Corona-Futter für den Amtsschimmel

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Corona-Futter für den Amtsschimmel

Von Helmut Scheben, 24.04.2020

Zu den skurrilen Auswüchsen des Lockdown gehören Absperrungen von Wald und Felsen.

Bei La Heutte im Bieler Jura gibt es ein Klettergebiet, das Le Paradis heisst. Gestern Morgen lag das Tobel friedlich in der Morgensonne, man hörte nur heiteres Vogelgezwitscher. Weit und breit kein Mensch. Doch dann kommt unser Aufstieg zu den Felsen unerwartet zum Halt: eine Absperrung mitten im Wald. Auf Schildern teilt uns die Municipalité in einwandfreier Amtssprache mit, das ganze Gebiet sei geschlossen «jusqu’à nouvel avis suite au COVID-19».

Seilschaften beim Sportklettern

Nun war uns zwar bekannt, dass der Bundesrat Ansammlungen von mehr als fünf Personen bei Androhung einer Ordnungsstrafe untersagt hat. Dass aber auch das Betreten von Wald und Felsen verboten sein sollte, hatten wir bislang nicht vernommen. In Klettergebieten kann man zwar an sonnigen Tagen im Sommer schon hier und da mehrere Seilschaften antreffen, aber wohlgemerkt: Seilschaften. Diese bestehen beim Sportklettern in der Regel aus zwei Personen. Geführte Seilschaften mit fünf Personen habe ich in 50 Jahren alpinistischer Aktivität bisher nur auf Gletscherwanderungen gesehen. Im Wald von Le Paradis wurde aber bisher keine Gletscherbildung festgestellt.

Dort ist wohl selbst an einem Sonntag bei schönstem Kletterwetter nicht ein Bruchteil der Leute anzutreffen, die ich derzeit in der Nähe meiner Zürcher Wohnung jeden Morgen sehe: Gruppen von Menschen, Cervelat bratend, Ball spielend auf den Wiesen im Hürstholz. Nicht zu reden von den Biker- und Joggergruppen am Greifensee, am Türlersee oder wo auch immer im Grünen. Und das ist auch gut so.

Denn für die Gesundheit ist es sicher besser, wenn die Leute sich bewegen und hinausgehen in die Natur. Das wird uns jedenfalls seit eh und je von Ärztinnen, Gesundheitsbehörden und Krankenkassen gepredigt. Bislang wurde man als Schädling an der Volksgesundheit kritisiert, wenn man nicht ein paar tausend Schritte am Tag getan hatte.

Heitere Blüten

Dann kam die Corona-Krise, und in manchen Amtsstuben sprossen heitere Blüten der Bürokratie. Die Vorsichtsmassnahmen im Bereich Sport waren von Anfang pauschal und wenig durchdacht.

Dass Fussballstadien geschlossen wurden, ist verständlich. Gleichzeitig wurden aber Sportarten verboten, die wie Tennis oder Golf im Freien stattfinden können und wenig Körperkontakt aufweisen. Dringend abgeraten wurde von Alpinismus und besonders von Skitouren. Bei dem Verbot von Alpinismus und besonders von Skitouren berief man sich teilweise auf absurde Argumente. So hörte ich in einer SRF-Radiosendung, es könnte z. B. jemand in eine Gletscherspalte fallen und dadurch würden Rettungsequipen gebunden und Spitalbetten beansprucht, die für Corona-Patienten freizuhalten seien. Ich kenne die Statistik nicht, vermute aber, dass die Zahl der Unfälle bei Skitouren im Promillebereich liegt.  

„Chli bireweich“

VBS-Chefin Viola Amherd versprach gestern auf einer Pressekonferenz, ab 1. Mai könnten Sportarten mit wenig Körperkontakt wieder ausgeübt werden. Es hat lange gedauert, bis die Behörden merkten, was da falsch gelaufen war. Eine Task-Force des Bundesrates, die untersuchen soll, wie es weitergeht mit dem Sport in der Corona-Krise, hat erst Ende letzter Woche ihre Arbeit aufgenommen. Auf die Frage einer Journalistin, welche Sportarten konkret wieder erlaubt würden, antwortete Amherd: Rugby und American Football sicher nicht.

Und gestern Morgen in Le Paradis? Mein Kletterpartner evaluierte die Absperrung genauso wie ich mit dem Ergebnis: „chli bireweich“.  Folglich gingen wir getrost weiter und kletterten einen wunderbaren Kalksteingrat namens Arête du Faucon. In friedlicher Stille im Sonnenschein. Und in der leisen Hoffnung, dass Sportklettern ab 1. Mai nicht mehr bestraft werden möge. Auf Rugby und American Football wollen wir dann auch gern verzichten.

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Lieber den Gürtel enger schnallen, als eine zweite Welle zu riskieren. Die überaus vorsichtige Haltung und das Mahnen durch die Regierung verdienen Respekt. Corona ist auch eine Test auf die vormals vielgerühmte Disziplin. Lasst das Erreichte nicht durch leichtsinniges Verhalten aufs Spiel setzen. Durchhalten, es geht immer noch um Leben und Tod.

Genau- siehe Japan, dort sieht man offenbar gerade mit einer zweiten Welle konfrontiert. Anscheinend wegen zu früher Öffnung....

So langsam könnte man wieder auf den Teppich runter. Dieses Lamentier-Gehabe ist kaum noch aushalten. Irgend wie kommt es einem langsam vor wie im Sandkasten- Es scheint, dass viele Leute noch immer nicht so richtig begriffen haben, wobei es in dieser Viren-Krise geht: Um Eindämmung. Und dies geht nach geltender Erkenntnis halt einfach nur durch möglichst wenig Kontakte. Dass es bei diesem Massnahmenkatalog hier und da zu Überreaktionen kommen kann, sollte doch verkraftbar sein. Wenn ein Bauer seine Wiese halt auch sperrt, oder eine Kletterwand auch zu ist- wo bitte ist eigentlich das Problem? (mal abgesehen vom wirtschaftlichen Schaden). Aber ja, Bedürfnisse unserer Konsum-Gesellschaft konnten halt bisher immer quasi subito befriedigt werden...ojeojeh...

Die "Bireweich"-Beispiele lassen sich endlos vermehren. Ich möchte nur ein einziges beifügen: Auf einer Wiese hoch über dem Zürichsee unterhält ein Landwirt seit vielen Jahren eine Blumenwiese zum Selbstpflücken, samt Kässeli. Weit und breit kein Mensch, dafür das Schild "Wegen Corona-Ansteckungsgefahr behördlich geschlossen"...

Der Gesundheitsbegriff, in dessen Namen der Kampf gegen das Virus geführt wird, ist einseitig utilitaristisch (l'homme machine). Die Hauptwaffe ist die Isolation. Sie zerstört die andere Hälfte der Gesundheit, man forscht in der Psychoneuroimmunulogie darüber. Es sind die sog. weichen Faktoren wie Singen, Tanzen, Freuen, Trauern, auch Umwelt etc. - die das Beziehungswesen Mensch ausmachen, ist nicht der Rede wert. Sie ist halt nicht messbar, darum untauglich für Politik und Wissenschaft. Nur die eine Hälfte gelten lassen passt der IT-Industrie ganz vorzüglich. Meine Frage wäre: Wie wollen wir leben - menschlich oder digital?

Die digitale Lebensart hat längstens Überhand genommen. Und diese Lebensart ist einträglich, sprich monetär - vor allem für die IT-Giganten Google, Apple, Facebook, Twitter etc. Wir werden dank unserer intimsten Daten ausgeweidet wie eine Weihnachtsgans. Die Schlinge für den Bürger zieht sich immer mehr zu; jetzt kommt auch noch das Contact-Tracing und vieles mehr. Alles zu unserem Besten, also zur Bekämpfung der Pandemie. Sagen die, welche Geld damit verdienen. Eigentlich müssten wir in der Krise merken, dass eine menschliche Art der Lebensgestaltung unersetzlich ist. Menschliche Nähe, in welcher Form auch immer, kann keine App ersetzen. Leider fällt das nicht der Mehrheit auf.

Einmal mehr ein Text der anderen Art von Helmut Scheben. Danke schön. Es ist schon skurril, was der Amtsschimmel in Corona-Zeiten alles zu regeln versucht oder verbieten will. Das genannte Verbot hat nichts mit gesundem Menschenverstand zu tun, sondern mit einem Aktivismus, der niemandem nützt. Die Gefahr einer Krise besteht auch darin, dass der Staat Verbote implementiert, die dann nicht mehr aufgehoben werden. Die Krise macht es möglich, dass der Bürger sich kleinlaut gibt und sich allen verordneten Massnahmen beugt, auch wenn sie keinen Sinn ergeben. Die Staaten, auch die Schweiz, haben schon vor der Krise eine Bürokratie aufgebaut, die manchen mehr schadet als nützt. So haben wir ein Pandemiegesetz und eine Kommission, die es seit 2004 nicht geschafft hat, dafür zu sorgen, dass im März 20 in Spitälern und vor allem Alters- und Pflegeheimen genügend Schutzmaterial vorhanden gewesen ist. Dafür stehen in jedem Spital die teuersten Geräte für Computertomographie. Der Einzelne tut also gut daran, zu beobachten, was ihm als gläserner Bürger jetzt und in Zukunft alles an Weisungen und Verboten zugemutet wird.

Dem kann ich nur beistimmen! Der Amtsschimmel wiehert einfach immer wieder, besonders jetzt, wo sich jeder als Experte aufspielen will.

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