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16. Februar 2021

Austausch im Moderausch

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Austausch im Moderausch

Von Alex Bänninger, 28.04.2014

Kultur- und Wirtschaftsgeschichte: der Stoff, aus dem eine St. Galler Ausstellung ist.

Das Textilmuseum St. Gallen breitet einen historischen Stoff aus, der Neugier weckt. Die Ausstellung "Kirschblüte & Edelweiss. Der Import des Exotischen" erinnert an die einst intensiven textilindustriellen Wechselbeziehungen zwischen China und Japan einerseits und der Schweiz anderseits. Sie begannen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dauerten bis um 1980.

Fernöstliche Impulse bis heute

Die Wiener Weltausstellung mit einer prächtigen Selbstinszenierung des japanischen Kaiserreichs löste 1873 in der Mode und Raumgestaltung ein Asienfieber aus. Auf die freudige westliche Nachfrage nach Stickereien und Gewebe à l'Asie antworteten die Schweizer Textilproduzenten tüchtig und rasch. Sie sammelten asiatische Muster, Holzschnitte und Zeichnungen, um sich davon inspirieren zu lassen - mit Erfolg. Die fernöstlichen Impulse sind in unserem Textildesign bis heute nachweisbar.

Chinesischer Rock um 1860. Foto: Linus Rieser
Chinesischer Rock um 1860. Foto: Linus Rieser

In umgekehrter Richtung gelang es St. Galler Kaufleuten, die Ostasien erstmals bereits 1859 bereisten, in den Regionen der aufgehenden Sonne Absatzmärkte aufzubauen, aus denen die ganze hiesige Textilwirtschaft Nutzen zog. "Made in Switzerland" mit klischeegerechten Blümchen, Pünktchen und gedeckten Farben war den asiatischen Damen ein begehrter Luxus.

Momente des Staunens und Bewunderns

Um das Dialogische zu veranschaulichen, präsentiert die Ausstellung handgestickte und gewobene Textilien aus Asien mit Kollektionen der Schweizer Maschinenstickerei. Das geschäftliche Hin und Her wie ein Webschütze wird deutlich in der Gegenüberstellung des japanischen katagami-Drucks und des Glarner Rotdrucks.

Die Ausstellung mit dem Eingangsbild des Fujiyama im Edelweisskranz wirft abschliessend einen Blick auf die aktuellen modischen Vorlieben der japanischen Jugend. Gepflegt wird im Trend der Globalisierung ein fantasievoller Mix der Kulturen und Stile.

Die von Michael Fehr, Michaela Reichel und Hans B. Thomsen projektierte und von Bernhard Duss und Marcel Glanzmann eingerichtete Ausstellung öffnet gemeinhin vergessene Zusammenhänge und schenkt Momente des Staunens und Bewunderns.

Schwierige Orientierung

Aber die textil- und kulturhistorische Vergangenheit, die uns "Kirschblüte & Edelweiss" erzählen wollen, ist spannender als ihre Umsetzung in Vitrinen und Schaukästen und im gedämpften Licht von Rot, Blau und Gelb, das die Verbindung zwischen der Welt der aufgehenden und untergehenden Sonne symbolisch erlebbar machen soll.

Es entsteht das Gefühl, sich in einem zwar opulenten, doch Ausdauer erfordernden und ermüdenden Stickerei- und Stoffgeschäft aufzuhalten.

Die kunsthandwerkliche Herstellung von Druckschablonen ist auf Mini-Monitoren in mangelhafter Auflösung kaum erkennbar. Im aufgeschlagenen Tagebuch eines durch Japan reisenden Schweizer Diplomaten besticht die schöne, aber nicht entzifferbare Schrift. Wer weder die Geschichte der Schweizer Textilindustrie noch die Karte Asiens im Kopf hat, tut sich mit der Orientierung schwer.

Die mit gemusterten Stoffen dekorativ umhüllten raumhohen Säulen lenken von den Exponaten ab. Die Eleganz und Grandezza, die etwa einzelne Kimonos besitzen, fehlen der Ausstellung.

Textilmuseum St. Gallen, "Kirschblüte & Edelweiss. Der Import des Exotischen", bis 30. Dezember 2014, www.textilmuseum.ch

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