Ein Gastbeitrag von Till Kammerer
Ein „tolles Team“ und „viel Freiraum für die Entwicklung eigener konzeptioneller Ideen“ preist die Stellenanzeige in der Tageszeitung oder der Online-Jobbörse. Dafür erwarte man unter anderem „Flexibilität“, eine „selbstständige Arbeitsweise“ und, wie der Bewerber im Vorstellungsgespräch später ergänzend erfährt, die Bereitschaft „gelegentlich“ Mehrarbeit zu leisten, den Stift halt nicht immer um fünf fallen zu lassen. Kann sein, dass das alles zutrifft. Kann aber – leider – auch sein, dass das beworbene Büro-Soziotop eine Mobbing-Hölle ist, in der Einarbeitung Fremdwort ist („viel Freiraum“, „selbstständige Arbeitsweise“) und die niemand vor 20 Uhr verlässt. Es sei denn, er wollte sich vom Teamleiter fragen lassen, ob er ein Problem mit seiner Arbeitseinstellung habe.
Falsche Arbeitgeber-Wahl: persönliches und wirtschaftliches Fiasko für Bewerber
Stellenanzeigen und Vorstellungsgespräche haben mit Reiseprospekten meist eines gemeinsam: Der ausschreibende Arbeitgeber wird über den grünen Klee positiv dargestellt. Nichts darf die Außenwirkung beim potenziellen Mitarbeiter von morgen stören. Selbst Personaler und Mitarbeiter der Fachabteilung, die wissen, wie es um das Klima einer bestimmten Unternehmensabteilung bestellt ist, werden ihre wissende Zunge im Job-Interview – im Angesicht des Kandidaten – im Zaum halten. Wenn sich die vermeintliche Schokoladen-Fassade des Arbeitsplatzes später als Potjemkinsches Dorf herausstellt, ist dies für den neuen Angestellten nicht nur wegen des Bewerbungsaufwandes ärgerlich: War mit dem Antritt des „Traumjobs“ ein Ortswechsel verbunden, wurde eine Liebe zur Fernbeziehung, ein Freundeskreis zurückgelassen, so stellt sich der mit Spannung erwartete neue Lebensabschnitt schnell als übler ökonomischer wie auch persönlich-sozialer Fehlgriff heraus.
Kununu, Kelzen und Co.: vorab über Unternehmen informieren, ausführlich und authentisch
Wer sich differenzierter über Arbeitgeber informieren will, kann dies, ohne großen Aufwand, bei einem der mittlerweile zahlreichen Bewertungsportale tun, auf denen Arbeitnehmer ihre aktuellen oder ehemaligen Brötchengeber beurteilen. Nur ein paar Mausklicks vom heimischen Rechner entfernt schreiben hier echte Insider in anonymer Form über alles, was Bewerber interessiert: vom Büroklima bis zu finanziellen Konditionen und Aufstiegsmöglichkeiten. Ein solches Forum ist beispielsweise die Webseite Kununu.com, nach eigenen Angaben mit derzeit 203.000 Bewertungen die größte entsprechende Community im deutschsprachigen Raum. Andere einschlägige Plattformen sind Kelzen.com oder auch Meinpraktikum.de. Typisch für diese Anbieter ist, dass Nutzer ihre Erfahrungen über ein Punktesystem mitteilen, vergleichbar den Produktbewertungen, die man in Form von DVD- oder Buchrezensionen aus dem Netz kennt: 5 Sterne – klare Empfehlung. 0 Sterne: „Finger weg von diesem Arbeitgeber!“
Bei Kununu etwa prüfen pro Monat durchschnittlich eine Million Web-Surfer, ob Unternehmen halten, was sie versprechen. Die Seite ermöglicht Arbeitgeber-Bewertungen in den Haupt-Kategorien „Wohlfühlfaktor“ (Bewertungsebenen: Vorgesetztenverhalten, Kollegenzusammenhalt, interessante Aufgaben, Arbeitsatmosphäre, Kommunikation, Arbeitsbedingungen und Work-Life-Balance) sowie „Karrierefaktor“ (Bewertungsebenen: Gleichberechtigung, Umgang mit Kollegen 45+, Karriere/Weiterbildung, Gehalt und Benefits, Umwelt-/Sozialbewusstsein und Image). Man kann ergänzen, welche Benefits geboten werden – von Betriebsarzt und betrieblicher Altersvorsorge bis Mitarbeiterbeteiligung und Gesundheitsförderung.
Neben Jobs lassen sich bei Kununu auch Ausbildungen bewerten. Ob der Ausbilder ein Tyrann war, die Lehrzeit früh in monoton-stumpfsinniger Routinetätigkeit erstarrte oder das Betriebsklima unterirdisch war: All das lässt sich hier kommunizieren. Interessant ist zudem die Möglichkeit, Vorstellungsgespräche im Rückblick zu beschreiben. Wer nach dem Einwurf des großen braunen Umschlags monatelang gar nichts vom Wunscharbeitgeber hörte oder aber in überdurchschnittlich wertschätzender Atmosphäre empfangen wurde, der ist hier mit seinen Erlebnissen richtig.
Andere Portale wie Meinpraktikum.de konzentrieren sich auf schwächere Glieder der Arbeitswelt – nomen est omen: Bei Meinpraktikum.de schreiben Ex-Praktikanten, ob bei ihrer Hospitanz die drei berüchtigten „K“ im Mittelpunkt standen (kopieren, knicken, Kaffee kochen) oder sie in herausfordernde Projekte einbezogen wurden und nach ihrer Zeit im Unternehmen wirklich mehr konnten und wussten als zuvor. Aufgaben, Karrierechancen, Wertschätzung, Betreuung, Arbeitsatmosphäre und Lernerfolg sind die zentralen Beurteilungskategorien.
Neben den klassischen und zentralen Bewertungsgegenständen wie Klima und Karrierechancen bzw. Ausbildung, Arbeit und Bewerbungsgespräch liefern einige Bewertungsportale ergänzenden Nutzwert durch Inhalte zu assoziierten Themen der Arbeitswelt. So bietet Meinpraktikum.de informiert angehende Praktikanten im Channel „Rund ums Praktikum“ darüber, wie man erfolgreiche Anschreiben und Lebensläufe verfasst, gibt Tipps zum Vorstellungsgespräch und bietet Crash-Kurse zu den Themen Auslandspraktikum und Praktikumsrecht.
Natürlich sind gerade in der sensiblen Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer anonyme Online-Urteile mit einer gewissen Grund-Skepsis zu sehen – aber im Ernst: Ist dies bei Amazon-Kundenrezensionen anders? Überall dort, wo online geurteilt wird, sollte man sich die Masse bzw. den Durchschnitt der Meinungen ansehen, um zu einer möglichst repräsentativen Einschätzung zu gelangen. Einzelne „Ausreißer“ lassen sich als Ausnahme von der Regel werten, wenn Dutzende anderer Beiträge den Arbeitgeber X a) kritisch beschreiben und dies – vor allem – b) konkret begründen. Ich traue es den meisten Menschen mit einer gewissen Lebenserfahrung zu, die „echten Leidensgeschichten“ unter den – durchaus beliebt – von der Personalabteilung der Geschmähten geschickt lancierten „Jubel-Kommentaren“ zu erkennen. Besonders dann, wenn sich viele Betroffene gut begründet äußern – und sich, vielleicht sogar abteilungsübergreifend, ein gewisser roter Faden herauskristallisiert.
Trend: Mündige Bewerber prüfen, an wen sie sich binden
Strategisch schlaue Unternehmen haben ohnehin verstanden, dass im Netz auf jeden Fall unzensiert über sie geredet wird – notfalls im Mitmach-Web 2.0 und seinen sozialen Communities. Über Xing, Facebook, Twitter und Co. lassen sich bereitwillige Auskunftgeber immer aufspüren. In der Regel geben diese auch ungeschminkte Informationen über den Ex-Arbeitgeber heraus. Manche Bewerber hinterlassen zudem bewusst kritische Kommentare auf den offiziellen Social Media-Seiten der Unternehmen und schauen, wie diese auf den „demokratischen Affront“ reagieren.
Gerade High Potentials und Professionals wünschen sich beim Personalmarketing eine Ansprache über Social Media und – ausdrücklich – Bewertungsportale: Das zeigt beispielsweise die Studie zur Wirkung von Social Media im Personalmarketing 2011 vom September 2011 (mehr zur Studie erfahren Sie hier). Durchgeführt haben sie Prof. Dr. Thorsten Petry von der Wiesbaden Business School und Florian Schreckenbach von der Managementberatung embrander. Die Karriereplattform Talential und die Zeitschrift Personalwirtschaft unterstützten die Untersuchung, für die die Autoren 835 Personen der beiden Zielgruppen „Studenten“ sowie „Fach- und Führungskräfte“ fragten, über welche Kanäle sie von rekrutierenden Unternehmen bevorzugt angesprochen werden wollen. Dabei nannten 24 Prozent der befragten Studierenden und stolze 47 Prozent der Fach- und Führungskräfte auf die Frage „Welche Aktivitäten würden Sie besonders ansprechen und tendenziell die Attraktivität eines Arbeitgebers erhöhen?“ Bewertungsportale wie Kununu (Quelle: Slideshow-Ergebnisbericht – S. 13 der interaktiven Grafik). Der Ergebniswert der Zielgruppe Fach- und Führungskräfte übertrifft übrigens jenen der ebenfalls angebotenen Antwortkategorien „Bewerber-Chat/-Interaktion“ (26%), „Arbeitgeber-Video“ (31%), „Facebook-Page“ (36%) und „Arbeitgeber-Rankings (z. B. vom ManagerMagazin)“ (37%) deutlich. Gleichauf lag die Kategorien-Sympathie für „Events (z. B. Arbeitgebermessen)“ mit ebenfalls 47 Prozent. Nur drei Kategorien wiesen höhere Werte für die Zielgruppe auf: „Stellenanzeigen“ und „Karriereseite (getrennt von Fanpage)“ mit jeweils 60% sowie, als Spitzenreiter, die gute alte „Mitarbeiter-Empfehlung“ mit 65%.
Betrachtet meine andere aktuelle Studie, so wundert es nicht, dass viele Arbeitnehmer oder Absolventen in Bewerbungsphasen heutzutage auf die Erfahrungsberichte in Bewertungsportalen zurückgreifen: Zwischen Oktober 2011 und Januar 2012 befragte der weltweit tätige Personaldienstleister Kelly Services Inc. insgesamt 170.000 Menschen in 30 Ländern, davon über 4.000 in Deutschland, im Rahmen seiner aktuellen internationalen Studie Global Workforce Index. Bei diesem preisgekrönten Research-Konzept erhebt das Unternehmen die Ansichten der Teilnehmer zu Fragen des Arbeitsmarktes bzw. zur Arbeit und zum Arbeitsplatz.
Dabei geht es unter anderem darum, was einen Arbeitgeber für Bewerber attraktiv macht. Das interessante Resultat: Ein Großteil der entsprechenden Faktoren findet sich, in Form von Beurteilungskategorien, auch bei Bewertungsportalen wie den bereits vorgestellten wieder. Das macht Kelzen und Co. zu besonders geeigneten Vorab-Auskunfteien für Jobsuchende.
Einige Beispiele: Kelly fand heraus, dass arbeitssuchende Fachkräfte heute besonders auf die Unternehmenskultur und persönliche Erfüllung durch sinnstiftende Tätigkeit setzen. Was aber stiftet Sinn? In den Augen der Befragten unter anderem die Chance, sich weiterzuentwickeln, die Deckungsgleichheit von Arbeitsanforderungen und persönlichen Werten sowie die soziale Komponente, also gute Beziehungen zu den Kollegen. Am Beispiel der möglichen Bewertungskategorien von Kununu wird deutlich, warum potenzielle Bewerber mit solchen Wünschen gern Bewertungsportale ansteuern – zur Erinnerung: Kununu erlaubt Unternehmens-Rankings im Hinblick auf Faktoren wie Kollegenzusammenhalt, Arbeitsatmosphäre, interessante Aufgaben, Weiterbildung sowie Umwelt- und Sozialbewusstsein von Arbeitgebern.
Souverän handeln angesichts der neuen Netz-Transparenz solche Unternehmen, die erkennen, dass sie bestenfalls mit-reden können, wenn online über sie gesprochen wird. Manche Firmen präsentieren sich daher mit Logo auf den Bewertungsportalen oder ermuntern Kandidaten, nach dem Vorstellungsgespräch ein Online-Urteil abzugeben. Bleibt zu hoffen, dass dem Kommentar nicht gleich eine gut getarnte Gegendarstellung folgt, wenn sich das Erlebnis „Job-Interview“ später so liest (Auszug aus einem Kununu-Erfahrungsbericht): „Ich sah dem Termin optimistisch entgegen. Das Gespräch verlief auch zunächst recht gut. Man merkte aber immer schneller, wie wenig die ,andere Seite‘ vorbereitet war. Das Gespräch nahm einen seltsamen Verlauf. ,Die Stelle…ist nicht mehr verfügbar… könnten Sie sich auch vorstellen…` Ich denke, das hätte man auch eher im Gespräch ansprechen können. (…)“ Viele andere, die das lesen, wohl auch.
Gastbeitrag von Till Kammerer, Berufsberater aus Berlin, bloggt ebenfalls rund um Beruf und Bildung.
Vielen Dank Till!