Ein Zipfelchen Unterschied

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Ein Zipfelchen Unterschied

Von Noé Perrin, 10.07.2017

Wie soll die Sprache die geforderte Gleichheit zwischen Frau und Mann umsetzen? Mittels der bewussten Erwähnung der weiblichen Form? Oder durch bewusstes Unterlassen? Was ist selbstbewusster? Und was dient der Sache mehr?

Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der neuen Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.

Noé Perrin wurde im Jahr 2000 geboren. Sie besucht das zweisprachige IB-Profil am Realgymnasium Rämibühl. An der Lesenacht 2016 gewann sie den Publikumspreis, 2014 den Gesamtptreis und 2013 den ersten Platz in der Kategorie Unterstufe. Sie war Finalistin beim RG-Finale von „Jugend debattiert“ und erreichte mit einem Filmbeitrag bei „Kino veritas“ den ersten Platz. Sie ist Mitglied des Solidaritätsvereins des Realgymnasiums. In ihrer Freizeit tanzt sie Ballet und nimmt Gesangsstunden.

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Rotmann, Gelbmann, Grünmann – Und wo bleibt die Frau? – In den Niederlanden und in Deutschland gibt es sie bereits, die Ampelweibchen. In Wien und anderen Städten Österreichs gibt es sogar Ampelpärchen. Dort nehmen also Pärchen aus Frau und Mann, Frau und Frau oder Mann und Mann den Platz des einst dominierenden Ampelmännchens im Lichtsignal ein. Emanzipation sucht sich die eigene andere Form für weibliche Menschen am Zebrastreifen; Sie sollen in der männlichen Form nicht einfach mit eingeschlossen sein.

Genau so ist es in der Schweiz, wenn wir nicht nur von Schauspielern sprechen, die Männer und Frauen umfassen könnten, sondern auch von Schauspielerinnen. Dies scheint hier vielen der richtige Weg zu sein, der Gleichstellung von Frau und Mann sprachlichen Ausdruck zu verleihen. Das Suffix „in“ soll zeigen, dass auch Frauen gemeint sind. Andere Formen brechen mit Rechtschreibetraditionen, um auf das Problem hinzuweisen, dass ein generisches Maskulinum Männer in den Vordergrund stellt. In der Tat klingt „die Ärzte“ für Deutschsprechende wie mich eher nach Männern als nach Männern und Frauen.

Aber in anderen Ländern geht der Ausdruck der Emanzipation genau in die andere Richtung. In Thailand zum Beispiel, wo es sich traditionellerweise gehört, dass Männer das Dankenswort cap cun cap und Frauen cap cun ca benützen, fangen immer mehr junge emanzipierte Frauen an, mit der männlichen Formel zu danken. „Cap cun cap“, sagen sie. Sie wollen nur noch eine Form, und zwar die männliche, um zu zeigen, dass Frauen und Männer gleichgestellt sind. Damit lösen sie Bewunderung aus bei den einen und Verachtung bei den anderen – die typische Reaktion auf Brüche mit der Tradition.

Falls Sie jetzt denken, „typisch Osten, typisch Asien“ ... im Westen, im Epizentrum der Political Correctness, läuft es in die gleiche Richtung: nur noch eine Form statt zwei. Seit den 90er Jahren nennen sich immer mehr Schauspielerinnen in den USA actor und nicht mehr actress. Bei der Bezeichnung gehe es um den Beruf, nicht ums Geschlecht, so die Erklärung. Und das Paar der Stewardess und des Steward wurde auch deshalb von Bord geschickt, weil eine Gleichberechtigung der Frau unvereinbar sei mit einer markiert weiblichen Form der Berufsbezeichnung. Der und die Flight Attendant dagegen sind verbal geschlechtslos, was dann interessanterweise – auf einer anderen Zeichenebene als der sprachlichen – die körperbetonten Uniformen wieder wettmachen.

Wenn man also die weltweite Entwicklung anschaut, ist es gar nicht möglich, dass die eine oder die andere Form an sich besser ist, wenn es um Gleichstellung geht. Denn die Gleichstellungsversuche führen formal in entgegengesetzte Richtungen: Die einen weisen mit sprachlich unterschiedlichen Formen auf die Existenz und Wichtigkeit der weiblichen Rollenträger hin (Schauspieler und Schauspielerinnen, Ampelmännchen und Ampelweibchen). Die anderen betonen, genau umgekehrt, die Gleichberechtigung und Gleichstellung gerade dadurch, dass sie von der besonderen weiblichen Form wegkommen (actor statt actress).

Aus solchen Vergleichen sehen wir, dass es nicht so sehr auf die absoluten Formen ankommt – sondern um die Änderung der Form. Und die steht für Tiefergreifendes: Der Wechsel der Form, egal in welche Richtung, kann dazu anregen, etwas zu ändern. Er bricht mit Traditionen, stört, fällt auf, gibt zu reden oder eben, im besten Fall, zu denken. Und das kann zum Umdenken führen. Wenn die emanzipierte amerikanische Schauspielerin in den Neunzigern sagt, „I am an actor“, während ihre Zeitgenossen (und -genossinnen) hier actress erwartet hätten, irritiert das produktiv, das heisst, es kann das Denken anstossen. Genau das Gleiche gilt, wenn die emanzipierte Thai sich mit der männlichen Dankesformel cap cun cap bedankt. Aber es gilt eben auch, wenn gleichstellungsbewusste Journalistinnen von Ärzten und Ärztinnen schreiben.

Allerdings: Ein solcher Wechsel der Form an sich wird das Problem des grossen kleinen Unterschieds nie ganz lösen können. Dazu brauchen wir zum Beispiel Lohn- und Chancengleichheit – also gleiches Rot und gleiches Grün in der Laufbahn für alle, auch jenseits von Ampeln und bewusst irritierendem Sprachgebrauch.

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Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend-schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer (r.federer@rgzh.ch)

Das Realgymnasium Rämibühl (RG, bis 1976 Realgymnasium Zürichberg) ist ein Langzeitgymnasium. Es ist neben dem Literargymnasium die einzige öffentliche Schule des Kantons Zürich, die einen zweisprachigen Bildungsgang in Verbindung mit dem International Baccalaureate anbietet, wobei die Fächer Geographie, Biologie und Mathematik auf Englisch unterrichtet werden. Zu den berühmten Schülern gehören Max Frisch und Elias Canetti.

Weitere Informationen finden sich auf der Homepage www.rgzh.ch

Liebe Noé, ich finde es super, dass Sie dieses Thema aufgreifen und in Erinnerung rufen, dass betreffend Gleichstellung zwar einiges unternommen wird (s. Ihre interessanten Beispiele!), dass wir aber noch nicht am Ziel sind. Es ist wichtig, dass wir in den Schulen den Sprachgebrauch genau beobachten, analysieren und daraus Schlüsse für unseren eigenen Sprachgebrauch ziehen. Der Gebrauch der Doppelnennung "Leserinnen und Leser" scheint rückläufig zu sein, vielen Schreibenden ist er zu kompliziert und schwerfällig. Für mich sehr ernüchternd scheint sich bei der Doppelnennung sogar ein neuer Trend druchzusetzen: Immer mehr Schreibende und Sprechende setzen den "Mann" an erster Stelle: "Leser und Leserinnen". Man kann argumentieren, dass - falls man für tatsächliche Gleichstellung ist - es nicht ausschlaggebend ist, ob der Mann oder die Frau zuerst genannt werden. Wenn nun aber aus Gleichstellungsgründen die Frau auf den zweiten Platz verwiesen wird, läuft etwas schief.
Vielen Dank, Noé, dass Sie am Thema dranbleiben.

Frau Perrin, die Sprache schafft dies nicht. Die neuen an Hochschulen staatlich finanzierten Dschenderlehrer auch nicht. Vielleicht die Armee? Wie die in diesem nichtmilitärischen Bereich erfolgreiche israelische Armee.

Ich weiss nicht, ob Du den Kommentarteil unter Deinem Artikel liest, aber ich bin stolz auf Dich ;)

Grossartig, Noé Perrin.Das ist so souverän, unglaublich.

PS: Deine Tante hat auch immer Graphiker als Beruf angegeben.

Vielen Dank für diesen Beitrag. Das generische Maskulinum wird nicht vergehen, weil es nicht politisch gemeint ist. Das denken nur die Ideologen. Und Frau Perrin ist der beste Autor dieser Journal-Ausgabe.

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