Fünfzig nominierte Romane, fünf davon auf der Shortlist, und gut zwanzig Literaturblogger, die ihren persönlichen Favoriten wählen, von denen der Titel mit den meisten Stimmen gewinnt: So sah der Startschuss des Bloggerpreises von Das Debüt aus.
Ein Blick auf die nominierten Titel und die Shortlist zeigt, dass besonders die Themen Gewalt (z.B. Winkler, Reich, Ehrmann) und Migration beziehungsweise Entwurzelung/Entfremdung (z.B. Khayat, Bazyar, Galkina, Winkler, Jarawan) im Vordergrund stehen, als drittes könnte man mit Abstand noch das Thema Freundschaft zählen. Familie spielt nur im Zusammenhang mit Migration eine Rolle und die Liebe ist für die meisten Debütautoren ein vernachlässigbares Sujet.
Unter den fünfzig eingereichten Titeln gibt es übrigens im Vergleich zum bekanntesten Nachwuchspreis Deutschlands, dem aspekte-Preis, nur eine Überschneidung: Shida Bazyar gehört in beiden Fällen zu den Finalisten. Nis-Momme Stockmann, Ronja von Rönne, Senthuran Varatharajah und Philipp Winkler sind nicht bei Das Debüt zu finden. Ich sehe das durchweg positiv: Somit bedient der Bloggerpreis eher eine Nische und ermöglicht dadurch gerade kleineren Verlagen und unbekannteren Autoren, Aufmerksamkeit zu bekommen.
Als die Shortlist vor einem Monat veröffentlicht wurde, war ich nicht wenig überrascht. Ich hatte mit Namen wie Friederike Gösweiner, Rasha Khayat, Stephan Reich, Nele Pollatschek, Paula Fürstenberg, Pierre Jarawan oder Emanuel Bergmann gerechnet, vielleicht auch mit Johannes Ehrmann, Sabine Hunziker, Anna Galkina, Birgit Birnbacher oder Isabelle Lehn. Stattdessen wurde Katharina Winkler nominiert, die ich bis dato nur am Rande wahrgenommen hatte, und mit Sonja Harter und Uli Wittstock zwei mir gänzlich unbekannte Autoren.
Die Shortlist ist sehr heterogen, was schön ist: Zwei Kritikerlieblinge und ein Bloggerliebling, drei eher unbekannte Autoren, eine davon eigentlich Lyrikerin; außerdem sind zwei der größten Verlage Deutschlands und drei der kleinsten dabei sowie zwei Männer und drei Frauen. Vier der fünf Autoren sind in den 1980er Jahren geboren, wobei Krömer und Bazyar beide erst 27 waren, als ihre Debütromane veröffentlicht wurden, nur Uli Wittstock fällt mit Jahrgang 1962 aus dem Schema. Auffällig ist auch, dass die Romane relativ kurz sind und rund 200 Seiten umfassen – auch hier ist es Wittstock, der mit „Weißes Rauschen“, das über 400 Seiten hat, ausbricht. Und bestimmt ganz zufällig, aber trotzdem witzig, ist die Randbeobachtung, dass drei der fünf Romane eine Farbe im Titel haben.
Shida Bazyar – Nachts ist es leise in Teheran
Shida Bazyar ist das Meisterwerk gelungen, vier Jahrzehnte persische Geschichte in einen schlüssigen Rahmen zu bringen, sie hat vier glaubwürdige, vielschichtige Figuren geschaffen und auch die Flucht aus dem Iran und die Schwierigkeiten der Elterngeneration, sich zum einen in Deutschland und zum anderen in ihrem unpolitischen Leben zurechtzufinden, ist realitätsnah geschildert. „Nachts ist es leise in Teheran“ ist ein gut geschriebener, politischer Roman über die Entwicklung junger Menschen, über Migration, die jüngere Geschichte Deutschlands und des Irans, bei dem der Leser sogar dazulernt. Mehr zu „Nachts ist es leise in Teheran“ hier.
Die Schatten hängen über dem österreichischen Bergdorf wörtlich wie metaphorisch: Die Gebirgshügel hüllen das Dorf schnell in Dunkelheit, zugleich gibt es zahlreiche Geschichten von verschleppten Frauen und Mädchen, die manchmal in einem Keller des netten Nachbarn von nebenan gefunden werden, manchmal für immer verschwunden bleiben. In „Weißblende“ gelingt es Sonja Harter, diese bedrohliche Atmosphäre auf subtile Weise im Leben ihrer Protagonistin mitschwingen zu lassen. Leider entgleitet ihr im letzten Viertel der Roman und wird zu unrealistisch, um diese Stimmung aufrechtzuerhalten. Mehr zu „Weißblende“ hier.
Philip Krömer – Ymir oder: Aus der Hirnschale der Himmel
Nordische Mythologie meets Nazi-Ideologie meets Wagner: Auf der Suche nach den ersten Ariern dringen drei Männer in eine tiefe Höhle vor und da wir uns in Island befinden, kann es gut und gerne der Ur-Riese Ymir sein, der von ihnen durchquert wird. Skurril und voller Wortwitz präsentiert sich „Ymir“, das vom homunculus verlag, den Philip Krömer mitgründete, wirklich schön aufgemacht ist. Allein die Handlung selbst ist etwas dünn geraten. Mehr zu „Ymir“ hier.
Katharina Winkler – Blauschmuck
Während die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte um die junge Filiz Feuilletonkritiker wie Bloggerkollegen gleichermaßen beeindruckte, ließ mich Winklers Debüt erstaunlich kalt. Die endlosen Wiederholungen waren für mich nicht eindringlich, sondern langweilig. Nichtsdestotrotz kann ich nachvollziehen, warum die Rezeption der meisten Leser so anders ist als meine eigene. Mehr zu „Blauschmuck“ hier.
Uli Wittstock – Weißes Rauschen oder Die sieben Tage von Bardorf
Wittstock beschreibt das Leben in einer mittelgroßen deutschen Stadt: Ausgehend von dem Mord an einem beliebten Radiomoderator entwirft er ein Gesellschaftspanorama. Hier geht es nicht nur um ein klassisches Whodunit, sondern vor allem um korrupte Politiker und liebesromanschreibende Frauen, um Fußball, Bienen, Radio, Musik, Gewalt und verrückte Künstler. So weit, so gut. Leider gibt es einige Kritikpunkte, die bei der Lektüre nicht außer Acht gelassen werden können. Es ziehen sich Tipp- und Grammatikfehler durch das ganze Buch; konsequenterweise, so ist man fast versucht zu sagen, fängt das bereits auf der ersten Seite an.
Auch inhaltlich ist’s mitunter schräg: Die Karotten sind rot, nicht orangefarben, Wortwiederholungen sind vor allem am Anfang oft zu finden und auch Sätze wie „Die Möhrchenstückchen kurvten einen Sekundenbruchteil schneller im Mund des Geschäftsführers“ sind schief – ich wage zu behaupten, dass mit Sekunden Zeit und nicht Geschwindigkeit gemessen wird. Dazu kommt, dass die Protagonisten wenig Innenleben haben. Sie bleiben auf ihre Funktion als Verbrecher, Moderator oder Künstler beschränkt und dadurch eindimensional.
On the plus side: Wittstock beweist Humor und kritisiert gekonnt die korrupten Machenschaften von Politikern und Sportverbänden, es gibt mehrere ironische oder spannend konstruierte Szenen. Diese breitgefächerte Handlung auf eine Woche, über die sich der Roman erstreckt, auf diese Art zu entfalten, beweist schriftstellerisches Potential. Trotzdem verweisen die wenig fesselnden Figuren und die vielen Fehler „Weißes Rauschen“ auf einen der hinteren Plätze.
Wie ich in der Bloggervorstellung von Das Debüt bereits sagte: Ich hoffe, dass dieser Preis dazu beiträgt, neuen Stimmen eine breitere Öffentlichkeit zu verleihen. Entsprechend hatte ich bei der Wahl meines persönlichen Siegertitels zwei wichtige Kriterien: A) Ist der Text „gut“ (ja, das ist ein weites Feld, Effi) und B) kann ich einem kleinen Verlag zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen? Und da mir der zweite Punkt sehr am Herzen liegt, hätte ich zu gerne einen Indie-Verlag ausgewählt, vor allem, weil die drei nominierten unabhängigen Verlage wirklich klein und wirklich sympathisch sind.
Ich freue mich sehr, dass mir die Teilnahme an der Jury des Bloggerpreises 2016 die Romane „Weißblende“ und „Ymir“ nähergebracht hat. Trotzdem muss ich bei beiden Romanen einige Abstriche machen. Und da ich mein erstes Kriterium nicht außer Acht lassen möchte, ist meine Wahl schlussendlich sehr eindeutig: Shida Bazyar hat mit „Nachts ist es leise in Teheran“ einen der besten Romane des Jahres geschrieben. Hier stimmt alles: der Stil, die Figuren, die Entwicklung der Figuren, die Politik und Geschichte, der Aufbau des Romans und das, was man als Leser nach der Lektüre aus diesem Roman mitnimmt. Und auch wenn Shida Bazyar sehr viel Presse bekommen hat und in dem Sinne nicht noch mehr benötigt, und auch wenn ausgerechnet ich es war, die diesen Roman nominiert hat und es mir ein bisschen peinlich ist, meinen eigenen Vorschlag zu wählen, so ist meine Entscheidung eindeutig. Obwohl ich die Titel in der Übersicht alphabethisch sortiert habe, kommt diese Sortierung meinem persönlichen Ranking doch recht nahe.
Katharina Winkler war sowohl auf der Shortlist für den österreichischen Buchpreis, als auch auf der des „Alpha-Literaturpreises“ und hat vor kurzem den „Mara Cassens Preis“ für „Blauschmuck“ gewonnen
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