Zu viel Staat?

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Zu viel Staat?

Von Urs Meier, 26.11.2020

Der Bund wird kritisiert, er habe in der Pandemie übermässig Macht an sich gerissen. Hat er nicht.

Es sind nicht nur Corona-Leugner, Verfassungsfreunde und Trump-Anhänger, die vor einem übergriffigen Staat warnen. Auch Exponenten der Wirtschaft und diverse sich als Liberale verstehende Meinungsmacher sehen die Schweiz in akuter Gefahr, zur Beute eines machthungrigen politischen Apparats zu werden. Für sie verblasst die Gefährlichkeit des Virus angesichts der angeblich entfesselten Ambitionen von Regulierern und Durchregierern.

In der ersten Coronawelle im Frühjahr übernahm der Bundesrat nach Ausrufung der «ausserordentlichen Lage» gemäss Epidemiegesetz die Führung. Er verordnete unter anderem einen Teil-Lockdown für die Bremsung der Ansteckungsdynamik, sorgte für schnelle Hilfe für bedrohte Unternehmen, stützte mit dem Instrument der Kurzarbeit die Angestellten und durch Ersatz von Erwerbsausfall viele Selbständige. Auch wenn nicht alles nach Wunsch lief und das aufgespannte Netz nicht alle auffangen konnte, fand das Krisenmanagement der Landesregierung doch breite Zustimmung. 

Doch der Argwohn, der Bundesrat sei auf den Geschmack gekommen und habe inzwischen Freude an seiner ungewohnten Macht, wurde schon im Frühling laut. Zudem hiess es, die Milliardenpakete zur Milderung wirtschaftlicher Corona-Schäden überforderten die Bundesfinanzen. Die NZZ unkte von «Corona-Sozialismus». Wirtschaftsverbände sowie rechte und bürgerliche Kreise erhoben einträchtig die Forderung, der Bundesrat müsse die Führung so rasch als möglich den Kantonen zurückgeben. Und auf gar keinen Fall dürfe es einen zweiten Lockdown geben, denn das würde in der Bevölkerung nicht akzeptiert und die Staatskasse könnte es sich nicht leisten.

Seit dem Sommer sind die Kantone in der Verantwortung. Die stark betroffenen Genfer verhängten früh eine Maskenpflicht, andere warteten auf Anweisungen des Bundes. Viele Kantone agierten zögerlich, weil sie die finanziellen Folgen von Restriktionen lieber der Eidgenossenschaft zuschieben als selber tragen wollten. Das Prinzip Eigenverantwortung funktioniert eben auch auf dieser Ebene im Sinne des Eigeninteresses: Man schaut zwar für sich; aber eben nicht nur aktiv vorsorgend, sondern auch passiv durch Vermeidung von Lasten.

Auf nationaler Ebene fehlt seit der Beendigung der «ausserordentlichen Lage» die Führung. Das den Kantonen obliegende Contact Tracing versagt weitherum. Niemand hat mehr die Kontrolle über das Infektionsgeschehen. Es wird viel zu wenig getestet. Intensivpflegebetten werden knapp. Die Zahl der Todesfälle ist hochgeschossen. Die Schweiz gehört mittlerweile zu den am schlechtesten mit Corona fertig werdenden Staaten, was im Ausland mit ungläubigem Staunen registriert und gewiss nicht so schnell vergessen wird.

Und jetzt, mitten in der krisenhaften zweiten Welle, ist das dringendste Postulat der NZZ, «den Superstaat wieder in Ketten zu legen». Die Wortwahl ist erstaunlich. Denn weder ist die föderalistisch strukturierte Schweiz ein Superstaat noch ein Hobbes’scher Leviathan, den man anketten müsste. Sie ist vielmehr ein Staatswesen, das entschlossener Führung und entschiedenem Handeln gründlich misstraut – was in normalen Zeiten gewisse Vorteile haben kann, in Krisenlagen hingegen fatal ist. Wir haben die Folgen in den Corona-Reports der letzten zwei Monate täglich vorgerechnet bekommen.

Krisen wie die Corona-Pandemie fordern einen starken, handlungsfähigen Staat und eine kompetente Führung. Zwar wird die jetzige Seuche irgendwann überwunden sein. Doch muss mit weiteren globalen Pandemien gerechnet werden. Die Herde möglicher Ausbrüche lassen sich nicht eliminieren und die Verbreitungswege nicht unterbinden. Zudem wird die Klimakrise eskalieren und unabsehbare Verwerfungen nach sich ziehen. Staaten und multilaterale Kooperationen werden in ganz neuer Art gefordert sein.

Die Schweiz hat sich ans Verschontwerden und an einen Ausnahmestatus in der Welt gewöhnt. Tempi passati! Die Globalisierung hat uns einen neuartigen Typus von Krisen beschert, der alle betrifft (wenn auch in unterschiedlicher Weise). Weltweite Katastrophen sind in hohem Mass wahrscheinlich geworden. Nicht erst die Konfrontation mit solchen Ereignissen, sondern schon die Vorbereitungen darauf erfordern ein starkes Gemeinwesen und weitsichtige, handlungsfähige Führungsorgane. Wer jetzt den Staat an die Kette legen will, liegt gründlich falsch.

Das relativ banale Konzept der übertriebenen Anschuldigungen erleichtert das Aufstellen von übertriebenen Forderungen. Aus Krediten werden a-fond-perdu Beitraege. Das Plündern des Staates von Seiten der Wirtschaftsverbände ist ein Selbstläufer.

"Die Schweiz gehört mittlerweile zu den am schlechtesten mit Corona fertig werdenden Staaten," Die Schweizer sind halt auch nur Menschen und der Föderalismus trägt das Seine dazu bei. Wobei heute gerade wegen dem ominösen "Ständemehr" und der Nichtteilnahme der Mehrheit aller Stimmberechtigten die Konzernverantwortungsinitiative abgelehnt wurde. Wie viel Umsatzmehr hat die Corona Krise nun denn schon in die Kassen der Pharma-, Medizinal-, Krankenhaus- und Sicherheits -Konzerne gespült, und um wie viel hat sich die kleine Schweiz bei wem neu und zusätzlich verschulden müssen? Was wurde mit dem Durchregieren und dem noch jungen Seuchengesetz zum ersten Mal eingeübt und was ging verloren? Corona kann gar nichts anderes als eine Verschwörung sein.

Gut zusammengefasst die Kakophonie der unfähigen Kantonsregierungen. Die neoliberalen Renditejäger können eine Pandemie nicht vom Geschäfte-Machen unterscheiden. Ein Teil der Wirtschaft ging schon immer über Leichen.

Gemach, fast alle Staaten, insbesondere aber jene der dritten Welt werden dies Jahr mehr Einwohner haben als 2019. Auch die Schweiz wird um mindestens 100 000 Einwohner reicher werden. Die gegenwärtige Seuche wird das krebsartige Wachstum der Gattung homo sapiens höchstens verlangsamen. Bsp. wird Nigeria, jetzt 200 Millionen, Corvid19-verschont , dies Jahr um 5 Millionen wachsen. Die meisten zieht es nach E-------------Tabuzone.

Ich bin kein Coronaleugner, kein Trumpanhänger, kein Wirtschaftslakaie; ein Liberaler und Verfassungsfreund allerdings sehr wohl. Ihrer Kritik kann ich nicht folgen.
Der BR hat sich im Juni zurückgenommen, weil das angezeigt war; ab da sind wir zum Normalzustand kantonaler Hoheit zurückgekehrt (zum Glück) und die Kantone haben durchaus akzeptabel reagiert. Von einer fehlenden Führung auf Landesebene zu sprechen verrät eine Auffassung, die ich ganz und gar nicht teile. Gschmuch wird mir, wenn ich lese, dass angesichts all der Krisen, die da kommen sollen (Pandemien, Klima, vielleicht auch noch Finanzen/Wirtschaft?) der Schweiz politisch "entschlossene Führung und entschiedenes Handeln" fehlen wird. Wär es also nicht besser, gleich permanent ein autoritäres Regime einzurichten? Vorbilder gibt's ja immer mehr, von Ost bis West. Da würden wir dann "optimal geschützt", nicht wahr? Denn jeder Tote ist ja einer zuviel (wie können wir das nur zulassen..).
Wir HABEN starke Gemeinwesen und weitsichtige, handlungsfähige Füherungsorgane. Die sind zum Glück bis anhin nüchtern genug, vernünftige Entscheide zu fällen und bei unqualifizierter Kritik nicht den Kopf zu verlieren.

Herr Reichmuth, kein vernünftiger Mensch wünscht sich ein "permanent autoritäres Regime" in der Schweiz. Aber er gibt ja noch einen Zwischenweg zwischen zuviel und zuwenig Autorität. In zur Diskussion stehenden Thema wäre es vielleicht doch angebracht, etwas weniger "Kantönligeist" zu akzeptieren !

Am 23. Nov. 2020 titelte die NZZ einen Kommentar mit den Worten: «Kriegsmaterial: Wer die Nationalbank in Ketten legt, schadet der Schweiz».
Genau einen Tag später, am 24. Nov. 2020 titelte die gleiche Zeitung in einem Kommentar: «Nach dem Virus geht es darum, den Superstaat wieder in Ketten zu legen».
Die NZZ zeigt mit diesen zwei Überschriften die ganze Bigotterie der neoliberalen Schweiz, wo es nur noch darum geht, dass der Staat keine Macht über die Wirtschaft hat, wer was nicht bezahlen muss und wer möglichst viel von Krisengewinnen behalten darf.
Langsam werde ich das Gefühl nicht mehr los, dass sich genau diese Kreise auch im Geheimen darüber freuen, dass die Intensivstationen, bis hin zu den Krematorien, maximal ausgelastet sind, denn nach deren Dogmen sind ja nur voll ausgelastete Betriebe gute Betriebe.
Auch der Umstand, dass vor allem ältere Menschen sterben scheint in deren Denken Vorteile zu bieten, weil so die jüngeren und dynamischeren Nachkommen früher erben und somit mehr Geld im wirtschaftlichen Kreislauf landet.
Das Humanität spart man sich dann für die Sonntagspredigt auf.

Vielen Dank, Herr Meier. Ihren Artikel kann ich unterschreiben.

Besten Dank Herr Meier
Es gibt sogar " Politiker " die im Ernst fragen wer das alles bezahlen soll . Jeder Sek-Schüler weiss wer das bezahlen soll , nämlich der Staat , und das sind die nächsten 20 Jahre alle Steuerzahler , Unternehmer , Konzerne ,Arbeiter ect . Irgendwann kommen wieder gute Zeiten wo die Wirtschaft wieder läuft , denn momentan gibt es keine andere Möglichkeit als Schulden zu machen wenn man nicht die ganze Wirtschaft ruinieren will. Auch wenn alle Fabriken , Geschäfte ,Restaurants usw. offen
bleiben würden wäre es nur eine Frage der Zeit in der das ganze
Personal , mit Spitalpersonal , erkranken würden . Ohne Personal
nützen die schönsten Wirtschaft nichts .
Dann versuchen einzelne Politiker Alt gegen Jung auszuspielen
indem sie posaunen die Jungen müssten später die Schulden be -
zahlen was eigentlich logisch ist ,nicht nur Junge sondern alle .

Ich hab aber noch nie Politiker gehört die daran erinnern wie die letzten 3 Generationen das geschafft haben die Schweiz dahin zu bringen wo wir heute sind !

Besten Dank für den gut geschriebenen Artikel. Kann ich auch inhaltlich absolut mitziehen.

Bin ich froh über diesen Artikel, lieber Herr Meier!
Ich wollte nämlich einen Kommentar zu diesem menschenverachtenden, dafür Konsum- und Profit-huldigenden Artikel schreiben, aber leider ist die Kommentarfunktion nicht aktiviert.
Die NZZ scheint sich neu gezwungen zu fühlen, die Kommentarfunktion bei solch ideologischen Artikeln abschalten zu müssen. Als aktiver Kommentarschreiber, auch bei der NZZ, ist mir aufgefallen, dass solche Kommentare rund 5 x mehr negative Reaktionen einfahren, als befürwortende. Das hat auch der Chefredaktor Gujer selbst erleben müssen. Eigentlich ist das eine gute Nachricht!
Herzlichen Dank für Ihren Bericht!

Der Bund hat am Anfang der Pandemie sicher nicht alles richtig gemacht. Aber wer hat das schon, niemand wusste wirklich worum es geht. Aber wir kamen noch relativ glimpflich davon, damals.

Dann kam das Geschrei von Wirtschaftskreisen und -medien, die Schweiz würde das alles nicht aushalten, also hat der Bund nachgegeben und an die Kantone delegiert. Jetzt hatten wir den Salat, jeder machte was er für richtig hielt. Mal hüst dann wieder hott, bis niemand mehr wusste, was nun eigentlich gilt.

Bei allem Durcheinander wurde auch die Kultur todgefahren, weil es doch so schlimm ist, wenn Leute im Kino oder Theater geradeaus schauen mit Abstand zwischen den Sitzen und Maske tragen. Aber Fussball und Eishockey finden statt, die Mannschaften fahren in der Welt herum und eine um die andere muss in Quarantäne. Wo ist denn da die Logik? Klar, Massensport ist wichtig, damit die darin vorhandene Geldmaschine weiterläuft und sich das Publikum einigermassen ruhig hält. Schon die alten Römer setzten auf Spiele, damit das Volk nicht aufmüpfig wurde. Das lässt sich fortsetzen mit dem Wintersport....... Mich grausts.

Ich denke, der Bund sollte wieder übernehmen und auf die Fachleute hören. Ich fühle mich auch nicht gut mit einer Maske vor dem Gesicht (meine Brille läuft immer an und atmen kann ich auch nicht so gut :-(), aber irgendwie müssen wir uns mit dem Virus arrangieren. Das Durcheinander mit den Kantonen bringt nur mehr Unsicherheit und leistet am Ende den ganzen Verschwörungstheorien Vorschub.

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