geschrieben von molosovsky, am: Donnerstag, 03. Apr. 2008
(Eintrag No. 499; Woanders, Blogosphäre, Literatur, Nazi-Fantasy) — Das freut mich freilich, wenn (nun schon zum zweiten Mal)Klaus Jarchow die »Molochronik« erwähnt. Diesmal als eine von sechs Linkempfehlungen zu interessanten, skurrilen und bekloppten Blogs (ich bin mal so frei und pick mir die Sparte ›skuril‹ als für mich passend; ist nicht zu hoch und nicht zu selbstkasteiend): »Sechsmal um den Blog«. Ich finde die Umschreibung ganz gelungen (bis auf die Erwähnung von Tolkien, den ich ja eher skeptisch beäuge):
Der Herr Molosovsky hat umdekoriert - es geht derzeit höchst schwarzweiß und holzschnittartig mit viel ›horror vacui‹ dort zu - und zwischendurch gibt es immer noch diese seltsamen Rezensionen jener Bücher, von denen ich nie vermutete, dass irgendwer sie vermissen könnte. Worum es in ihnen geht? Um Tolkien hoch drei — oder so. Jedenfalls jede Menge Magie und auch andere Substanzen auf dieser Seite. Für mich ist’s der Blick in eine ›andere Welt‹ …
Habe mich auch gleich nach Entdecken der Meldung brav bedankt.
Außerdem …
Scheinbar überall wird ja dieser Tage der Roman »Die Wohlgesinnten« von Jonathan Littell besprochen. (Nebenbei: In der aktuellen »Literaturen« illustriert ein Photo des Nazi-Golem-Bösewichts Kroenen aus dem ersten »Hellboy«-Film den Artikel. — Und ich frage mich, wann die SF- und Cyberpunk-Kreise merken und kommentieren, dass der Debutroman des damals zweiundzwanzigjährigen Littell ein waschechter SF-Hardcore-Flick namens »Bad Voltage« war. Fetzigen Verriss kann man bei »Die Welt« genießen, und dabei die feine Vokabel ›Poshlust‹ lernen.) — Wie auch immer: Derweil ich darauf warte, dass in einem der Antiquas Frankfurts eine für mich erschwingliche Ausgabe von »Die Wohlgesinnten« angeschwemmt wird, bin ich über drei lesenswerte Reaktionen zu diesem Monsterroman gestoßen.
A: — Alban Nikolai Herbst traut sich, uns in seinem Blog »Die Dschungel« mitzunehmen auf seine persönliche Lesereise durch das Buch. Bisher gibt es fünf Einträge in der Themenfach »Notate«: 1. Iris Radisch / 2. Abwehr heilt nicht / 3. Banalität des Bösen / 4. Es ist nicht ausgestanden / 5. Unverfluchtheit. — Spannend zu lesen, wie Herbst sich beim Lesen über die Schulter schauen lässt. Herbst ist derweil begeistert von dem Buch (oder auch ›nur‹ von den Gedanken, auf die ihn selbiges bringt), macht aber aufmerksam darauf, dass seine Notate eben noch kein Schluss-Urteil sind, und er sich womöglich im Laufe der Lektüre noch widersprechen wird. Ich ziehe auf jeden Fall respektvoll meinen Hut, wie Herbst hier die Möglichkeiten des Schreibens im Internet nutzt.
B: —Thor Kunkel hat sich in seiner Blog-Rubrik »Unnatürlich natürlich« Littell und das Pahö um sein Buch vorgenommen und lässt keinen Zweifel daran, dass er beides für schwer überzogen hält. Bedenkenswert, wie Kunkel ausdeutet, dass Jorge Luis Borges mit seiner ca. 2300 Worte kurzen Geschichte »Deutsches Requiem« bereits knapper und eleganter auf den Punkt gebracht hat, was der Katharsisziegel »Die Wohlgesinnten« zur Sprache zu bringen trachtet. Nett auch der Hinweis, dass der Roman in Spanien floppte.
C: —Am differnziertesten hat das italienische Autorenkollektiv Wu Ming den Roman besprochen(auf Englisch). Bei uns sind Wu Ming bekannter unter ihrem ›alten Pseudonym‹ Luther Blissett (nebenbei: dessen historischer, zu Zeiten der Reformation spielender, Infowar-Roman »Q« ist sehr feiner Stoff). Sie vergleichen, wie mir dünkt, durchaus passend, das Hybris-Unternehmen von Littell mit Melvilles »Moby Dick« und unterstreichen die Zweischneidigkeit der Wirkung von »Die Wohlgesinnten«. Einerseits macht Littell schön deutlich, dass eben auch das sogenannte ›Unmenschliche‹ etwas völlig Menschliches ist (jeder kann zum Nazi werden, jedermensch nehme also zuvörderst ›sich selbst‹ suspekt in Augenschein). Andererseits warnt Wu Ming, dass man sich als Komplettleser des Wälzers und dessen zig Seiten langen Greulbeschreibungen in Gefahr begibt abzustumpfen.
»To put it clearly: once we've finished the reading we're meaner than when we started.«
(Nochmal nebenbei: Warum eigentlich wurde von Luther Blissett/Wu Ming nix mehr auf Deutsch herausgebracht. Der Roman »54« dürfte doch bei uns durchaus in für einen Verlag ausreichendem Maße Leser finden, oder? Kalter Krieg, Füfzigerjahre, Cary Grant als Geheimagent und so.).
Geschieben von simifilm, am: Donnerstag, 03. Apr. 2008
Auf die Gefahr hin hier nun von allen niedergemacht zu werden (und sogar berechtigterweise): Manche Bücher muss ich nicht lesen, um zu wissen, dass sie dumm sind.
Geschrieben von molosovsky, am: Donnerstag, 03. Apr. 2008
Mein Blog hier ist wie ein Speak Easy der gutgelaunten Ratlosigkeit. Hierher verirren sich kaum ›alle‹, also kannst’de auch nicht von ›allen‹ niedergemacht werden, Simi. — Ganz sachte möcht ich aber einwenden, dass ich ›dumm‹ das falsche Wort ist um Littells Ziegel abzutun (aber das ist Korinthenschubserei meinerseits).
Ich geb zu, dass mich Buchdebatten-Almauftriebe zu diesem ganzen Dritten Reich-Ding immer wieder faszinieren, wenn auch nicht allerweil (siehe mein Schweigen zu »Stahlfrosch«, oder wie das hieß). — Anmerken kann ich noch, dass die oben verlinkten Meinungen ja die ganze Palette abdecken: Herbst ist derweil recht eingenommen für »Die Wohlgesinnten«, Kunkel kritisiert es scharf und Wu Wing läßt die Waagschalen beider Seiten mal steigen und fallen … was ich für sich schon genieße, da ich alle drei je für sich schätze.
(Nebenbei, simi: In letzter Zeit haben wir ja wie’s aussieht eine Neigung, über Werke zu debattieren, die wir {noch} nicht verköstigt haben, erst »Jumper«, jetzt Littell, wa?!)
Geschrieben von simifilm, am: Donnerstag, 03. Apr. 2008
Es gibt von Kischon ne nette Erzählung: "Wie man ein Buch bespricht, ohne es zu lesen"; habe ich immer gemocht.
Ne, ich habe ja mittlerweile einiges zu dem Buch gelesen, aber bislang bin ich eigentlich auf nichts gestossen, was mich wirklich interessieren würde. Sowohl die oft erwähnten Porno-Phantasien, wie auch Aues klassische Bildung und die Anspielungen auf de Sade oder Bataille scheinen mir sehr viel mehr über Littell als über das Dritte Reich auszusagen.
Geschrieben von molosovsky, am: Freitag, 04. Apr. 2008
ist deshalb ja auch eine nette Nabokov-Vokabel, die nun gelernt habe. Hannes Stein schreibt im oben verlinkten »Die Welt«-Artikel klärend dazu:
Gemeint ist ungefähr die Verbindung von verlogener Moral mit Kitsch; poshlust, erklärte Nabokov, sei nicht nur der offenkundige Müll, sondern »vor allem das, was auf falsche Weise wichtig, auf falsche Weise schön, auf falsche Weise clever, auf falsche Weise attraktiv ist«.
Als Nichtgelesenhaber wage ich jedoch weder zuzustimmen oder zu verneinen, ob Littell tatsächlich solcherart verbrochen hat. Aus der Ferne und über die indirekte Kenntniss von »Die Wohlgesinnten« trau ich mich aber soviel urteilen, dass es sich wohl um ein ausgesprochen dekadentes Werk handelt. Und Dekadenz … nun ja … ich weiß nicht, ob mich das nun abstößt oder anregt. Es kömmt wohl darauf an.
Geschieben von conalma, am: Donnerstag, 03. Apr. 2008
Sidestep mit Verlaub: niemals Pahö! Leider auch nicht baheuil, so elegant es sein möge. Sondern einfach bahöö. Auch wenn der ein oder andere so auftritt!
Geschrieben von molosovsky, am: Freitag, 04. Apr. 2008
Wien, Österreich und die dortigen prägten mich ja einige Jahre sehr (als ich in Wien wohnte), und tun es immer noch. Insofern lass ich mich mit schlampiger Bescheidenheit zuweilen dazu hinreissen, Österreichische Vokabeln mit (in diesem Fall) pralleren Lippenschlag einzudeutschen.
Aber Korrektheit und über die Stränge schlagen gehen nun mal selten trautlich Hand in Hand.
Ach ja, nachdem (glaub ich) dies Ihr Debutkommentar hier ist, conalma: Willkommen! Freut mich Sie hier zu lesen.
Geschieben von carasaysinger, am: Freitag, 04. Apr. 2008
Schönen Gruss auch.
Damit es nicht mit "ich" losgeht - und überhaupt ;)
Bin gar nicht wegen "Außerdem" da, sondern aus Gründen der Belobigung ,
die ich eben las, bei Herrn Jarchow.
Wo soll ich mich jetzt bedanken? Beim Wegweiser tu ich's natürlich noch.
Hier aber auch. Bittesehr, bittegleich. Ich hab mir einen Klappstuhl reservieren lassen, denn jetzt hege ich häufigere Besuchspläne, Herr Geheimrat.
Geschrieben von molosovsky, am: Freitag, 04. Apr. 2008
Willkommen carasayinger.
Mit dem »Herrn Geheimrat« haben Sie meinem Eitelkeitsgeier aber einen großen Brocken gutes Fleisch hingeworfen. — Ihr »Grundwortamt« behalte ich im Auge, auch wenn ich vor lauter Hektik derzeit noch keine Gelegenheit hatte, mit Muse darin zu stöbern. Aber wofür gibt es schlaflose Nächte?
Geschieben von molosovsky, am: Dienstag, 08. Apr. 2008
Dieses Jahr habe ich wieder keine Worte über die re:publica verlohren. Aber im Literatur!-Anhang des von Bov Bjerg zusammengestellten Berichts über diesen mir rätselhaft bleibenden Kongress in Berlin, »Geld, Geld, Geld – und Blogs«, wird meine kleine Rezi-Schau zu »Die Wohlgesinnten« zusammengedampft erwähnt. — Danke für den Link, Bov!
Himmel! Ich werde immer relevanter in den letzten Wochen. Na hoffentlich frisst mich mein eigenes Bloggen da nicht irgendwann auf.
01. April 2012: Während der Layout-Neugestaltung des Blogs, gibt es vorrübergehend keine Link- oder ›Molochronik DeLuxe‹-Liste oder Buttons.
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