Letzte Option: Aufteilung des Landes

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Letzte Option: Aufteilung des Landes

Von Pierre Simonitsch, 23.11.2015

Nachdem der „Islamische Staat“ (IS) den Terror nach Europa ausgeweitet hat, intensivieren die Weltmächte ihre Bemühungen um eine Lösung des komplexen Syrienkonflikts. Dabei zeichnet sich die Tendenz ab, den gordischen Knoten zu zerschlagen.

Einstimmig hat der Weltsicherheitsrat am Freitag alle Uno-Mitglieder aufgefordert, sich „in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht am Kampf gegen den Terrorismus zu beteiligen“. Der von Frankreich vorgelegte Text legitimiert „alle notwendigen Massnahmen“ gegen den Islamischen Staat (IS) und die mit Al-Kaida verbundenen Extremisten. Diese Gruppen werden in der Resolution als „eine weltweite und einzigartige Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ bezeichnet.

Die Resolution ruft zu einer „Ausmerzung der sicheren Häfen“ auf, die sich der IS und die Al-Nusra-Front im Irak und in Syrien geschaffen haben. Sie erteilt allerdings keine Blankovollmacht für eine Militärintervention. Der Beschluss des höchsten Uno-Organs steht nämlich nicht unter Artikel 7 der Charta, der Zwangsmassnahmen vorsieht. Wegen dieser Unverbindlichkeit war es für die Franzosen relativ einfach, die Zustimmung aller anderen 14 Ratsmitglieder zu erhalten.

"Legale" und "illegale" Bombardierungen

Die jüngste Resolution ist ein Teil der grossen diplomatischen Manöver, die auf eine Befriedung des Nahen und Mittleren Ostens abzielen. Auf dem Verhandlungstisch liegen ein russischer und ein französischer Resolutionsentwurf, die einander sehr ähnlich sehen, doch in Wirklichkeit auf unterschiedlichen Konzepten beruhen.

Einig sind sich die Vetomächte USA, Russland, Frankreich und Grossbritannien darin, dass ihre zunehmend koordinierten Luftangriffe gegen den gemeinsamen Feind ein Mandat der Vereinten Nationen erhalten müssen. Die derzeitige Rechtslage ist brüchig. Nur Russland kann seine Militäraktionen in Syrien mit einer Beistandsbitte der international anerkannten Regierung in Damaskus rechtfertigen. Die westlichen Staaten bomben streng genommen illegal. Sie machen das Recht auf Selbstverteidigung geltend, das ihnen der Weltsicherheitsrat in diesem Fall aber nicht ausdrücklich zuerkannt hat.

Moralische Argumente des Westens

Mit der Begründung, dass das Assad-Regime weiterhin die einzige kohärente Kraft in Syrien darstellt und das Land bei der Uno vertritt, widersetzt sich Russland einer Absetzung des Diktators. Moskau fragt auch, welche Parteien nach dem Verschwinden Assads das Machtvakuum füllen sollen. Legalistisch ist diese Haltung unanfechtbar.

Der Westen führt moralische Argumente ins Feld: Baschar al-Assad unterdrückte 2011 friedliche Demonstrationen mit brutaler Gewalt und löste damit den Bürgerkrieg aus. Er trägt die Hauptverantwortung für die 250.000 Todesopfer und zwölf Millionen Flüchtlinge. Man könne der syrischen Bevölkerung nicht zumuten, diesen Mann als Führungsfigur in einer Friedenslösung zu akzeptieren. Die gesamte Opposition lehnt Verhandlungen mit Assad ab.

Vermittler Hollande

Am 14. November beschlossen die Aussenminister von 17 Staaten – darunter alle ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats – in Wien einen Fahrplan für Syrien. Erste Station ist ein landesweiter Waffenstillstand mit Uno-Beobachtern. Ausgenommen davon sind die Gebiete, die vom IS oder anderen Terroristengruppen kontrolliert werden. Am 1. Januar sollen Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung und der Opposition unter der Ägide der Uno beginnen. Diese sollen innert sechs Monaten zur Bildung einer glaubhaften Regierung führen, deren erste Aufgabe es wäre, eine neue Verfassung auszuarbeiten. 18 Monate danach sollen freie und faire Wahlen stattfinden.

Über die Rolle Assads steht nichts in dem Papier. Vor allem Russland und Iran halten dem syrischen Präsidenten die Treue. Jetzt ist der Weltsicherheitsrat gefordert. Eine Verschmelzung des russischen und des französischen Resolutionsentwurfs scheint angesichts der gegensätzlichen Interessen nicht möglich. Frankreichs Präsident François Hollande trachtet diese Differenzen jetzt auf höchster Ebene auszuräumen. Er wird am Dienstag in Washington mit Barak Obama konferieren und am Donnerstag zu Putin nach Moskau reisen. In der gleichen Woche trifft er in Paris mit der deutschen Kanzlerin Angelika Merkel und dem britischen Premierminister David Cameron zusammen.

Praktische Schwierigkeiten

Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass Russland Assad fallen lässt, würde die Umsetzung des Wiener Programms auf enorme praktische Schwierigkeiten stossen. Die syrische Opposition ist zersplittert. Wer soll einen Waffenstillstand in Syrien überwachen? Blauhelme in einen hinterhältigen Krieg zu schicken, wäre nicht ratsam. Unrealistisch scheint die Entsendung von Militärs aus der Region mit einem Mandat der Uno. Saudi-Arabiens Armee ist im Jemen beschäftigt. Die übrigen Golfstaaten, Ägypten, Algerien oder Marokko haben wenig Lust, ihre Soldaten in Syrien verheizen zu lassen. Iran und die Türkei sind selber im Syrienkonflikt verwickelt. Syrische Gesprächspartner befürchten, dass es letztlich zu einer Aufteilung ihres Landes kommt.

Die Vorzeigeländer des Arabischen Frühlings sind in erster Linie Syrien, Libyen, Irak und Ägypten. Der hochgejubelte Arabische Frühling war nichts anders als eine Destabilisierungsoffensive. Nur wer vom Nahen Osten und den arabischen Ländern keine Ahnung hat und glaubt, man könne westliche Systemformen einfach so übertragen, der glaubte an den Arabischen Frühling im Sinne einer Demokratisierung.

Sie nehmen ein Land hinzu, wo ausser Ihnen noch niemand einen arabischen Frühling gesehen hat: Irak und lassen das (zugegeben bisher einzige) weg, wo ein arabischer Frühling den Diktator eliminiert UND die Situation zumindest verbessert hat.

MfG
Werner T. Meyer

Lieber Herr Kerzenmacher
Ich sehe das nicht als dermassen einfach. Mir scheint die Zweiteilung in Orient dort und Occident hier, die Ihrem Urteil zugrunde liegt, überholt. Überholt von der Geschichte, die seit dem 19. Jahrhundert ein Eindirngen der europäischen Mächte und später Amerikas in den nahöstlichen Raum mit sich gebracht hat. Natürlich gehört auch die Gründung Israels zu diesem Eindringen.

Es gab nach dem zweiten Weltkrieg eine Entkolonisierung - abgesehen von Israel, das im Raum blieb. Jedoch die kulturellen und machtpolitischen Gegebenheiten blieben. Der "Westen" fuhr fort, den Ton anzugeben, machtpolitisch, kulturell, wirtschaftlich etc. Diese Präsenz, heute nennt man sie Globalisierung, hat bewirkt, dass heute der Nahe Osten nicht mehr einfach als "die Anderen" gesehen werden kann. Es ergab sich vielmehr ein Gemisch aus Elementen, die aus dem Westen importiert waren - und Gegebenheiten, die in der einheimischen Kultur und Lebensweise wurzelten.Dies sowohl materiell wie auch mental. Wenn man das Bild der Städte im heutigen Nahen Osten anschaut, muss man sich fragen: wieviel davon ist "östlich" geblieben? Wieviel wurde "verwestlicht"? Mischformen wurden zur Regel. - Sie haben recht, der arabische Frühling brachte die Demokratie nicht. Gewiss ist die Demokratie auch eine im Westen erfundene, geübte und ausgearbeitete Staats- und Lebensform. Doch die Mischlage im heutigen Nahen Osten geht so weit, dass auch dort eine Notwendigkeit besteht, sich zu Staatsformen durchzuringen, die eine Mitsprache der ganzen Bevölkerung fördern. Nur so kann diese genügend Produktivität entwickeln, um unter den heutigen Gegebenheiten ein fruchtbares Leben zu führen. Diesmal ist es misslungen, den Durchbruch zur Demokratie zu erreichen. Doch wie in Europa im 19. Jhdt (z.B. 1848) wird es neue Anläufe geben, möglicherweise von weiter ausgedehnten Schichten getragen. Der Umsetzungsprozess ist nicht zu Ende und nicht prädestiniert. Im Gegenteil, die heute bestehende Lage ZWINGT dazu, dass er weiter geführt werde.Schon mittelfristig wird sein Gelingen oder Misslingen zur Überlebensfrage, weil die gegenwärtige Halb und Halb Situation nicht andauern kann.

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