Ach, der Duden
Ich kriege eine Einladung und soll telefonieren, ob ich teilnehme. Oder, so heisst es, ich bestätige meine Teilnahme mit einem Rückantwortcouvert.
Ich telefoniere. Eine nette Dame nimmt meinen Namen auf. Am Schluss des Gesprächs sage ich ihr noch, dass „Rückantwort“ ein Wortkrüppel sei, ein falscher Pleonasmus. Die Dame staunt höflich.
Zehn Minuten später ruft sie mich an. „Rückantwort“ stehe im Duden, sei also richtig.
Ja, „Rückantwort“ steht im Duden. Auch „schlussendlich“ steht im Duden oder „vorprogrammiert“.
Der Duden hat seine Funktion als Hüter über eine korrekte Sprache längst verloren. Er schaut den Leuten nur noch aufs Maul.
Wird ein Unsinn hunderttausend Mal wiederholt, so wird dieser Unsinn in den Duden aufgenommen. Zwar bleibt der Unsinn ein Unsinn, doch jetzt wird er in das einst ehrenwerte Wörterbuch geadelt. Taucht ein Wort im allgemeinen Sprachgebrauch auf, wird es vom Duden als korrekt erklärt – auch wenn das Wort in sich falsch und unlogisch ist.
Zum Beispiel: „Baumallee“ (gibt es eine Allee ohne Bäume?), „Düsenjet“ (ein Flugzeug, das keine Düsen hat, ist kein Jet), „Sanddünen“ (gibt es Dünen aus Felsen?), „Volksdemokratie“ (gibt es eine echte Demokratie ohne Volk?), „Vorderfront“ (gibt es eine Hinterfront?), „Zukunftsprognosen“ (gibt es Vergangenheitsprognosen?), „Rückerinnerung“ (kann man sich an etwas Zukünftiges erinnern?).
Und der Super-GAU. „GAU“ heisst „grösster anzunehmender Unfall“. Wie kann etwas, das schon absolut „am grössten“ ist, noch grösser, nämlich „super am grössten“ sein?
Dass solche Ausdrücke im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet werden, ist ja nicht schlimm. Aber warum nimmt das Nachschlagewerk, einst die Bibel der deutschen Sprache, solche falschen Wörter auf? Wieso sagt die Duden-Redaktion nicht, „Rückerinnerung“ ist debil, das wollen wir nicht? So könnte der einstige Kurator der deutschen Sprache zur Sprachpflege beitragen. Aber das will die Redaktion offenbar nicht mehr.
Natürlich zollt man auch dem Gender-Wahn Tribut: Neuerdings steht auch „die Vorständin“ im Nachschlagewerk.
In der Schule waren wir noch getadelt worden, wenn wir „schlussendlich“ sagten. Seit Jahren steht „schlussendlich“ im Duden.
Immerhin, „zusammenaddieren“ und „Fusspedal“ haben es noch nicht in den Duden geschafft. Doch auch das wird noch kommen.
Die Sprache ist seit jeher im Fluss. Sie lebt und verändert sich. Puritanische Sprach-Päpste, wie sie noch immer in Schulstuben herumgeistern, wollen wir nicht. Wir lieben es, mit der Sprache zu spielen. So entstehen neue Wörter, neue Ausdrücke, neue Sprachbilder, Witziges, Kreatives. Puritanern schaudert es, doch das ist egal.
Wenn aber eine Wortkombination in sich falsch und absurd ist, hat das nichts mit Kreativität zu tun. Es ist nicht einzusehen, weshalb der Duden Pleonasmen wie „Rückantwort“ oder „Rückerinnerung“ absegnet.
Schüler haben es künftig einfach. Wenn sie einen Bockmist schreiben und vom Lehrer getadelt werden, können sie sagen: Lieber Herr Schulmeister, warten sie nur, in ein paar Jahren steht der Bockmist im Duden.
Die deutsche Sprache und ihre Geschichte sind nicht ganz so simpel, wie manche meinen. Schauen wir uns die genannten Beispiele etwas genauer an.
Rückantwort: Eine Zusammensetzung aus "Antwort per Rücksendung". Deshalb auch "Rückantwortkarte" oder "Rückantwortpostkarte". Das Rück- bezieht sich nicht auf die Antwort, sondern auf die Rücksendung.
Baumallee: "Gibt es eine Allee ohne Bäume?" Ja, denn eine Allee kann, jedenfalls in der ursprünglichen Wortbedeutung, auch von Rasen oder Steinen gesäumt sein.
Düsenjet: "ein Flugzeug, das keine Düsen hat, ist kein Jet." Jet ist hier pars pro toto als "Flugzeug" zu verstehen, so wie "jetten" pars pro toto für "fliegen" gebraucht wird. Im Übrigen ist Jet mehrdeutig: es gibt auch den Elektrojet, der nichts mit Flugzeugen zu tun hat.
Sanddünen: "gibt es Dünen aus Felsen?" Ja, die gab es, denn "Düne" bedeutete im Mittelniederdeutschen einfach Anhöhe, Berg.
Volksdemokratie: "gibt es eine echte Demokratie ohne Volk?" Die Echtheit ist immer Ansichtssache, aber es gibt plebiszitäre, parlamentarische, autoritäre und sogar monarchistische Demokratien. Volksdemokratie hatte zudem eine besondere Bedeutung in sozialistischen Staaten wie der DDR.
Vorderfront: "gibt es eine Hinterfront?" Ja natürlich, die gibt es bei allen Gebäuden. Und im Krieg gibt es eine Heimatfront. http://www.duden.de/rechtschreibung/Hinterfront
Zukunftsprognosen: "gibt es Vergangenheitsprognosen?" Ja, das sind in manchen Wissenschaften Prognosen für Ereignisse in der Vergangenheit auf Basis von Daten, die noch weiter in der Vergangenheit liegen. Und dann gibt es auch Vergangenheitsprognosen für ältere Ereigisse aufgrund von jüngeren Daten, auch Retrodiktionen genannt. Im Übrigen gibt es noch Modellprognosen, die nicht die Zukunft betreffen müssen. Vgl. z.B. "Was können wir wissen? Grundprobleme der Erkenntnistheorie" von Bruno Brülisauer
Rückerinnerung: "Kann man sich an etwas Zukünftiges erinnern?" Nein, aber man kann sich daran erinnern, dass es sich hier um eine verkürzte Ableitung aus "sich (an etwas) zurück erinnern" handelt, was nicht bedeutungsgleich ist mit "(sich) (an etwas) erinnern".
Super-GAU: "Wie kann etwas, das schon absolut „am grössten“ ist, noch grösser, nämlich „super am grössten“ sein?" Ein GAU (Bruch einer Hauptkühlmittelleitung) ist zum Glück noch lange kein Super-GAU (nicht mehr kontrollierbare Kernschmelze). Der GAU ist eben nicht "absolut" am grössten, sondern nur relativ.
Werter Herr Hauser, sie gehen ja gar nicht auf die Argumente und die Beispiele von Herrn Hug ein. Sie reden an der Sache vorbei. Sie beantworten auch die von Hug gestellte Haptfrage nicht, die nämlich ist: "Wieso nimmt der Duden diese debilen Wortkombinationen auf?"
Mir aus dem Herz geschrieben lieber Heiner Hug. Mit Wörtern, die zwei Mal das Gleiche meinen - dies ein Versuch Pleonasmus in Worte zu fassen - gewinnen wir nichts. Ich meine wir verlieren die Präzsision der Sprache. Und diese ist mir wichtig. So weit Sprache präzis sein kann, soll man sie auch präzise brauchen. So versteht man hoffentlich, was gemeint ist. Und nur das zählt: Verstehen. Einander verstehen.
Sehr geehrter Herr Hug, Ihr Artikel im Journal 21 ist Labsal für die Seele eines pensionierten Schriftsetzers und Korrektors. Von 1960 bis 1964 hatte ich das Glück, am Deutschunterricht für Setzer bei Georg Gubler in Zürich teilnehmen zu dürfen. Er war Chefkorrektor der NZZ. Da wurden sämtliche ß-Regeln (es waren um die 30 – heute gerade mal noch fünf) gepaukt. Aber auch dieses Reichstagsüberbleibsel wird sicher noch irgendwann verschwinden!
1981 hatte ich einen Streitfall mit dem damaligen Landschreiber des Kantons Zug. Georg Gubler hat mir aus der Patsche geholfen, den Rücken gestärkt und ich konnte als «Sieger» den Zwist beenden. Herr Gubler sagte mir damals: «Herr Müller, werfen Sie den Duden so weit wie möglich von sich. Die (die Dudenredaktion) müssen ihre Gehälter herauswirtschaften und deshalb alle zwei Jahre neue Auflagen verkaufen.» Das war einleuchtend. Die Dudenredaktion ist ja auch das einzigste (Super-Superlativ) Gremium, das uns das richtige Deutsch vorlegen kann!
Ich persönlich halte mich heute an Wahrig.
Mit Dank und freundlichen Grüssen, Théo Müller
Ins modische Duden-Bashing kann ich nicht einstimmen. Wir haben nichts Besseres (auch der Wahrig hat seine Schwächen), und in den Schulen ist der Duden unverzichtbar. Auch stimmt die Behauptung nicht, der (Rechtschreibe-)Duden erscheine alle zwei Jahre in neuer Auflage. Die aktuelle 26. erschien vor drei Jahren.
In der Tat, Deutsch verludert, denn wir haben keine "Académie allemande". Allein, sowohl Französisch als auch Deutsch, einst Kultursprachen, sinken langsam aber stetig in die Provinzialität wie Lateinisch oder Altgriechisch. Siehe das Vulgärlatein des Mittelalters, oder neudeutsch: anything goes. Deutsch und deutlich, das war einmal. Warum sollen Einwanderer überhaupt deutsch lernen?
Da kann ich nur zustimmen. Übrigens ist auch der Grammatik-Duden seit der 8. Auflage nicht mehr normativ, sondern deskriptiv. Was immer in genügender Häufigkeit vorkommt, wird als gültig geadelt.
Es sind gewöhnlich drei dieser Bücher die zum Einsatz kommen, will ich etwas über ein einziges Wort wissen und selbst dann kann ich mir nicht sicher sein, das Wort richtig verstanden zu haben, geschweige denn es richtig anzuwenden.
Interessanterweise kann keines dieser Bücher gesammelte Lebenserfahrung oder gar Fantasie ersetzen. Ich meine mich schwach zu erinnern, dass es das Wort Salzdüne gibt, auch den Wasserjet und die Säulenallee. Vielleicht habe ich das aus dem Wortbuch der Antike aus dem Jahre 1905...