Wachsende Entfremdung

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Wachsende Entfremdung

Von Urs Meier, 03.09.2020

Demonstrationen von Corona-Leugnern haben etwas Irritierendes. Sie zeigen einen totalen Abbruch der Kommunikation.

Die Kaperung der Corona-Demos durch Rechtsextremisten in Berlin mit der Beinahe-Stürmung des Bundestags hat zu Recht Aufregung ausgelöst. Sie war so gross, dass die eigentliche Botschaft dieser Demonstrationen, die es an vielen Orten – auch in Zürich – gab, aus dem Blick geriet. Die angeblich «ganz normalen» Leute, die gegen staatlich verordnete Schutzmassnahmen auf die Strasse gehen, nehmen ihre demokratischen Freiheitsrechte in Anspruch. Diese stehen ihnen selbstverständlich zu, und das Demonstrationsrecht fällt denn auch beim behördlichen und gerichtlichen Abwägen über Bewilligung oder Verbot solcher Manifestationen neben dem Gesundheitsschutz stark ins Gewicht.

Was allerdings irritiert, ist das schrille Pathos, mit dem diese diffuse Bewegung sich als unterdrücktes, von einer diktatorischen Regierung unmündig gehaltenes und von den Medien systematisch belogenes Volk in Szene setzt. Die ständig repetierten treuherzigen Ansagen – man wolle ja nur Fragen stellen, man sei halt irritiert über gewisse Unstimmigkeiten bei Expertisen und Massnahmen, so gut wie jedermann kenne bezeichnenderweise persönlich keinen einzigen Corona-Fall – passen in keiner Weise zum aggressiven Auftritt und zur apokalyptischen Tonalität der Demonstrationen.

Nicht nur die Auswüchse, sondern mindestens ebenso sehr die angeblich im Normalbereich liegenden Hauptströmungen dieser Bewegung von Corona-Leugnern sind bedenklich. Und zwar wegen der Art, wie hier ein politischer Dissens zum völligen Abbruch der Kommunikation mit dem Ganzen der Gesellschaft führt. Konflikte sind normal, politischer Streit kann produktiv sein. Doch damit demokratische Politik möglich bleibt, braucht es ein gesellschaftliches Gewebe, das divergierende Gruppen, Sichtweisen und Interessen soweit zusammenhält, dass sie einander wahrnehmen. Feindselige Abschottung hingegen zielt darauf ab, solche Verbindungen aufzulösen. Das unter doktrinären Corona-Leugnern herrschende Meinungsklima ist beunruhigender als die Reichskriegsflaggen vor dem Bundestag.

Die "doktrinären Corona-Leugnern" ist eine ziemlich üble Unterstellung an die Adresse derjenigen, welche die Covid-Massnahmen als unverhältnismässig einschätzen und sie teilweise sogar ausserhalb des Rechts verorten. Dass es solche Anwürfe an die Kritiker nicht mehr zu belegen gilt, ist auch an Ihrer Schreibe sichtbar. Der "schrille Pathos" wird als Beleg genommen, um diesen Demonstrierenden jegliche Kommunikationsfähigkeit abzusprechen. Aber wer engt hier den Debattenraum ein, der für eine Demokratie grundlegend ist? Wer sagt hier, was sagbar ist und was nicht? Und wer so ähnlich wie Sie argumentiert, der wird auch nicht zögern, in den Medien gewisse Meinungen nicht stattfinden zu lassen. Und damit entkräften Sie Ihren eigenen Vorwurf, die Demonstranten würden sich eines unverdienten Pathos bedienen. Denn es geschieht nicht nur hier und heute, dass Medien manipulieren. Erinnern Sie sich noch an die im Wüstensand vergrabenen "weapons of massdestruction"?

Kleines Detail: Die seinerzeitige Behauptung, Saddam Hussein habe über A- und C-Waffen verfügt, wurde nicht von den Medien in die Welt gesetzt, sondern von amerikanischen Geheimdiensten, Generälen und Regierungsstellen. Aber vielleicht ist dies für Sie ja alles mehr oder weniger dasselbe.

Ihr engagierter Einwurf spart aber aus, dass 'in die Welt setzen' nicht nur aus Regierungsbulletins und deren Verbreitung besteht, sondern meist der aktiven Mitarbeit der Mediensparte bedarf, die auch in diesem Fall bestens mitspielten. Dass diese Fehlinformation von höchster Stelle abgesegnet war, bleibt einem geschenkt, aber es war bei weitem nicht die einzige strategische Kommunikation in diesem Zusammenhang, welche medienseitig beinahe endlos rezykliert wurde.
Vielleicht können Sie mir eine Kriegshandlung der westlichen Allianz in den letzten 30 Jahren nennen, die nicht über die Medien geführt wurde. Mir fällt keine ein.

" Feindselige Abschottung hingegen zielt darauf ab, solche Verbindungen aufzulösen" Und was machen Sie denn mit Ihrem Text hier, genau das was Sie verurteilen. Es gibt keine Corona Leugner, es sind ganz normale selbstständig denkene Menschen die sich kritisch äussern. Es gibt nun mal genug Fakten von seriösen Wissenschaflern und gebildeten Menschen die diesen Virus hinterfragen. Sie sollten Ihre Informationen mal grundlegend und objektiv Aktualisieren.
Bruno von Allmen

Vollkommen einverstanden mit dem Kommentar21 von Herr Meier. "Selbständig denkende Menschen die sich kritisch äussern" lol... Falls Ihnen das Wort "Leugner" nicht passt, nehmen sich doch "Covidioten". Was wollen die eigentlich, habe ich immer noch nicht verstanden? Sie wollen nicht zu ihrem Glück gezwungen werden, ok, und sonst?

Ich finde die Bezeichnung "Corona-Leugner", Herr Meier, sehr abschätzig. Sie meinen - und sagen es explizit - damit die ganz normalen Leute, welche mitliefen und mit den verordneten Massnahmen nicht einverstanden sind. Welche im übrigen in der grossen Mehrheit waren. Die Leute stellen Fragen, "treuherzig", wie Sie schreiben. Erhalten sie auch Antworten? Was finden Sie an diesen Menschen nicht normal? Was geht von ihnen Bedrohliches aus? Rechtsextreme und andere üble Gruppierungen haben die Demonstration gekapert. Leider. Die Medien sind jedoch noch so bereit deren aggressives Gebahren in Szene zu setzen. Geben die Medien den divergierenden Gruppen, den anderen Sichtweisen, den Erfahrungen der Menschen vielleicht nicht genügend Raum?

Herr Meier
Den Schlusssatz Ihres Artikels finde ich mehr als irritierend.
Ich kann es nicht nachvollziehen, dass Sie das Meinungsklima der Corona-Gegner als beunruhigender bezeichnen als die menschenverachtende Haltung von rechtsradikalen Gruppierungen. Dies umso mehr, wenn ich mir Ihren Werdegang vor Augen führe...
Ich würde mir wünschen, dass bei solch heiklen Themen die Sprache mit mehr Sorgfalt und Achtsamkeit verwendet würde.
Monika Lindenmann

Dem Kommentar von Urs Meier ist nichts beizufügen und Beispiele dieses vergifteten und vergiftenden Diskurses findet man schon in den Kommentaren auf dieser Seite.
Einfach nur dagegen sein und alle Fakten zu verleugnen hat nichts mit Kritik zu tun, denn die Demokratie lebt vom Diskurs und wenn sich dann Politiker oder die Presse dem Diskurs stellen wollen, sind es stets die "Kritiker", die jegliche Diskussion durch Hassparolen bis hin zu blanker Gewalt abwürgen.
Wenn es aber bei diesen unsäglichen "Hygiene-Demos" zu Szenen kommt, wo "Kritiker" vor der Russischen Botschaft ihrem Idol Adol...-Entschuldigung Vladimir Putin huldigen und etwas von "Merkel-Diktatur" schwadronieren, während einige Meter weiter ein Kritiker von Putin vergiftet im Koma um sein Leben kämpft, wird es endgültig grotesk!
Da spielt es kaum noch eine Rolle, dass an friedlichen Demonstrationen Kriegsflaggen und Kriegsrhetorik gebraucht und demokratische Parlamente probeweise gestürmt werden.
Wem dass alles nicht genug ist, um sich aus diesem faschistoiden Dunstkreis zurückzuziehen und wer diese Kräfte dann auch noch insgeheim verteidigt, muss sich nicht wundern, wenn er oder sie, wie auch die ganze Bewegung der Hygiene-Demo-Befürworter als braun versiffte Verfassungsfeinde bezeichnet werden, gegen die sich der demokratische Rechtsstaat mit aller Kraft zur Wehr setzen muss und dies zum Glück auch endlich tut.

Stimmt, wenn jemand eine andere Meinung zur gegenwärtigen Notrechtspraxis hat, ist er keine Kritiker, sondern ein Leugner. In Deutschland steigert sich das ganze Gerangel zur Bezeichnung von Kritikern als Hasser. wer bsp.weise in Deutschland Kritik an der Energiewende äussert ist ein Klimaleugner. und / oder Umwelthasser. Offenbar wollen viele Bürger eine Einschrlänkung der Meinungsäusserungsfreiheit: alle Leugner und Hasser dürfen dieses Menschenrecht nicht in Anspruch nehmen. Wer ein Leugner, wer ein Hasser ist , bestimmen die jetzigen Jakobiner. Nil novum sub sole.

Vielen Dank, Herr Scholl. Das Wort Corona-Leugner ist diffamierend. Niemand (der halbwegs bei Sinnen ist) leugnet, dass es das Coronavirus gibt. Die Wortkombination ...-Leugner erinnert an Holocaust-Leugner (ich befürchte, dass diese Assoziation bewusst oder unbewusst gewollt ist).

Ein Diskurs und Kritik müssen möglich sein ohne derart diffamiert zu werden.

Mit einer bewussten und korrekten Wortwahl könnten Sie, Herr Meier, schon mal zur Kommunikation beitragen, die Sie wünschen.

Denn diese Kommunikation in der Gesellschaft ist wirklich ein dringendes Anliegen!

Die Corona-Steuerung hat Spiel!
Sie müssen die Lager ersetzen, so würde das TÜV entscheiden. Die Steuerung ist nicht mehr präzise! Neustens und auch über Jahre hinweg wurden Dinge gesagt, getan auch in manch anderer Beziehung, die bei der sogenannten Volksmeinung in einer Demokratie, Fragezeichen hinterließen. Wen wundert es noch, politische Führung steht vielerorts unter Druck, Vertrauensverlust wegen Kommunikationsfehlern en masse. Wenn gut bezahlte Spezialisten uneinig sind, dauernd veränderte Verhaltensweisen empfohlen werden und die Medien ständig wechselnd, zwischen Horrorszenarien und Verharmlosung agieren, ja dann entstehen solche als unschön zu bezeichnende Gegenkräfte. Larifari nennen wir solches Tun in der Schweiz! Die haben alle nur das Vertrauen verloren! Vernunft gesteuerte Führung im positiven Sinne, kann man wenigstens noch in Österreich erkennen. In schwierigen Zeiten muss man den Mut haben, das Zepter in die Hand zu nehmen, kann auf Hinz und Kunz keine Rücksicht mehr nehmen. Eben, der Volksgesundheit zu liebe. …cathari

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