren im Risikopatienten-Alter finden, legen deren Mitglieder eine erstaunliche, wahrscheinlich nie gekannte Vitalität an den Tag. Es sind „die Guten“ (sag ich jetzt einfach mal so, weil sie so sind wie ich), diejenigen, die begreifen, dass sie nicht Kunden der Gesellschaft, sondern Teil davon sind, diejenigen, die den kategorischen Imperativ, selbst wenn sie googeln müssen, was das ist, zu leben versuchen, diejenigen, die an Menschlichkeit glauben, an die Vernunft, an Gerechtigkeit, Solidarität und eine wirkliche Freiheit, die nur die Freiheit aller sein kann: Diese Menschen sind zunehmend erschöpft und verlieren an Lebenskraft und -freude. Das Lachen über die Bestialität, die sich hinter den Auftritten unzähliger kleiner Gruselclowns verbirgt, könnte uns Kraft geben, uns dem entgegenzustellen.

Lachen ist gefährlich. Nicht umsonst haben die Nazis, haben alle Diktaturen Kabarettisten und Karikaturisten so unerbittlich verfolgt; nicht umsonst galt der furchtbare Anschlag 2015 mit Charlie Hebdo einer Satirezeitschrift. Lachen verbindet und ist seit jeher ein soziales Korrektiv. Wenn die Mehrheit nicht über Menschen lacht, die sich gesellschaftsschädigend verhalten, fehlt es. Und wenn jetzt hier auch nur einer denkt: „Ein solches Denken treibt doch nur die Spaltung voran! Die Boss ist einfach nicht offen für andere Meinungen und Perspektiven“, dann schreie ich! – Es gibt Menschen, Ideologien und Taten, von denen möchte, muss ich mich ganz eindeutig distanzieren, wenn ich noch in den Spiegel sehen will. Ob es sich dabei um Träger*innen von Reichskriegsflaggen oder von Herzchen-Luftballons (mit Kindern als Schutzschild) handelt, ist für mich dabei gar nicht so relevant. Es kommt auf den Kontext an. Und da sind mir Reichskriegsflaggen vielleicht sogar noch ein bisschen lieber, weil ehrlicher. Wenn sich Menschen in einer Gesellschaft rücksichtslos, ignorant und dumm benehmen (ja, auch wenn die Hintermänner und -frauen vielleicht clever sind, die Vordermenschen sind oft himmelschreiend dumm, strunzdoof, hohl und beschränkt – ist so, daran ändert alle Toleranz nichts), könnte das kollektive Gelächter über sie das Kampfgeheul sein für den Angriff auf diejenigen, die die Witzfiguren installiert haben, um tatsächlich unsere freie und demokratische Gesellschaft zu spalten.
Mir ist mein Kriegsjargon bewusst und nicht angenehm. Aber ich habe das Gefühl, dass es um einen Kampf geht, der geführt werden muss, den man nicht wegmeditieren, nicht wegtolerieren kann. Der Kampf um die eigene Haltung wäre das Mindeste und ein Anfang.
Dafür, für meine Haltung einzustehen und meine tiefsten Werte nicht zu verraten, würde ich mich tatsächlich in den Landwehrkanal schmeissen lassen (aber nur, wenn es nicht zu kalt ist) und fühle mich jetzt doch ein bisschen wie Rosa Luxemburg.

Ich wünsche mir ein Gelächter, ein fürchterliches, ohrenbetäubendes Gelächter, das all die grotesken Geisterbahnfiguren zurück in die Dunkelheit der Bedeutungslosigkeit scheucht. Denn die Aufmerksamkeit, die sie gerade bekommen, verdienen sie nicht! Was ich an dieser Sache nämlich wirklich traurig finde, ist, dass man über Jana aus Kassel spricht. Eigentlich müsste man über den namenlosen Ordner sprechen. Er ist für mich ein heldenhaftes Beispiel für gewaltfreien Widerstand und Zivilcourage! Das, liebe Kindergarten-Rebellen, verstehe ich unter „heute schreiben wir Geschichte“.
Ein Funfact zum Thema Humor übrigens noch: Studien belegen, dass Humor vor der Anfälligkeit für Verschwörungstheorien zu schützen scheint. Das hat etwas damit zu tun, dass das Talent für Komik ein sowohl holistisches als auch ein analytisches Weltbild erfordert. Diese Kombination wiederum scheint auch mit einer Neigung zu Depressionen und Suizidalität einherzugehen. Womit wir wieder beim „aus dem Fenster springen“ wären. Und womit ich mich jetzt in einen totalen Widerspruch hineingeschrieben habe: Hindert uns der Humor nun daran aus dem Fenster zu springen oder bringt er uns gerade dazu? Schützt mich der Glaube an Echsenmenschen hinter dem Mond vor Depressionen?
Ich jedenfalls, liebe Freunde vor und hinter dem Mond, werde mich auch im Dezember nicht aus dem Fenster stürzen, und das mit dem Landwehrkanal lassen wir auch, bis die Wassertemperaturen wieder mindestens 25 Grad erreichen. Garantiert ins Wasser fällt hingegen meine Dezember- , sehr wahrscheinlich auch die Januar-Tour. Da ich so überhaupt keine Lust habe, die gewonnene Zeit mit Gedanken über Jana und Co zu verschwenden, sowieso eigentlich keine Lust mehr habe, über irgendwas nachzudenken, erwäge ich, die Quatsch-Denker-Front zu gründen: Einfach den ganzen Tag nur „lalülala“ und so denken. Mit ohne Corona und Politik und alles. Als Schirmherrn könnte ich mir Peter Altmaier vorstellen: Der denkt nicht nur Quatsch, der sagt ihn sogar: „Einkaufen ist eine patriotische Aufgabe.“ Nichts von wegen sich Gedanken machen, dass es nicht wenige Menschen gibt, die nicht wissen, wie sie im Dezember ihrer Miete zahlen sollen. Nein, ist doch ganz einfach: Das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden und sich ansonsten nicht so´n Kopp machen. Frei nach dem Motto: „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“ – Deutschen Kuchen natürlich – Patrioten-Ehrensache!

Ich wünsche Euch schöne „härteste Weihnachten, die die Nachkriegsgenerationen je erlebt haben.“ (Ich höre mitleidiges Seufzen aus den Gräbern der Trümmerfrauen und Kriegskrüppel – die mussten sich immerhin nicht mit Fresskomas und Serien-Binge-Watching rumschlagen.) – Been there, done that. Das kann uns keiner mehr nehmen! Geniesst die Tage in Freiheit! Ja, früher hat man die Zähne zusammengebissen, um die paar Tage Familienhölle über Weihnachten durchzustehen, jetzt ist es plötzlich Ausdruck der Freiheit, sich dieser Hölle ausliefern zu dürfen. – Und dann treffen wir uns im Januar wieder. Also nur digital natürlich, da die Zahlen dank Patrioten-Shopping, exzessivem Oma- und Opa-Knuddeln und dem erhöhten Aerosole-Aufkommen durch das verwandtschaftliche sich Anbrüllen unterm Weihnachtsbaum dann pünktlich zum Jahresende wieder richtig schön hoch sein werden. Und falls Ihr dann doch noch zu positiv drauf sein solltet (und positiv ist ja das neue negativ – höhö): „Querdenken“ kündigt am 31.12. eine bundesweite Demo in Berlin an. Sollte es also zu Silvester tatsächlich kein Feuerwerk am Brandenburger Tor geben, gibt es dort statt Knallkörper wenigstens jede Menge Knallköppe. Und deren Aufmarsch schützt zwar nicht vor dem Virus – im Gegenteil – aber dafür vor peinlich kitschigen „Im neuen Jahr wird alles besser“-Gefühlen. In diesem Sinne,
Eure Hobby-Virologin und Kolumnistin des Vertrauens,
Rosa… äääh… Iris Boss

Iris Boss lebt und arbeitet in Berlin. Dort studierte sie Schauspiel und verließ die Universität der Künste mit einem Diplom mit Auszeichnung. 2001 und 2002 wurde sie mit einem Stipendium für Schauspielnachwuchs der Ernst Göhner Stiftung ausgezeichnet. Seitdem ist sie auf allen Feldern des Schauspielerberufs tätig. Neben der Arbeit auf der Bühne ( u.a. Volksbühne Berlin, Junges Theater Göttingen, Konzertdirektion Landgraf), steht sie für Film- und Fernsehproduktionen vor der Kamera, ist in Hörspielen ( u.a. RBB) zu hören, tritt mit Lesungen auf und arbeitet als Moderatorin und Synchronsprecherin. In ihrem Blog „bossbloggt“ schreibt sie über ihre Beobachtungen und Gedanken auf langen Theatertourneen durch die deutschsprachige Provinz und in ihrem Berliner Alltag.
Iris Boss bei CulturMag.