„Schwexit“ heisst das Ding!
Nachgerade haben wir Übung im Umgang mit EU-feindlichen Volksinitiativen. Seit dem Patzer bei jener zur soit-disant „Masseneinwanderung“ gab es keine Unglücksfälle mehr, auch nicht bei Angriffen auf Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit, wie sie uns bekanntlich auch polnische und ungarische Populisten regelmässig vor Augen führen. Der „Zeit“-Artikel stellt die europapolitische Entwicklung der Schweiz seit dem EWR-Nein im Jahre 1992 dar und wie die Integration in den Europäischen Binnenmarkt dennoch gelingen konnte.
Der Brexit hat viele Sprachschöpfungen zur Folge gehabt. Ein Grexit wurde diskutiert zur Frage, ob Griechenland die Euro-Zone verlassen könnte, mit dem Frexit liebäugelte die derzeit führende französische Nationalistin, bevor sie realisierte, dass ihr das in den Präsidentschaftswahlen nur schaden könne ... aber hier soll nicht Sprachanalyse betrieben werden. Bemerkenswert an der Sprachschöpfung in der „Zeit“ ist etwas ganz anderes, dass nämlich die Schweiz europapolitisch offensichtlich derselben oder einer ähnlichen Kategorie zugeschrieben wird wie Grossbritannien.
Natürlich gibt es da Vergleichbarkeiten, die aber eher die Mentalität der Verhandlungsführenden betrifft. Man will vom Binnenmarkt profitieren, ist jedoch nicht bereit, die daraus sich ergebenden Konsequenzen vollumfänglich zu tragen. Oft wird dieser Vorgang mit „Rosinenpickerei“ umschrieben, vor allem in Analysen seitens der EU. Damit sind die Vergleichbarkeiten aber auch schon am Ende, denn die Ausgangslage der beiden Länder könnte unterschiedlicher nicht sein. Grossbritannien war von 1973 bis Ende Januar 2020 Mitglied der EU und für die Handelsbeziehungen gilt eine Übergangsphase bis Ende 2020. Ob danach ein vertragsloser Zustand folgt, ist noch unsicher. Die Schweiz hingegen steht der EU immer als Bittstellerin von aussen gegenüber, also ungleich schwächer als Grossbritannien. Es ist deshalb nichts als logisch, dass die Brexit-Verhandlungen auf der Prioritätenliste der EU-Diplomatie ganz oben stehen, jene über ein Rahmenabkommen mit der Schweiz wohl nicht gerade am Ende, aber jedenfalls viel weiter unten.
Wenn nun mit „Schwexit“ der Eindruck entsteht, es gehe auch nur annährend um etwas ähnliches wie beim Brexit, so ist das für Befürworterinnen und Befürworter eines EU-Beitrittes der Schweiz recht wohltuend: Offensichtlich erachtet man in Europa unser Land als so vorbehaltlos in den Binnenmarkt integriert, dass ein Ausscheiden – und eine Annahme der Initiative am 27. September kann nichts anderes bedeuten – einem Brexit gleichkäme, obwohl es eine EU-Mitgliedschaft gar nicht gegeben hat. Handelspolitisch verhält sich die Schweiz eben schon längst so, wie wenn sie EU-Mitglied wäre. Anders könnte dieses kleine Land im Herzen Europas gar nicht existieren.
„Schwexit“ ist wohl eine deutsche Sprachschöpfung. Kennt man sie auch auf französisch, spanisch, italienisch? Bis jetzt ist die Schweiz diesem Club nicht beigetreten. Die einen bedauern das, die andern sind froh und dankbar dafür. Kommt drauf an, welchen Glaubensrichtungen man anhängt.
Selbstbewusst hat Boris Johnson der EU den Tarif erklärt. Hat die Schweizer Regierung mitgehört?
„Johnsons Erfahrung mit der EU kann auch die Schweiz mit Zuversicht erfüllen. So hatte die EU noch vor kurzem kategorisch ausgeschlossen, mit dem neuen Premier das Austrittsverfahren neu auszuhandeln. Und doch hat sie es getan. Freilich lässt sich die Lage der Schweiz nicht eins zu eins mit derjenigen Grossbritanniens vergleichen. Dennoch lässt sich aus Johnsons Tour de Force ablesen: Wer selbstbewusst und entschlossen auftritt, verschafft sich Spielraum. Und die EU ist schwächer, als sie sich gibt – innere Konflikte reiben die Union auf. Die Schweiz braucht sich von autoritärer Rhetorik nicht einschüchtern zu lassen.“ (Urs Gehriger in Weltwoche 6/2020, 5.2.2020)