Sündenbock
Warum geht es Italien schlecht? Warum erholt sich das Land nicht endlich? Die Populisten wissen es. Schuld ist die europäische Einheitswährung. Dies zumindest behaupten die „Lega Nord“ und die „Cinquestelle“. Nur: Italien ging es schon vor der Einführung des Euro nicht gut. Schon immer war das Belpaese ein Krisenland. Die Meinungen der italienischen Wirtschaftswissenschaftler gehen auseinander, wieweit der Euro heute Italien belastet. Die einen sagen: gar nicht. Die andern meinen: ein wenig. Sicher ist aber: Der Euro ist nicht das italienische Hauptproblem.
Die Arbeitsmarktgesetze schreien zum Himmel und blockieren jede vernünftige wirtschaftliche Tätigkeit. Wer einen Betrieb eröffnen will, muss oft jahrelang auf die Erlaubnis warten. Die Bürokratie schlägt Purzelbäume wie in der Dritten Welt. Das italienische Bankensystem ist lächerlich verknöchert und lähmt jeden Aufschwung. Die Gewerkschaften sind verkalkt, stur wie ein sardischer Esel und zu Kompromissen weder fähig noch willens. Das organisierte Verbrechen wird mit Samthandschuhen angefasst und hat sich bis tief in die Institutionen hineingefressen. Die Politiker, die die höchsten Diäten in Europa kassieren, sind reformunfähig, denken nur an sich und drehen sich im Kreis. Sie produzieren massenweise Gesetze, die niemand mehr kennt. Wie sagte der römische Geschichtsschreiber Tacitus: „Im verdorbensten Staat gibt es am meisten Gesetze.“
Italien hätte das Potential, ein florierendes Land zu sein. Wie viele junge Italienerinnen und Italiener gibt es mit wunderbaren Ideen, Plänen und Punch. Ihnen und ihren Startups legt der zu Tode regulierte Staat so viele Steine in den Weg, dass die meisten Jungen verzweifeln und aufgeben. Hier liegen die Hauptursachen für die Misere und nicht im vorgeschobenen Sündenbock Euro. Das Land war und ist krank, verkrustet und angeschlagen bis tief in die Eingeweide hinein. Im buchstäblichen Sinn: 50 Prozent des Römer Trinkwassers sickern durch die verrosteten Röhren ins Erdreich.
Selbstverständlich ist der EURO die Hauptursache der Italien-Krise. Früher waren regelmässige Abwertungen der Lira ein Segen für die italienische Exportindustrie und den Tourismus.
Wer allen Ernstes glaubt, dass Italien - oder Europa überhaupt - an irgend einer Euro-Sklerose leide, oder gar, dass der Euro an allem Schuld sei, der gehört in die selbe Schublade wie die AfD. Die Einfachheit des Seins.
Das Potential wäre riesig. Auch personell. Man schaue sich beispielsweise die 'letters to the editor' in britischen Qualitätszeitungen an. Italienische Oekonomen allererster Güte gibt's in ganz grosser Zahl. Aber sie sind längst ausgewandert. Das Grundübel Italiens ist jenes des gestörten Verhältnisses zum Staat. Dieser verkörperte über lange Zeit ausländische Mächte. Durch die Mitgliedschaft, als Gründungsmitglied, in der EU hat sich jedoch die destruktive Haltung nicht verändert. Möglicherweise sogar verschlimmert. Die Idee, gewissermassen vor der eigenen Tür, Hausaufgaben zu erledigen, kommt nicht auf. Probleme, denken die Italiener, werden durch andere verursacht. Und diese sollen sie auch lösen. Diese Krux konnte bis vor ca. 25 Jahren noch dadurch etwas entschärft werden, dass im Familienverbund Lösungen gesucht und teilweise gefunden wurden. Dies ist auch bachab gegangen. Der Euro hat die Gesamtsituation verschlimmert. Indem eine Gratiszinssenkung über Nacht eine Unmenge ungesunder Anreize bildete. Was (vermeintlich) nichts kostete, schadete. Und schadet weiterhin.
Nicht an allem schuld, aber doch schuld am Aufhäufen von nicht abbaubaren Schuldenbergen. Hans Werner Sinn kann noch mehr vom Euro verursachte volkswirtschaftliche Schäden darlegen, aufdecken, beweisen. Der Kosovo hat keinen Euro, ist aber trotz Unabhängigkeit und Schweizer Militäreinsatz ein "failed state".
"Corruptissima respublica, plurimae leges" – gut gesagt,Tacitus, und sein weiser Spruch mag wohl auch für's heutige "Eurotalia" zutreffen. Allerdings erinnert diese Mahnung auch sehr an die Zustände in der EU selbst, welche ja ebenfalls zur permanenten "res publica", wenn auch (noch) nicht zum eigentlichen Staat geworden ist. Gottlob.
Ein sehr guter Kommentar über ein Land, das scheinbar nicht gewillt ist, sich zu reformieren. Es ist schon widersinnig: Einerseits gibt es einen Staat, der dermassen verbürokratisiert ist, dass jede Entwicklung, die Unternehmensgründungen und somit Arbeitsplätze begünstigen würde, ausser Kraft gesetzt wird und andrerseits scheren sich die Bürger einen Deut darum, dass der Staat endlich einmal das tut, was vonnöten wäre. Denn viele Bürger arbeiten schwarz, umgehen Gesetze, zahlen keine oder zuwenig Steuern, leben ab und an in einem rechtsfreien Raum. Man hat sich zweifellos mit einem Staat arrangiert, der in den Seilen hängt, denn so kann man ohne schlechtes Gewissen sich dort bereichern oder schadlos halten, wo niemand hinschaut. Wann wacht dieses Land endlich auf? Als der Euro eingeführt wurde, stiegen in der Tourismusindustrie zuerst einmal die Preise und zwar erheblich, aber ohne dass die Leistungen besser geworden wären. Daran, dass sich in diesem Land seit Jahrzehnten nichts verändert, ist der Euro nicht schuld. Darauf zu hoffen, dass Italien in absehbarer Zukunft zur Vernunft kommt, wäre vermessen. Daher bleibt nur noch eines: Ciao bella Italia!
klitzekleiner Kommentar: kein europäischer Parlamentarier kriegt (nicht: verdient) soviele Euro ausbezahlt wie die italienischen Parlamentarier. Tabuzone.
und es ist gut, dass sich die Bürger einen Deut um den Staat scheren, denn so funktioniert Italien immer noch und die Destruktivkraft der Politiker wird domestiziert. Aufwachen wird Italien, wenn die Bankencrashs nicht mehr mit (deutschem) Geld bzw. Schulden in Euro aufgefangen werden können. Sei es weil es den deutschen Bürgern/Steuerzahlern (nicht der Exportindustrie natürlich) zuviel wird, oder weil die Crashs zu gross werden. Dann schlägt die Stunde der Wahrheit.
Glauben sie, Herr Wolf, Deutschland wäre besser beraten und würde weniger bezahlen, wenn es die DM wieder einführen würde? Wer hat wohl in den letzten Jahren am meisten vom Euro profitiert? Etwas, das der gute Herr Sinn natürlich tunlichst verschweigt.
Herr Hofstetter, ja, die deutschen Exporte generieren ein Einkommen, das, wie Hans Werner Sinn darlegt, ein Guthaben in schwachen Ländern generiert, aber sicherlich nicht, oder nur teilweise bezahlt wird. Der Turmbau zu Babel wiederholt sich, er heisst neu: Euro.
Lieber Richard Scholl, wer auf Sinn setzt erfaehrt viel sinnloses das niemandem dient und zu ihnen gesagt, wenn ein Land zu schwach um deutsche Exporte zu bezahlen erreicht das Geld auf wunderbare Hilfsgelderweise die wartenden Empfaenger via Bankenhilfen, Griechenland das Paradebeispiel. Die deutsch Zahlungsbilanz stimmt auf diese Weise immer. Was interessiert das einen Herrn Sinn !
Der Euro hat die Zinsen in Italien künstlich gesenkt, da die Deutschen als Garantie gesehen werden. Verschulden ist einfach, Strukturreformen sind schwierig. Deshalb ist der Euro schuld, dass Italien nicht weiterkommt. Die Politiker wählen immer den einfacheren Weg, weil sie wiedergewählt werden wollen (es handelt sich nicht um die besseren Menschen, ganz besonders nicht im Fall der "Idealisten" mit viel Gestaltungswille). Und sie produzieren Gesetze, statt sie abzuschaffen - damit würden sie gleichzeitig sich selbst abschaffen.
Nein, Herr Hug: Der Euro ist schuld. Eine politische Konstruktion gegen den wirtschaftlichen Verstand. Kein Sündenbock. Es ist seltsam, wie schwer es den Journalisten heute fällt, "das System" zu kritisieren.
Es ist seltsam, wie schwer es den EURO und damit auch EU Kritikern fällt, "das System", das sicher nicht ohne Maengel, als Erfolg zu sehen. Beweise gibt es genug. Beispiel Arbeitslosigkeit. Ausser GR ueberall Verbesserungen, selbst nun auch in Spanien. Wobei logisch wqeder Euro noch EU strukturelle Schwaechen in den Laendern voll ausgleichen kann. GR leider ein Beispiel fehlenden Willens von Herrn Schaeuble, ein Erkonservativer der nicht gerne zugibt was alles falsch gemacht wurde, daher auch die Investitionen ausbleiben. Ansonsten hat der Euro der Wirtschaft, vor allem der Tourismusbranche viele Vorteile gebracht. Wie muehsam und kostspielig war doch die Devisentauscherei, einzig fuer die Banken ein gutes geschaeft. Warum sieht das ein Herr michael wolf nicht ?