Den Chinesen geht es besser als je

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Den Chinesen geht es besser als je

Von Peter Achten, Peking - 29.11.2014

Chinas rote Mandarine mussten irgendetwas richtig gemacht haben, sonst wäre Chinas Volkswirtschaft nicht dort, wo sie sich heute befindet.

Harte Landung? Weiche Landung? Immobilienblase? In der Falle des mittleren Einkommens? Das ganze Jahr über zerbrachen sich westliche Ökonomen die Köpfe. Die chinesische Führung liess sich nicht beirren. Das Resultat kann sich sehen lassen.

Wie immer, wenn es in den letzten 35 Jahren um Chinas Wirtschaftreform ging, hatten westliche Untergangspropheten ein gewichtiges Wort mitzureden.

Widerlegte Untergangspropheten

Den Chinesinnen und Chinesen geht es heute so gut, wie noch nie in ihrer jahrtausendalten Geschichte. Lehrreich und gut ist es, sich in Kommentare westlicher Qualitätsblätter der letzten drei Jahrzehnte zu vertiefen. Die Krise, der Untergang war nach Meinung der vieler Kolumnisten immer nur eine Frage der Zeit.

Gewiss, es gab Schwierigkeiten. Die kapitale Krise jedoch ist nicht eingetreten. Ein, zwei Schritte zurück vom kulturellen Eurozentrismus wären wohl bei der Analyse hilfreich gewesen. Die westliche Konvergenztheorie zum Beispiel funktionierte in China nicht, d.h. das automatische Einsetzen von Demokratie bei wirtschaftlich schnellem Wachstum.

Und noch bis vor einem Jahrzehnt war vielen in Europa – nicht aber in den Pazifikstaaten USA oder Kanada – nicht klar, dass sich das wirtschaftliche und politischen Zentrum vom Atlantik in den Pazifik verlagert hatte. Europa und Amerika sind zwar noch längst nicht alte Geschichte. Dennoch müssten sich Politiker und Politikerinnen im Westen und mithin auch der Schweiz langsam fragen, warum denn China im Augenblick einen offensichtlichen Vorteil hat.

Neues politisches Modell für den Westen?

Die Antwort, wenn man sie hören will, ist relativ einfach. Chinesische Politiker können es sich leisten, langfristig und strategisch zu denken. Die müssen sich nicht alle paar Jahre den Wählern stellen. Der seit zwei Jahren amtierende und beim Volk bereits sehr beliebte Staats- und Parteichef Xin Jinping zum Beispiel wird bis ins Jahr 2022 regieren. Politiker und Politikerinnen im Westen kommen nicht darum herum sich zu fragen, ob denn der permanente Wahlkampf nicht kontraproduktiv ist. Auch und gerade in der Schweiz.

Ähnlich wie in China derzeit ein neues ökonomisches Modell gefragt ist, wäre im Westen ein neues politisches Modell überlebenswichtig. Auf der Grundlage der grossen Vorteile, wie zum Beispiel Rechtsstaat, Transparenz, Demokratie. Chinesische Bekannte allerdings, die in Amerika oder Europa studiert haben, sagen mir oft, dass westliche Demokratie à la USA oder Italien oder Frankreich oder Spanien nun tatsächlich nicht ein Modell für China sein könne.....

Wachstumsziel: sieben Prozent

Die harten Fakten in der „sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung“ sprechen jenseits aller Theorien auch am Ende des laufenden Jahres für eine solide Leistung, freilich bei zusehens abnehmendem Wachstum. Die Zentralbank – die unter der Ägide von Partei und Regierung stehende Volksbank – hat deshalb mit einer Zinssenkung in der zweiten Hälfte November dem Markt eine Lockerung der Geldpolitik signalisiert. Ein allzugrosser Einbruch des chinesischen Wachstums werde nicht tatenlos akzeptiert.

Das anvisierte aktuelle Wachstumsziel: sieben Prozentpunkte plusminus. Nach Berechnungen chinesischer Ökonomen braucht es ein Wachstum des Brutto-Inlandprodukts von mindestens sechs bis sieben Prozent, um die jährlich rund zehn Millionen neuen Arbeitsplätze zu schaffen. Andere Ökonomen sehen sogar eine mögliche Bandbreite von fünf bis sieben Prozent. Ob das wirklich zutrifft, bezweifeln einige chinesische Wirtschaftswissenschafter mit dem Hinweis, dass noch vor zehn Jahren offiziell acht Prozent Wachstum das absolute Minimum zur Schaffung von Millionen von neuen Arbeitsplätzen darstellten.

Wie immer, im Augenblick wird von der chinesischen Regierung der Hebel der Geldpolitik verwendet, um das Wachstum in der geplanten Grössenordnung zu halten. Was für ein Unterschied zu den Jahren der westlichen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09, als China am Rande einer Rezession mit einer kapitalen Finanzspritze von 560 Milliarden US-Dollar der kränkelnde chinesischen Volkswirtschaft wieder auf die Sprünge half.  Heute ist natürlich der Spielraum für geldpolitische Impulse weit grösser als damals, um dem globalen zyklichen Ungleichgewicht erfolgreich die Stirne zu bieten. Im Gegensatz zu Europa, das das geldpolitische Pulver schon längst und ohne Not verschossen hat,

Fundamentaler Umbruch

Chinas Wirtschaft steht denn seit Amtsantritt von Staats- und Parteicher Xi Jinping vor zwei Jahren mitten in einem fundamentalen Umbruch. Eine auf Export, Investitionen und Schulden orientierte Wirtschaft  soll  zu einer von Konsum, Binnennachfrage, Dienstleistungen und Innovation angefachten Ökonomie mutieren. Um es im Ökonomen-Slang zu sagen: China steht kurz vor dem Status eines Landes mit mittlerem Einkommen.

Da gilt es, wiederum im Ökonomen-Lingo forumuliert, der „Falle des Mittleren Einkommens“ zu entkommen. Und dieser Falle kann man nach Lehrbuch und Wirklichkeit nur entkommen, wenn man ohne Rücksicht auf Verluste Strukturreformen durchzieht. Innovation wird dabei ganz gross geschrieben. Genau das macht die KP mit weitreichenden, strategischen Beschlüssen im vergangenen und im laufenden Jahr. Wer an einem alten Wirtschaftsmodell festhält, bestraft – wie es so schön heisst – die Geschichte. Das Schwellenland Brasilien etwa ist ein negatives Beispiel.

Weniger Export, mehr Inlandkonsum

In der realen Wirklichkeit von Ende 2014 jedoch ist das globale wirtschaftliche Umfeld für China eher schwierig. Die Nachfrage lässt nach, besonders aus Europa. Immerhin ist China auf dem Weg zu einem neuen Wirtschaftsmodell auf gutem Weg. Noch 2008 trugen die Exporte 35 Prozent zum Brutto-Inland-Produkt bei. Heute sind es nur noch 24 Prozent. Das schwächelnde Europa ist immer noch Chinas grösster Exportmarkt. Insgesamt gehen 42 Prozent der Exporte nach Europa, Amerika und Japan.

Nach den vom ZK vor einem Monat verabschiedeten Beschlüssen befindet sich das Reich der Mitte auf gutem Weg, die ominöse „Falle des Mittleren Einkommens“ erfolgreich zu umschiffen. Parteicher Xi hat bislang erfolgreich und gegen einigen Widerstand von Vertretern tief verwurzelter Privilegien in der KP durchgegriffen. Nicht nur im Kampf gegen Korruption sondern auch gegen alte Seilschaften im Apparat von Regierung und Partei.

Parteichef Xi wächst über sich hinaus

Parteichef Xi freilich setzt nur fort, was das Führungsduo von Parteichef  Hu Jintao und dem extrem populären Premier Wen Jiabao von 2003 bis 2012 bereits in Umrissen vorgezeichnet hat. Allerdings ist Xi zur Überraschung sowohl chinesischer als auch ausländischer Beobachter über sich hinausgewachsen. Seit Revolutionär und Reform-Übervater Deng Xiaoping gab es wohl nie mehr einen solch starken, überzeugenden Mandarin wie Xi Jinping. Mit dem von westlichen Medien prognostizierten und wohl auch erhofften „chinesischen Gorbatschow“ wollte Xi freilich nicht dienen.

Xi ist sich der „Falle des Mittleren Einkommens“  wohl bewusst. Nicht Wahlkampf sondern strategisches Denken ist gefragt. Sagte doch schon Premier Wen Jiaobao vor zehn Jahren angesichts der „Falle des Mittleren Einkommens“: „Chinas Wachstum ist instabil, unausgewogen, unkoordiniert und nicht nachhaltig“. Das neue Wachstumsmodell setzt sich jetzt, wie die Zahlen zeigen, erfolgreich durch.

 

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Lieber Herr Achten
Es ist richtig, dass uns China überholen wird. Und der Westen wiegt sich im Wunschdenken, die grosse Krise stehe den Chinesen unmittelbar bevor.
Allerdings ist es ein Fehlschluss zu glauben, dies läge in der Regierungsform begründet. Vielmehr liegt dies an der Fähigkeit, wie die Chinesen die Kräfte des Marktes handhaben – und diese Fähigkeit haben wir im demokratischen Westen entwickelt – nur haben wir sie hier wieder verlernt.

Symbolisieren wir die Kräfte des Marktes mal mit einem Pferd. Wir denken uns ferner eine Regierung als Reiter dieses Pferdes. Eine sozialistische Regierung zerrt mit aller Kraft stümperhaft an den Zügeln, peitscht und legt dem Pferd womöglich sogar Fussfesseln an. Eine erfolgreiche Regierung geht auf das Wesen des Pferdes ein und lässt dann die Zügel so locker wie möglich. Das Pferd wird so eine maximale Geschwindigkeit erreichen. Dann gibt es noch die besonders doofen Reiter: Diese lassen die Zügel einfach fahren im Glauben, das Pferd werde die von uns gewünschte Richtung von selbst einschlagen. Es ist für das Pferd sekundär, ob der Reiter dabei gepflegtes deutsch spricht oder auf polnisch flucht.

Der Markt, das lehrt und die Geschichte, arrangiert sich auch mit einem menschenfeindlichen politischen System, solange er genügend Freiraum und gewinnträchtige Gelegenheiten bekommt. Die Chinesen haben den Sozialismus überwunden und von uns gelernt, wie man ein Pferd erfolgreich reiten kann. Wir hingegen haben nach dem Fall der Mauer angenommen, unser Pferd bedürfe nun keiner Lenkung mehr und haben die Zügel freiwillig fahren lassen: Wir reiten das Pferd nicht mehr – das Pferd, reitet uns nun dorthin wo es will.

Natürlich liegt eine besondere Tragik darin, wenn gereifte Demokratien die Dummheit besitzen, sich wieder aus freien Stücken einer zügellosen Marktwirtschaft zu unterwerfen. Aber dies ist lediglich eine Frage des Wollens. Ob dieser hirnlose Entscheid von einem Volk, einem Tyrannen oder von roten Mandarinen gefällt wird ist dabei sekundär.

Alles schön und gut, nur haben wir keine einzige Antwort darauf, die auch nur im Ansatz etwas an unserem System ändern könnte.
China ist doch reine partei-diktatorisch geleitete Marktwirtschaft. Mit Kommunismus hat es wohl längst nichts mehr gemein, zumindest nicht, was den internationalen Markt betrifft.

Aber unsere grün/rote Linke würde wohl wenig Freude haben, wären sie dem unterworfen, wie's in China wohl abgeht. Eher doch noch die Rechten, zumindest die Neuen, die SVP, denn China ist wohl zumindest so National wie Japan auch, wenn's um die politische Idendität und Aufrechterhaltung nationaler Würde geht. Sind aber bei uns auch nur Dinge, die man mit Hochdruck am Vergessen ist.

Und eine Kultur-Revolution wird es eher noch im religiösen Bereich als im Politischen geben, der folgt dann sowieso irgendwann automatisch. Was wir aber dannzumal zu sagen haben, wird etwa soviel sein wie das, was 'normale' Chinesen in politischen Dingen auch haben. Nehm ich zumindest an.

Warten wie's einfach ab, ich werde es wohl nicht mehr erleben (müssen).

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