Die Demagogen und das Volk

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Die Demagogen und das Volk

Von Christoph Zollinger, 10.08.2020

Die Geschichte verändert sich nicht, sie bleibt sich gleich.

(Die nachfolgend kursiv geschriebenen Sätze entstammen dem Buch: «Die Demagogen und das Volk» *)

Verblüffend ähnlich sind die Merkmale politischer Kommunikation im 5. Jahrhundert v. Chr. im Vergleich zum 21. Jahrhundert. Zumindest, was Demagogen und Populisten betrifft. Vergleiche zwischen damaligen und heutigen Vertretern dieser «Zunft» sind gestattet.

Ein weltweites Phänomen

Donald Trump, Viktor Orban, Recep Erdogan, Wladimir Putin, Jair Bolsonaro, Nicolas Maduro und wie sie alle heissen: Sie alle kümmern sich wenig um die akzeptierten demokratischen Regeln. Sie widersetzen sich altbewährten Usanzen bei der Regierungsführung, sie künden internationale Vereinbarungen auf, sie kümmern sich wenig um Parlament und politische Parteien. Sie gefährden die Demokratien weltweit. Sind dies nun Demagogen oder Populisten – oder beides?

Was sagen Nachschlagewerke?

Wer sich in diesen Tagen des heissen Sommers 2020 fragt, ob wir auch in der Schweiz unsere Probleme mit dieser Frage hätten, konsultiert vielleicht zuerst den Duden. Demagogie wird folgende Bedeutung zugemessen: «Volksverführung, Volksaufwiegelung, politische Hetze»; Synonyme sind: «Manipulation, Propaganda, Verführung, Werbung». Ergänzt wird nach Martin Morlock auf Wikipedia: «Demagogie betreibt, wer bei günstiger Gelegenheit öffentlich für ein politisches Ziel wirbt, indem er der Masse schmeichelt, an ihre Gefühle, Instinkte und Vorurteile appelliert, ferner sich der Hetze und Lüge schuldig macht, Wahres übertrieben oder grob vereinfacht darstellt, die Sache, die er durchsetzen will, für die Sache aller Gutgesinnten ausgibt, und die Art und Weise, wie er sie durchsetzt oder durchzusetzen vorschlägt, als die einzig mögliche hinstellt.»

Unter Populismus versteht der Duden: «Von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der Lage die Gunst der Massen (im Hinblick auf Wahlen) zu gewinnen.» Bei Wikipedia wird es ausführlicher: «Dem Begriff Populismus werden von Sozialwissenschaftlern mehrere Attribute zugeordnet. Charakteristisch ist eine mit politischen Absichten verbundene, auf Volksstimmungen gerichtete Themenwahl und Rhetorik. Dabei geht es einerseits um die Erzeugung bestimmter Stimmungen, andererseits um die Ausnutzung und Verstärkung vorhandener Stimmungslagen zu eigenen politischen Zwecken. Oft zeigt sich Populismus auch in einem spezifischen Politikstil und dient als Strategie zum Machterwerb.»

«Zum Machterwerb» Steht erst am Schluss und eher beiläufig. Solchermassen mit Informationen gefüttert, fragen wir uns also in einer ruhigen Stunde, auf wen in der Schweiz solche Beschreibungen zuträfen?  

Die Demagogen in der politischen Theorie der Antike

Die antiken Philosophen sahen in den Demagogen einen essentiellen Baustein der athenischen Demokratie, und ebenso wie sie sich in der moralischen Ablehnung dieser Verfassungsform weitgehend einig waren, stellen sie auch den Demagogen ein vernichtendes Zeugnis aus. So übt Platons Sokrates im «Gorgias» heftige Kritik an den Demagogen. Diese leisteten keinen Beitrag zur Belehrung und moralischen Besserung der Bürger Athens, denn nicht die Verkündung von Wahrheit, sondern die Erzeugung von Wohlwollen beim Zuhörer sei der Zweck ihrer Reden, und nicht das Wohl der Polis, sondern eigener Vorteil sei ihr Ziel.

Die Imago eines Demagogen wurde im Wesentlichen in der direkten Kommunikation mit dem Volk gestaltet. Das wichtigste «Medium» war dabei der eigene Körper – im weitesten Sinne: Physiognomie, Frisur, Bart, Gestik, Kleidung, Stimme etc. unterlagen Kodierungen, die teilweise aus der archaischen Zeit übernommen, teilweise neu vorgenommen wurden.

Aus heutiger Sicht

Letzterer Satz in der antiken Beschreibung, bezogen auf gegenwärtige Anwärter dieses Status, könnte so formuliert werden: Der Demagoge unterstreicht seine ans Volk gerichteten Worte mit weitausholenden Armbewegungen, diese typische Gestik ist noch eindrücklicher als seine warnende Stimme, Anschuldigungen an «die da oben» sind übertrieben bis an die Grenze der Unterstellung. Er ist überzeugt davon, dass er an die Macht gehört, weil er – und nur er – die Wahrheit kennt. Er benutzt Interviews und öffentliche Auftritte dazu, der Leserschaft mitzuteilen, was diese hören will, und bedient sie dazu grober Vereinfachung komplizierter Zusammenhänge. Er verfügt über ein Sensorium für das gerade dominierende Meinungsklima und umgibt sich beim Photo-Shooting mit Vorliebe mit gegenständlichen Kunstwerken berühmter, einheimischer Künstler aus vergangenen Zeiten.

Rechtspopulisten spalten das Volk, ihr simpel gestricktes Gesellschaftsbild unterscheidet ausschliesslich zwischen WIR («gottlob gibt es uns!») und den ANDERN («der Bundesrat und das links-grüne Parlament, die Geld zum Fenster hinauswerfen»). Um ihren Anschuldigungen mehr Gewicht zu geben, erfinden sie laufend Sündenböcke und unterstellen diesen staatsschädigende Geldverschwendung.

Reichtum vorausgesetzt

Nicht der Erwerb von Besitz ist jedoch im Rahmen der vorliegenden Arbeit von Interesse, sondern der Einsatz von Besitz in der Politik. Ökonomische Abkömmlichkeit war im demokratischen Athen die Voraussetzung für eine demagogische Karriere – dies ist schon mehrfach betont worden –, doch spielte die ökonomische Leistungsfähigkeit der Demagogen noch eine weitergehende Rolle? Konnte sich ein reicher Demagoge durch den Einsatz von Geld einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten verschaffen und seine Position für die kommende Wahl oder die nächste Debatte in der Volksversammlung verbessern? Konnte Besitz in politische Macht umgemünzt werden, und wenn ja, auf welchen Wegen? Und inwieweit feilten Demagogen durch öffentliche Präsentation ihres Besitzes an ihrem Image?

2020 ist Reichtum diskret getarnt, aber selbstverständlich spielt es eine Rolle bei der Imagepflege der Demagogen. Man spendet grosszügig und sorgt dafür, dass darüber im Volk anerkennend diskutiert wird. Ob sich dadurch ein reicher Demagoge einen Vorteil bei kommenden Wahlen und Abstimmungen erhofften kann, ist nicht bewiesen.

In der Gegenwart repräsentieren autoritäre Staatsführer – solche gibt es auch in sogenannten Demokratien – eine Mischung aus beidem: Demagogie und Populismus. Mehr oder weniger zielgerichtet streben sie nach Macht, möglichst uneingeschränkter. Die Schweiz ist zu klein und zu direktdemokratisch, um solche Tendenzen zuzulassen. Nichts desto trotz sind Veranlagungen, Sendungsbewusstsein und rhetorische Begabungen wie oben geschildert bei Staats-Männern «natürlich aus der Schweiz» unübersehbar. 

Stellen wir uns vor, dass im alten Griechenland Politik im Rahmen von Veranstaltungen bestimmt wurde; diese hatten in der Regel einige hundert Teilnehmer. Der Vergleich mit heute fällt da leicht und spontan: Die alljährliche Albisgüetli-Tagung ist gemäss Selbstdeklaration «die grösste politische Veranstaltung der Schweiz».

*) Christian Mann: «KLIO - Die Demagogen und das Volk», Akademie Verlag, 2007

Also sorry, Herr Zollinger, diese Gegenüberstellung über 2500 Jahre hinweg von Texten ist jetzt doch etwas gar dürftig und für mich alles andere als überzeugend. Da geben mir die Angebote der Uni Zürich (inkl. des Zentrums Altertumswissenschaften) - dann noch für uns Interessierte gut dargestellt in einer SRF Einsteinsendung - doch bedeutend mehr her (ein Verweis darauf wäre in diesem Zusammenhang durchaus am Platz gewesen).

Unterwerfung?
Von Kindes Beinen an werden viele von uns in die Bereitschaft zur Unterwerfung trainiert. Uns geht es ja gut, so gut Chérie! Die Angst etwas Falsches zu sagen, die falschen Worte zu benutzen, dem sogenannten Mainstream zu widersprechen sitzt tief. Alle, oder fast alle haben verstanden, so wie es ist, so ist es eben gut. Wir leben in den Besten aller Zeiten und das hat halt seinen Preis. (Krankenkassenprämien und Mietzinsen lassen grüßen) Zudem wird uns wöchentlich mitgeteilt wer die Guten und wer die Bösen sind. Wagt ja nicht zu widersprechen, ihr macht euch sonst verdächtig. Nun gut, Fichenskandal das war einmal, aber E. Snowden sagt, ihr werdet alle überwacht, sogar die deutsche Kanzlerin. Du lügst wie gedruckt, erwiderte mein Großvater als ich ihm früher Geschichten erzählte, heute weiß ich was er damit meinte. Nicht jeder der „Hemdsärmelig“ daherkommt muss zwangsläufig Populist oder Demagoge sein, so denke ich. Intellektuelle müssen auch nicht immer explizit links sein. Die Vergangenheit war zwar nie wirklich besser als heute, das stimmt, aber Museen beispielsweise sind auch konservierte Vergangenheit, erzkonservativ und trotzdem erhaltenswert. Man neigt heute mehr denn je und zunehmend zur Skandalisierung, das Kind mit dem Bade auszuschütten ist Mode geworden. Selbstdenkend und frei und mit einer Portion Selbstbewusstsein uns wenigstens einen Teil freier Meinungsäußerung und Meinungsmache zu lassen, wie wäre das? Wäre das möglich? Übrigens, zwei verschiedene Schokoladefabrikanten könnten hier ein Lied singen, anstelle Gegendarstellung versuchte existenzielle Bedrohung, sprich Sanktionen. Jenes Lied das ich meine wäre eine Vertonung unserer Verfassung, das wäre hier angebracht, oder nicht? Auch das noch, Ex- Bundesrat Chr. Blocher ist weder Demagoge noch Populist, dass er ein reicher Mann geworden ist hat er selbst erarbeitet, zahlt dadurch auch viele Steuerabgaben. Warum nicht einmal einfach Danke sagen? Seine ständige Verunglimpfung geht mir langsam auf den Wecker! Nun, beim Zeus, ich höre es schon, jetzt hat es sie erwischt, Corona-Koller vermutlich, durchgedreht, sie ist wahrscheinlich für Senkrechtstehende, fürs Schwarmverhalten ungeeignet und verloren. Herzliche Grüße aus der Corona-Zeit. …cathari

Aufschlussreiche und sehr treffende Beschreibung der Demagogen und Populisten.
Allerdings sollte man ob der Bedeutung und Macht dieser einzelnen Männer nicht vergessen, dass z.B. in den USA rund 150 Millionen Bewohner eben diesen Demagogen und Populisten unterstützen und ihm erst dadurch seine Macht und Bedeutung ermöglichen.
Bei dem beschriebenen Schweizer Milliardär im Artikel waren die Verhältnisse ähnlich, wenn auch nicht derart ausgeprägt wie in den USA. Aber zum Glück hat, wie bereits bei Kohelet nachzulesen, alles seine Zeit und auch sein Ende.

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