Kapitalismuskritik

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Kapitalismuskritik

Von Ulrich Meister, 22.05.2014

Pikettys Analysen finden Anklang. Seine Rezepte weniger.

Der 43jährige französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty, den Sozialisten nahestehend, hat einen über 900 Seiten (!) langen Bestseller geschrieben: Das Kapital im 21. Jahrhundert. Die Berufung auf Marx ist unüberhörbar, auch wenn Piketty kein Marxist und auch kein Neo-Marxist ist, wie dies seine neoliberalen Kritiker ihm vorwerfen. In den Stapfen der Wirtschaftsnobelpreisträger Krugman und Stieglitz warnt er, dass die vom Kapitalismus geförderte soziale Ungleichheit die Demokratie gefährdet. Nur eine radikalere Umverteilung über die Steuern von oben nach unten könne diese Gefahr bannen.

Das französische Original erschien 2013, relativ unbemerkt. Erst die englische Ausgabe und Pikettys Promotionstour in den USA in diesem Mai liessen das Werk in Übersee auf die Bestsellerlisten schnellen. Der amerikanische Gründermythos hat da mehr Sensibilität für Ungleichheit bewahrt als die eingeschlafene französische Revolution, trotz ihrer égalité. Die anhaltende Krise – und ihre «Bestrafung» des Mittelstands – half Piketty dabei.

Er will «historisch und statistisch» argumentieren, nicht ideologisch und selbst nicht ökonomisch. Seine magische Formel – die Kapitalrendite nimmt immer mehr zu als das Wirtschaftswachstum – erklärt aber nicht alles. Obama als US-Demokrat und, nach einer Ausnahme im Wahlkampf, auch Präsident Hollande als Sozialist schrecken vor Pikettys konfiskatorischen Steuerrezepten gegen hohe Einkommen und Vermögen begreiflicherweise zurück. Doch jederman lobt seine Analyse. Wie bei Marx.

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Die Demokratie ist das ventilbesetzte Feigenblatt der Diktatur der Wirtschaft. Und das funktioniert nur so lange, wie letztere sich ihrer systemimmanenten Perversion widersetzt, was in den letzten Jahren stark abgenommen hat.

Ja, Piketty ist in guter Gesellschaft von bedeutenden, wirkmächtigen Kapitalismuskritikern: Lenin, Stalin, Hitler, Mao Tse Tung, Fidel, Castro, Robert Mugabe, Kim - Dynastie in Nordkorea. Alle haben ihren Mitmenschen mehr Wohlbefinden erbringen/erwirken können als die Kapitalisten in Frankreich, USA, Schweiz, Westeuropa, Südkorea und ein paar wenige mehr. Die Wanderungsströme beweisen dies seit Jahrzehnten.

Das Buch lohnt auch 900 Seiten. Und um die Sinnesorgane gleichmässig auszulasten: Seit gestern ist es auch als Audiobook erhältlich, ca. 24 Stunden.

Zwei Diskussionspunkte:

1) Sie sagen:
"Seine magische Formel – die Kapitalrendite nimmt immer mehr zu als das Wirtschaftswachstum – erklärt aber nicht alles“. IMMER? - das war 1945-1975 dank dem hohen Wachstum erträglicher - nun wird es ohne Reichtumssteuer zum Schwerkraftkollaps des Kapitals führen.

2) Piketty konzipiert das GANZE als Kapitalrendite. Aber in den letzten Jahrzehnten ist die Vermögenskonzentration AUCH und zunehmend eine Sache hoher Einkommen von Managern, die AM ANFANG NICHT AM KAPITAL DER FIRMEN beteiligt sind, sondern Aktien allenfalls mit der Zeit nachgeworfen bekommen. Da ist keine voraussagbare Kapitallogik am Werk, sondern simple Bandenkriminalität: Manager schanzen Managern Firmenerträge und -Vermögen zu, solange die Sheriffs von ihrem neoliberalem Geist besoffen sind. Klassenideologie unterdessen abgelöst von der materiellen Basis.

Habe das Buch nicht gelesen. Grundsätzlich braucht man keine 900 Seiten, um zu erklären wieso das Geldsystem, also die Basis des Kapitalismus (kommt von Kapital) nicht funktioniert. Man muss dazu nicht mal Marx bemühen, Es reicht eine Grafik mit einer logarithmischen Kurve bestehend aus der totalen Geldmenge und einer exakt entgegengesetzten Grafik, die die Gesammtverschuldung aufzeigt. Und eine schräg nach oben verlaufende Linie, die das ansteigende Wachstum über die Jahrzehnte aufzeigt.

Der Kapitalismus an sich – also den Handel, Besitz und Geld halte ich grundsätzlich nicht für falsch, sofern die Anreize nicht auf blosser Gier basieren. Nur sind die Kontrollorgane die falschen. Die Ökonomie verweist darauf, dass der Staat möglichst wenig eingreifen soll. Meiner Meinung nach sollte es umgekehrt sein, denn die Regierungen können wir zumindest wählen, was bei der Wirtschaft nicht geht. Ja, wieso eigentlich nicht?

Die Regierungen - vom Volk gewählt und mit grossem Mitspracherecht - haben normalerweise eine andere Verantwortung und Denkweise als ein CEO, der nur an den nächsten Quartalsabschluss und die Aktionärsversammlung denkt. Insofern wäre es besser, der Staat würde über eine verstaatlichte Nationalbank die Geldmenge bestimmen und nicht die Privaten Banken, wie bis jetzt. Dies würde natürlich bedeuten, dass die Personen die in die Politik einsteigen eine Ahnung von Makroökonomie haben.

Es hat sich in der Geschichte mehrfach gezeigt, dass das jetzige System nicht funktioniert, weil private Interessen dem positiven Wandel im Wege stehen und weil die Mehrheit der Bevölkerung von Geld keine Ahnung hatte, zum Glück scheint sich das Bewustsein für Geld gerade zu ändern.

Tja, daß ist das Tragische. Man kann genau gegensetzlich Argumentieren und beide Positionen befinden sich "irgendwie im Recht".

Die Geschichte hat mehrfach gezeigt, daß das jetzige System sehr gut funktioniert.

Das auf Zinseszins basierte Finanzsysteme alle paar Jahrzehte zusammenbrechen, ist Systemimmanent und keineswegs negativ zu werten, sondern nur eine notwendige normale Korrektur mit temporären Auswirkungen die von einigen negativ empfunden werden könnten.

Und überhaupt, daß System funktioniert doch sehr gut für jene für die es funktioniert...

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