
Klaus Pelzer und der unaussprechliche Dämon
Inspiriert von einem lustigen Spruch, gefunden bei webfail.de
Klaus Pelzer ist ein Geisterjäger. Keiner der Sorte wie John Sinclair, der den Teufel und seine höllischen Dämonen in Diskotheken, Spukhäusern oder in verfluchten Klosterruinen jagt. Klaus Pelzer ist vorzugsweise im Internet unterwegs, in den Augen mancher die Hölle von heute. Hin und wieder jagt er auch alte Götter in Kleingartenkolonien oder exorziert ans Internet angeschlossene Mädchenpuppen, die von einem Hacker übernommen wurden. Und manches Mal entpuppt sich ein scheinbar paranormales Phänomen als Kriminalfall …
Das etwa mannshohe Geschöpf sprang aus dem Stand zwei Meter weit und landet mit einem ohrenbetäubenden Krachen in dem dreisitzigen Ecksofa SNOGGE. Das Wesen schaute in die Richtung von Klaus Pelzer. Die drei Augen in dem froschförmigen Kopf blickten den Geisterjäger lauernd an, fast so, als überlege es, Pelzer als nächstes ins Visier zu nehmen. Dann aber wandte es in sich in eine andere Richtung und kurze Zeit später ging die Vitrine FABRIKÖR mit einem Scheppern zu Bruch. Pelzer fragte sich, wie lange das Geschöpf noch Interesse für die Ausstellungsstücke aufbrachte. Angesichts der bisherigen Spur der Zerstörung konnte das nicht mehr lange dauern.
Neben ihm stand der Filialleiter. Vor einer Stunde hatte dieser ihn angerufen. Ein Ungeheuer sei plötzlich aufgetaucht und Pelzer solle es verscheuchen, schließlich sei er, laut Branchenbuch, ein „Geisterjäger“. Er habe sich das Okay der Konzernzentrale eingeholt und ansonsten solle über die ganze Sache geschwiegen werden. Gemeinsam schauten sie jetzt zu, wie das Wesen aus dem 2 Personen-Bettsofa VIMLE Kleinholz machte. SNOGGE, FABRIKÖR und VIMLE, dachte Pelzer. Das bedeutete drei Bedrohungen weniger.

„Das ist ein Dämon“, sagte Pelzer nun, „und er hat einen Namen.“
„Einen Namen?“, fragte der Filialleiter zurück. „Was spielt das für eine Rolle, ob er einen Namen hat? Sie sollen dafür sorgen, dass er wieder dorthin zurückkehrt, wo er hergekommen ist.“
„Das ist Teil der Lösung“, gab Pelzer geheimnisvoll zurück. „So wie er gekommen ist, soll er auch wieder verschwinden. Wo ist der Dämon das erste Mal gesichtet worden?“, fragte Pelzer und holte einen Kugelschreiber hervor. Vom Schreibtisch FREDDE nahm er einen Notizblock.
Der Filialleiter zeigte auf eine Ecke. „Dort hinten“, sagte er. „Mit einem Mal war eine Art Pfeifen zu hören, dann erschien so etwas wie ein „Portal“, daraus ist das Ungeheuer entsprungen und hat augenblicklich begonnen, die Ausstellungsstücke zu zerstören.“
„Okay“, sagte Pelzer. „Gehe ich recht in der Annahme, dass sich zuvor ein Kunde nach einem bestimmten Möbelstück erkundigt und einen Namen gesagt hat?“
„Ja, in der Tat“, bestätigte der Filialleiter. „Woher wissen Sie das?“
„Welche Möbel oder besser gesagt welches konkrete Möbelstück wird in dieser Ecke ausgestellt?“, fragte Pelzer weiter, ohne auf die Frage des Filialleiters einzugehen.

„Dort finden Sie nur die grau/grüne Tür/Schubladenfront …“ Blitzschnell drückte Pelzer dem Filialleiter die Hand auf den Mund.
„Nicht aussprechen“, flüsterte er dem Filialleiter zu.
„Vermutlich wissen Sie, dass die Namen der Möbel für Verwirrung bei den Kunden sorgen“, erklärte Pelzer. „Die Leute denken, das seien schwachsinnige Bezeichnungen oder haben Sorge, sie nicht richtig aussprechen zu können. Deshalb sagen Kunden niemals den Namen der Möbel. Sie zeigen drauf, nehmen den Katalog zu Hilfe oder sie lassen sich beraten und sagen dann: „Gut, das nehme ich.“ Schreiben Sie den Namen auf, denn der Dämon wurde beschworen, weil ein Kunde aus der Reihe getanzt ist.“
Er nahm die Hand wieder weg.
Hoffentlich ist es ein unscheinbarer Name, dachte sich Pelzer. Einer, den man unfallfrei aussprechen kann. Der Filialleiter dachte einen Moment nach, dann schrieb er was auf das Papier, strich es durch, überlegte weiter, griff dann zum Katalog und reichte schließlich den Zettel an Pelzer.
Oh nein, dachte er kurz darauf und fing an zu überlegen. NOT WIKEN, NOT FICKEN, NO Twicken, NO TVIKEN, N OTWICKEN.
„Notieren Sie die Betonung“, forderte er den Filialleiter auf und reichte erneut Kugelschreiber und Notizblatt.
„Das geht nicht“, antwortete dieser. „Was Sie über die Kunden meinten, gilt auch für das Personal. Wir sagen immer nur „grau-grüne Tür/Schubladenfront.“
„Verdammt“, stieß Pelzer hervor. Er griff nach dem Rucksack und holte das Buch hervor, dass er vor seinem Aufbruch eilig hervorgekramt hatte. Es roch muffig, was am Alter lag. Ein Nachdruck von 1899, billig auf dem Flohmarkt erworben. In Geisterjäger-Kreisen besaß jeder eine Ausgabe, obwohl es noch nie benutzt worden war und man auch nicht wissen konnte, ob es jemals gebraucht wurde.
„Was ist das?“, fragte der Filialleiter.
„Ein Zauberbuch“, antwortete Pelzer. „Es trägt den Titel: Von der Beschwörung und dem Verschwinden von allerlei merkwürdigen Wesen an einem merkwürdigen Ort, wo viele Dinge sind, die merkwürdige Namen tragen. Das ist allerdings ein moderner Titel. Der ursprüngliche lautete: Ich weiß nicht, was es bedeuten soll und warum ich es geschrieben habe von Hieronymus von Tüllenbach.
Pelzer schlug das Inhaltsverzeichnis auf. Ihm fiel gleich ein Name auf und er zeigte dem Filialleiter den Eintrag. „Oh, das ist ein 3er-Bettsofa da hinten links. Da, wo das Ungeheuer gerade drauf gesprungen ist. Ein Renner im Sortiment.“
„Dann seien Sie froh, dass es nicht mehr zur Gefahr werden kann“, sagte Pelzer. FRIHETEN, las er und schlug die entsprechende Seite auf. „Wie der Name schon andeutet, werden mit der Ausrufung drei Dämonen beschworen“, erklärte Pelzer dem Filialleiter. „HETEN steht dabei für „Heterosexuell“. Die drei Dämonen sind sinnlicher Natur, das heißt, sie umtreibt ein körperliches Bedürfnis.“
„Interessant“, sagte der Filialleiter. „Hätte sich der Kunde doch für das Produkt entscheiden. Dann hätte es ein wenig Aufregung gegeben, okay, aber wenigstens nicht so ein Chaos.“
Pelzer schüttelte den Kopf. „Da irren sie sich. Die Sinnlichkeit der drei Dämonen ist vampiristischer Natur. Sie stürzen sich auf ihr Opfer und saugen sein Blut aus. Das ganze ist aber quasi mit sexuellen Handlungen verbunden, vielleicht um das Leid des Opfers zu mildern.“
„Dann doch lieber …“
„… Sagen sie den Namen nicht. Wenn ich das richtig sehe, stehen noch ein paar Modelle rum. Die Ausrufung des Namens würde einen Verwandten von dem da beschwören.“
„Wer ist der Autor dieses Werkes?“, wollte der Filialleiter wissen.
„Hieronymus von Tüllenbach, wie ich schon sagte. Ein verrückter Typ um 1730, der Visionen hatte und daran zugrundeging. Die Legende sagt, dass er in 7 Tagen dieses Buch verfasste, ohne zu wissen, worum es dabei ging. Das hat ihn so fertig gemacht, dass er sich in einem See ertränkte. Viele Geisterjäger glauben, dass er mit dem Buch eine Lösung gefunden hat, bevor es das Problem gab. Allerdings gibt es auch Kollegen, die das Buch für den größten Mist halten, weil das Problem bis heute ja nie aufgetreten ist.“
Pelzer schritt auf den Dämon zu, schaute in das Buch und sprach: „Du, der du genannt wirst NO TVIKEN, deine Anrufung ist hiermit zurückgenommen. Du kannst wieder dorthin zurückkehren, woher du gekommen bist.“
Das Wesen starrte ihn einen Moment feindselig an, aber es passierte nichts weiter. Es nahm einen Bilderrahmen KNOPPÄNG und riss ihn auseinander. Falsch betont, dachte sich Pelzer. Erneut hob er an: „Du, der du genannt wirst NOT FICKEN, deine Anrufung ist hiermit zurückgenommen. Du kannst wieder dorthin zurückkehren, woher du gekommen bist.“
Plötzlich war wieder das Pfeifen zu hören. Kurz darauf erschien das vom Filialleiter erwähnte Portal, in das das Wesen eingesogen wurde.
Pelzer schlug das Buch zu und wandte sich an den Filialleiter. „Haben Sie es gehört? Wundern Sie sich also nicht, dass die Leute auf die Möbel zeigen. Das grenzt ja an sexueller Belästigung.“

Eine halbe Stunde später stand der Geisterjäger unten im Kassenbereich an der Selbstbedienungstheke und bereitete sich einen Hot Dog zu. „Sie können sich gerne auch einen zweiten oder dritten nehmen“, sagte der Filialleiter. Dann überreichte er einen Einkaufsgutschein. 100 €, dachte Pelzer. Bar wäre es ihm lieber gewesen. Er brauchte in absehbarer Zeit keine neuen Möbel. „Mein Team und ich werden erstmal aufräumen müssen, bevor wir morgen wieder öffnen“, sagte der Filialleiter.
„Sie können gerne bald wiederkommen und ihn einlösen. Wir haben gerade einen Sessel im Sonderangebot, das Modell GUBBO.“ Kurz darauf war ein Pfeifen zu hören und im Stockwerk über ihnen ging etwas zu Bruch.
Der Filialleiter erbleichte.
„Nicht mein Problem“, sagte Pelzer. „Ich habe sie gewarnt.“ Er streute sich ein paar Röstzwiebeln auf den Hot Dog, biss hinein und schlenderte in Richtung Ausgang.

Robert Rescue bei CrimeMag. Zu seiner Webseite mit Terminen, Veröffentlichungen etc. geht es hier, einen einschlägigen Beitrag von ihm finden Sie in der Anthologie „Berlin Noir“ und beim Talk Noir im Neuköllner Froschkönig ist er regelmässig unser Stargast.
In diesem Herbst erschienen: Robert Rescue: Das Leben hält mich wach. Berlins müdester Lesebühnenautor trotzt dem alltäglichen Wahnsinn mit Humor. Edition MundWerk, Berlin 2020. 146 Seiten, 12 Euro.