Auguste, das lügende Gespenst

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Auguste, das lügende Gespenst

Von Christian Schmidt, 14.09.2012

Am 8. und 9. September fanden «Die Europäischen Tage des Denkmals» statt. Entsprechend war eine Vielzahl denkmalgeschützter Gebäude, ansonsten in privater Hand, für die Öffentlichkeit zugänglich. Das gab mir Gelegenheit, meinem Urururgrossvater einen Besuch abzustatten.

Auguste Quiquerez, so heisst mein Urururgrossvater, lebt zwar nicht mehr, aber er amtet als Gespenst im Château de Soyhières, einem Felsennest im Jura. Gleichzeitig Bürgermeister von Delémont, Abgeordneter im Berner Grossrat wie auch Historiker und Archäologe, hatte Auguste das Schloss anfangs des 19. Jahrhunderts als Ruine übernommen und teilweise restauriert.

Pure Erfindung

Doch Auguste war auch ein Fantast. Einer, der es mit den Tatsachen nicht so genau nahm. Das erfuhr ich bei meinem Besuch auf dem Schloss. Kaum hatte ich mich als Nachfahre zu erkennen gegeben, begann mir der Vorsteher der heutigen Schlossbesitzer, selbst auch Historiker und somit Fachmann, ein paar Dinge zu erzählen, die mein bisheriges Bild von Auguste ziemlich erschütterten.

Was hatte Auguste, der respektierte Staatsmann und Wissenschaftler, getan? Zum Beispiel hatte er den Grabstein eines der Grafen von Soyhières fünfhundert Jahre nach dessen Tod eigenhändig aus dem Jurakalk gehauen und behauptet, das sei das Original. Ebenso erklärte Auguste, dass er das Schwert eben dieses Edelmannes gefunden habe, noch blutverkrustet von einem Kreuzzug nach Jerusalem im 13. Jahrhundert. Pure Erfindung. Und Auguste ging sogar soweit, dass er Dokumente aus dem Mittelalter nachahmte, in der Handschrift der Zeit, mit den nötigen Siegeln und allem. Perfekt anzusehen, aber alles andere als echt. Der Schlossbesitzer legte die Beweise vor.

Plötzlich war Auguste da

Mein Urururgrossvater war also ein Fälscher. So gut wie Konrad Kujau, der vor bald 30 Jahren Hitlers Tagebücher geschrieben und sie dem «Stern» erfolgreich als Originale verkauft hatte. Aber eben ein Mensch, der die Wahrheit bog, um die Bedeutung der eigenen historischen Arbeit aufzuwerten.

Da weitere Besucher durch das Château geführt werden wollten, liess mich der Schlossbesitzer mit dieser ernüchternden Erkenntnis alleine im Rittersaal zurück. Was hiess das nun für mich? Floss in meinen Adern das Blut eines Fälschers? War also auch ich, Nachkomme mit Beruf Journalist, ein chronischer Verbreiter von Unwahrheiten?

Dann plötzlich war Auguste da. Ein leises Schlurfen kündigte ihn an, Modergeruch machte sich im Raum breit, und schon spürte ich seine blutleeren Lippen am Ohr. Auguste zischte: «He he he! Glaub nichts. Nicht ich lüge. Diese anderen, sie alle sind Lügner!»

Mit einem Ruck stand ich auf, der Rittersessel fiel krachend um, und schon war ich draussen, an der Sonne, unter einem blauen Jurahimmel mit zwitschernden Vögeln. Ich rannte den Schlosshügel hinunter, holte mir nasse Füsse in einem Bach, aber war glücklich entkommen.

Einträge im Notizbuch - nicht von mir

Dann rief ich ein Taxi. Ich wollte so schnell als möglich weg. Die Strasse zum nächsten Bahnhof hiess «Rue Auguste Quiquerez». Im Zug erkannte ich, dass mir die Geschichte mit dem gespensternden Urururgrossvater niemand glauben würde. Zu fantastisch. Zu unglaublich. Denn Auguste hat einen ausgezeichneten Ruf. Das Historische Lexikon der Schweiz verweist auf seine «sorgfältig festgehaltenen Beobachtungen und zahlreichen Publikationen», die ihn «zu einem Pionier» der jurassischen Geschichtsschreibung gemacht hätten. Überhaupt sei er eine der «herausragenden Persönlichkeiten» des Kantons gewesen, und darüber hinaus einer der «Architekten» der Revolution von 1831 gegen die Berner Patrizier. Also ein Mann, dem man besser nicht an der Ehre kratzt.

Aber dann öffnete ich mein Notizbuch. Und entdeckte Einträge, die nicht von mir stammten. Sie waren verfasst in der Gotischen Schrift des 12. Jahrhunderts: Auguste hatte einen Schluss für diese kleine Geschichte verfasst. Der Schluss handelte von einem Gespenst auf dem Schloss Soyhières, das behauptete, ausser ihm seien hier alles Lügner.

Im Prinzip

Ein wahrlich gelungenes Ende, doch unabhängige Journalisten wie ich mögen es gar nicht, wenn sich jemand an ihren Notizen vergreift. Da werden wir unangenehm. Vor allem, wenn die Einträge erstunken und erlogen scheinen. Also liess ich diesen Schluss bleiben – und die Sache mit dem sprechenden Gespenst sausen. Jedenfalls beinahe. Also, zumindest war das meine Absicht. Im Prinzip. Eigentlich.

Was die Leute so alles für Ururur Grossväter haben! Jedenfalls war er kein Langeweiler!

Protest eines Denkmals von Hildegard Knef (Lied )

Links am Korso stand ein Torso, blickte kopflos vor sich hin; leicht verärgert über Tauben dacht' er sich: Wo führt das hin? Ich steh' hier seit hundert Jahren in der gleichen Position, kenn' die Bänke und die Paare und die Denkmalskommission. Und was Tauben sich erlauben, das erwähnte ich ja schon. Ertrage Kälte und die Hitze, selbst die hoffnungslosen Witze über mich und Feigenblatt, Gott, hab' ich den Krempel satt. Selten dümmlich sind die Kriege, ob nun mit, ob ohne Siege, denn ich komm' in eine Kiste, vorher noch auf eine Liste. Denk' an Tauben, leb' im Glauben, dass ich sie so überliste. Ist die Stadt dann fast zerhackt, werd' ich wieder ausgepackt, schmücke sinnlos die Natur, Gott, was sind die Menschen stur. Alles ist nur zu ertragen ohne Kopf und ohne Kragen, weitre Klagen vorzutragen untersagt die Diskretion. Nur was Tauben sich erlauben, das erwähnte ich ja schon.

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