Menschenwürde wird antastbar

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Menschenwürde wird antastbar

Von Barbara Schmid-Federer, 27.03.2019

Verurteilte Jihadisten in der Schweiz sollen in Zukunft in ihr Heimatland ausgewiesen werden, auch dann, wenn ihnen Folter oder Todesstrafe drohen. So wollen es der National- und der Ständerat.

Abgesehen davon, dass Folter und Todesstrafe einer christlichen Kultur unwürdig sind, wird mit diesem Entscheid zwingendes Völkerrecht und die eigene Bundesverfassung verletzt. Das Folterverbot gilt absolut. Der Grund dafür liegt darin, dass Folter in jedem Fall eine Missachtung der unantastbaren Menschwürde bedeutet.

Verlust der Vorbildfunktion

Wenn das Parlament die Tür des Folterverbots nun einen Spalt weit öffnet, so ist dies dreifach problematisch: Erstens verlieren wir das Vertrauen in unseren Rechtsstaat (wann kommt die nächste Ausnahme?), zweitens verliert die Schweiz damit ihre Vorbildfunktion (Foltern tun auch Schurkenstaaten) und drittens übergeben wir damit auch Menschen der Folter, die wir im Einzelfall gar nicht gemeint haben, beispielsweise einen Jugendlichen, der sich zum Fanatismus verführen liess, oder ein Kind, welches zum Krieg gezwungen wurde.

Stolz sind wir auf unsere Schweiz. Unsere direkte Demokratie ermöglicht uns ein Leben in Frieden und Sicherheit. In der Schweiz werden Rechtsstaat und Minderheiten geschützt, Randregionen unterstützt, Bedürftige versorgt und Landessprachen gefördert.

Grundstein des humanitären Völkerrechts in Genf

Einer der wohl wichtigsten Faktoren für den Erfolg des Chancenlandes Schweiz ist die Tatsache, dass bei uns, konkret in Genf, das humanitäre Völkerrecht seinen Anfang nahm: Der Grundstein zum humanitären Völkerrecht wurde 1864 mit dem ersten Genfer Abkommen gelegt. Unter dem Einfluss der Schlacht von Solferino und deren schweren Verluste schlug der Schweizer Henry Dunant die Erstellung dieses humanitären Abkommens vor. Ein weiterer Vorschlag Dunant’s im Anschluss an Solferino waren die Schaffung des Roten Kreuzes (SRK), beziehungsweise des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK).

Die Rotkreuzbewegung mit dem roten Schweizerkreuz auf weissem Grund fördert seither weltweit die Einhaltung des humanitären Völkerrechts sowie seine Umsetzung in nationales Recht. Gleichzeitig setzt sich das Rote Kreuz weltweit für das Durchsetzen der internationalen Menschenrechte ein: Beide, also das Völkerrecht und die Menschenrechte, verbieten Folter oder unmenschliche Behandlung. Diese Grundsätze gelten für alle.

Wie wird der Bundesrat den Vorstoss umsetzen?

Auf diesen Grundsätzen aufbauend ist die schweizerische Bundesverfassung seit der Gründung des Bundesstaates Schweiz von 1848 das einigende Band der Schweiz. Wir, also Volk und Stände, haben darin festgehalten: „Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.“ Wir haben ebenfalls darin festgeschrieben, dass das zwingende Völkerrecht – und darunter fallen auch das Folterverbot sowie die Todesstrafe – nicht verletzt werden darf.

Auch wenn noch völlig unklar ist, wie der Bundesrat den Vorstoss umsetzen soll, ist das Parlament verpflichtet, unsere eigenen Gesetze einzuhalten, ansonsten seine Glaubwürdigkeit und diejenige der Schweiz in Gefahr geraten. Immerhin haben die Mitglieder des Parlaments bei ihrem Amtsantritt ein Gelübde, bzw. einen Eid abgelegt: „Ich schwöre vor Gott dem Allmächtigen, die Verfassung und die Gesetze zu beachten und die Pflichten meines Amtes gewissenhaft zu erfüllen.“

Der Appell des IKRK

Bereits im Januar 2018 hat Peter Maurer, Präsident des IKRK in der Neuen Zürcher Zeitung einen Appell an den Schweizer Gesetzgeber gerichtet: Mit dem Problem zurückkehrender Kämpfer von weit entfernten Kriegsschauplätzen seien weltweit nahezu 100 Länder konfrontiert. Die Regierungen hätten berechtigte Sicherheitsbedenken und müssten entscheiden, wie sie vorgehen wollten.

Im Namen des IKRK appellierte Maurer an alle, die Personen einschliesslich ausländischer Kombattanten und ihrer Familien festhalten, welche im Zusammenhang mit diesen Kämpfen gefangen genommen wurden, diese Personen human und in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften zu behandeln. Niemand dürfe gefoltert oder standrechtlich hingerichtet werden. Jeder Mensch habe Anspruch auf einen fairen Prozess. Ausnahmen seien nicht vorgesehen.

Grundregeln der Menschlichkeit

Sämtliche Staaten weltweit müssen auf schwierige neue Herausforderungen humane und gesetzeskonforme Antworten finden. Die Grundregeln der Menschlichkeit und das humanitäre Völkerrecht, dem wir uns selber verpflichtet haben, geben uns dazu Orientierungshilfen und setzen uns Schranken, die nie überschritten werden dürfen.

Oder wie IKRK-Präsident Peter Maurer sagte: „Die Menschheit ist keineswegs zum ersten Mal mit schweren Verbrechen dieser Art konfrontiert, und am besten hat sie reagiert, wenn sie nüchtern Gesetze anwandte.“

Die Menschenwürde muss unantastbar bleiben, für alle.

Nebst den Gefahren für die Bevölkerung sollte auch immer wieder auf die Kosten verwiesen werden, die solche Personen und ihre Unterstützer hier verursachen.
"Während er Werbung für Terror machte, kassierte seine Familie 360 000 Franken Sozialhilfe"
https://www.tagblatt.ch/schweiz/islamisten-auf-freiem-fuss-bundespolizei...
Oder:
"von der Sozialhilfe gelebt – insgesamt bezog er so beinahe 600'000 Franken"
https://www.blick.ch/news/schweiz/er-kassierte-fast-600000-franken-biele...

Grundsätzlich ist diesem Artikel nichts hinzuzufügen. Mir stellt sich lediglich eine Frage:

"Wie wird der Bundesrat den Vorstoss umsetzen?" Diese Frage geht bereits davon aus, dass der Bundesrat den Vorstoss in irgendeiner Form umsetzen muss. Diese Haltung ergibt sich offensichtlich aus einer - wenig reflektierten - Gewohnheit unseres Verständnisses des Parlamentsbetriebes.

Unabhängig davon, dass die Befürworter des Vorstosses einen Verfassungsbruch verlangen (Nicht nur Art. 10 ist betroffen, auch Art. 25 Abs. 3 "Niemand darf in einen Staat ausgeschafft werden, in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht.") müsste sich doch auch die Frage stellen, ob das Parlament überhaupt die Befugnis hat, vom Bundesrat einen Verfassungsverstoss zu verlangen. Ob also der Bundesrat nicht einfach sagen kann, dass er einen solchen Vorstoss (auch wenn mit Mehrheit beschlossen) grundsätzlich nicht entgegennimmt. Es gibt in der Schweiz keine Verfassungsgerichtsbarkeit, d. h. es wäre gar nicht möglich, den Beschluss der Räte anzufechten. Umgekehrt ist mir unklar, ob anderseits die Räte die Möglichkeit hätten, eine Weigerung des Bundesrates juristisch anzufechten - was dann allerdings zu einer indirekten Prüfung der Verfassungsmässigkeit führen würde, also im Grunde zu begrüssen wäre. Wenn nicht, dann ergäbe sich einfach ein Patt, und die Exekutive könnte das Handeln verweigern.

Gerade der Bundesrat, der ja nicht einfach abgewählt werden kann, würde für eine klare Haltung hier sehr wenig riskieren. Meines Erachtens genügt es eben nicht, einfach zu sagen, der Bundesrat sei dagegen und dann den Vorstoss auf den üblichen Weg zu schicken.

(Übrigens ist das ein Beispiel dafür, wieviel Wert die Aussage der SVP, aber auch eines Teils ihrer Gegner hatte, also es um die Menschenrechte und das 'zwingende Völkerrecht' ging. Schon wenig Monate später ist das nur noch Geschwätz.)

Ich persönlich bin gegen eine Verfassungsgerichtsbarkeit à la USA oder auch Deutschland, die zwar dieses Problem im Einzelfall lösen könnte, deren Befürworter aber gerne vergessen, dass z. B. der Supreme Court während Jahrzehnten die Rassendiskriminierung geschützt hat, obwohl schon Stevenson wusste, dass sie gegen die Verfassung verstösst. Das Problem der letzten - formal dann nicht mehr kontrollierbaren - Instanz lässt sich eben schlicht nicht lösen. Wehe, man hat die falschen Richter gewählt, dann kann man sie in der Regel nicht mehr loswerden. Beim Parlament ist das anders.

Die einzige Abhilfe ist und bleibt hier die Integrität der handelnden Personen in Parlament und Bundesrat. In diesem Fall ist die Sache besondern stossend, weil es schlicht nichts zu interpretieren gibt. Die Artikel der Verfassung sind absolut klar.

Ich meinte natürlich Jefferson und nicht Stevenson.

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