Demokratie mit Rechtspopulisten
Politik ist Kampf um Macht. Da geht es um viel, und so werden denn Gegner in der Auseinandersetzung nicht geschont. Machtkampf herrscht auch im demokratischen Rechtsstaat, doch hier soll etwas Entscheidendes hinzukommen: Der Kampf hat sich an Fairness-Regeln zu halten. Politische Akteure kämpfen idealerweise so, dass ihnen nach Wahlen und Entscheidungsschlachten eine Zusammenarbeit immer noch möglich ist. Es ist vor allem Sache der politischen Exponenten und Parteien, beim Kampf um die Macht im Staat gewisse rote Linien zu respektieren, jenseits derer Kompromiss und Kooperation auf Dauer verunmöglicht sind.
Schweizerische Politik schneidet in dieser Hinsicht passabel ab. Zwar sind ihre Zerwürfnisse oft heftig, Feindschaften werden inbrünstig gepflegt, Maximalforderungen und ideologische Blockaden sind auch hier öfters im Spiel, die Instrumentarien des Zerrbilds und der Manipulation kommen durchaus zum Einsatz. Keine Idylle also.
Doch im praktischen politischen Geschäft schafft man es dann doch, zu verhandeln, Bündnisse einzugehen und Kompromisse zu schliessen (wenn auch nicht immer beim ersten Anlauf) und irgendwann, wenn auch oft etwas spät, mehrheitsfähige Lösungen zu finden. Wie wenig selbstverständlich das ist, zeigen die Nachbarländer oder das Mutterland der modernen Demokratie, die USA.
Die Schweiz ist gut gefahren mit einer Praxis, keine der relevanten Kräfte von vornherein aus der politischen Verantwortung auszuschliessen. Angesichts des erstarkten Rechtspopulismus gilt in Europa seit einiger Zeit vielfach die gegenteilige Devise. Das ist zwar nicht illegitim. Die Prinzipien des Machtkampfs erlauben solche Taktiken durchaus. Doch sind sie auch immer klug?
Ibizagate dient nun vielen als Beweis dafür, dass man die Rechten tunlichst von Macht und Verantwortung fernhalten müsse. Deutsche Parteipräsidentinnen saugen aus dem Skandal um die FPÖ den Honig der Bestätigung für ihre strikte Ausgrenzung der AfD. Bis jetzt aber ist ein Erfolg dieser Containment-Politik nicht zu erkennen. Den Rechten bekommt die Opferrolle offensichtlich nur zu gut. Solange sie der Paria sind, müssen sie auch nicht liefern. Nicht umsonst gebärden sie sich europaweit auch da, wo sie an der Macht sind, als ewige Opponenten gegen ein «System» oder gegen «Brüssel».
Eine Politik der Beteiligung der Rechten ist bestimmt nicht einfacher zu handhaben als eine der Ausgrenzung; aber sie ist zum Beispiel in der Schweiz erfolgreich. Wo Inklusion funktioniert, wird sie selektiv praktiziert – also nicht anders als bei jeder anderen Partei. Das heisst: Politische Vorstösse werden nicht schematisch aufgrund ihres Absenders gutgeheissen oder verworfen, sondern sachlich geprüft und diskutiert. Genauso läuft es mit Bewerbungen für Ämter und parlamentarische Funktionen: Nicht die Parteizugehörigkeit allein entscheidet, sondern vor allem die Eignung der zur Wahl stehenden Person. Eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen! Doch offensichtlich ist es das in der Politik gerade nicht.
Die Schockwellen von Ibizagate sind noch nicht verebbt. Der Skandal deckt vieles auf; unter anderem, wohin es führen kann, wenn im politischen Machtkampf sämtliche roten Linien ignoriert werden. Ohne unzulässige Parallelen zur Schweiz ziehen zu wollen, kann man auf jeden Fall feststellen, dass es sich lohnt, für den Erhalt einer vergleichsweise kompromissfähigen Politik einzustehen und Verstösse gegen die Kultur der demokratischen Kooperation konsequent zurückzuweisen.
Dem Einspruch von Markus Reichmuth sei durchaus stattgegeben.
Es geht mir keineswegs darum, Parteien verbieten zu lassen, sondern darum, dass sich verantwortungsbewusste StimmbürgerInnen nicht von braunem Gesindel, Neo-Faschisten, etc. verführen und einlullen lassen und entsprechende Namen auf den eigenen Stimmzettel setzen. Die einzige Partei, welche übrigens in der Schweiz 1940 verboten wurde, war die kommunistische Partei der Arbeit.
„Die Schweiz ist gut gefahren mit einer Praxis, keine der relevanten Kräfte von vornherein aus der politischen Verantwortung auszuschliessen.“ Dem ist meiner Ansicht nach voll und ganz zuzustimmen. Ich selber bin oft bei Abstimmungen nicht linienkonform nur für die eine oder andere Seite. Ich habe keine Mühe damit, „konservativ“ oder „links“ zu stimmen oder zu wählen, selbst wenn man da und dort mit seiner politischen Meinung etwas aneckt.
Die ganze Problematik liegt tief!
Breite Unzufriedenheit kommt von Nichtbeachtung! Vorbeiziehen der Karawanen an brennend neuralgischen Punkten. Ein von langer Hand initiiertes und inszeniertes Ibizagate welches über ein hohes Mass an Beziehungen und dunklen Kanälen verfügen muss, hat ausgerechnet die fiktive Tochter eines russischen Oligarchen benutzt. Hätte auch eine Milliardärs Tochter von anderswo sein können. Hier erkennt man schon eine Absicht! Zudem wurden da auf dieser Insel Ungeheurlichkeiten besprochen, die anderorts und durch andere Parteien längst meist unbeachtet und real stattgefunden haben. Ultra-Rechte sind Folge von undemokratischem nicht eingehen auf Sorgen breiter Bevölkerungsgruppen. Nationalsozialisten, sprich Nazis, diese schändliche und unbeschreibliche Zeit hatte selbst eine quälende Vorgeschichte! Viele mit sogenannt reiner Weste waren da Treiber, Finanzier und Steigbügelhalter. Wollen wir`s verhindern, müssten wir reden. Kompromisse erarbeiten und nicht ständig draufhauen, das fördert nur Faschismus. Demokratie bedeutet, hört auch auf die unzufriedenen Stimmen, erklärt denen die heute so unumgänglichen Vorgänge, seien sie durch Erpressung oder aus gesundem Menschenverstand entstanden. Verhindert dadurch neue menschliche Partei-Amokläufe durch nichtbeachten. Gemeinsam im Dialog erhalten wir den Frieden, aber nur solange die Mehrheit auf unserer Seite, der Vernunftseite bleiben wird. …cathari
Das Schweizer Polit-System basiert auf Einbindung der verschiedenen Gruppierungen und dem Ringen um tragfähige Kompromisse. Völlig naiv und falsch wäre es, linke und rechte Extremisten, Hassprediger, Neo-Faschisten, Neo-Nazis und weiteres braunes Gesindel einbinden zu wollen. Diesen groben Fehler hat Österreich kürzlich begangen und bezahlt nun die Rechnung dafür in Form einer Staatskrise.
Einspruch. Die rote Linie sind unsere Rechtsnormen und unser Rechts(staat)system, welches - auch wenn es bei weitem nicht immer perfekt funktioniert - die fairste und humanste Form ist, wie sich Gesellschaften organisieren. Jede Person darf denken und glauben, was sie will, auch "braunes Gesindel", solange sie die Rechtsordnung einhalten. Exklusion und Meinungspolizei wollen wir nicht. Ich bin für Meinungsfreiheit und Einbinden möglichst aller in die demokratischen Prozesse. Wer sich da selbst marginalisiert (z.B. nicht abstimmt), ist selber Schuld. Die Klappe kann er/sie trotzdem öffnen, das muss eine demokratische Gesellschaft aushalten. - Ich gehe mit der im Artikel geäusserten Meinung einig.