Der feine Herr Vasella
Diese Abgangsentschädigung von Daniel Vasella ist ein Grund für tiefste Verstörung. Warum wird jemand noch einmal extra dafür bezahlt, dass er das Haus, das er erbaut hat, am Ende nicht abbrennt?
Managern vom Schlage Vasellas wird in aller Regel Gier unterstellt, und diese Unterstellung ist das wichtigste Motiv für die Abzockerinitiative. Da Gier ein subjektives Motiv ist, möchte ich hier eine journalistische Regel brechen und einmal ein paar subjektive Eindrücke von Daniel Vasella notieren.
Der intellektuelle Habitus
Als Daniel Vasella noch Chef der Sparte Pharma bei Sandoz war, führte ich mit ihm 1995 zwei ausführliche Gespräche. Eines war für die Münchner Zeitschrift „Focus“ bestimmt, das zweite für ein Buch.
Daniel Vasella hat mich damals enorm für sich eingenommen. Er war genau das Gegenteil des Managertyps, dem ich auch um den Preis ewiger Armut nur Abneigung entgegenbringen kann. Vasella war ursprünglich Internist am Inselspital in Bern. Und er hatte genau den intellektuellen und verstehenden Habitus, der mich spontan für ihn einnahm.
Angstvolle Situationen
Und er erzählte, wie er in jungen Jahren an Tuberkulose erkrankt war, lange Aufenthalte und angstvolle Situationen in Sanatorien erlebte, wie er seinen Vater und dann seine Schwester verlor. Das alles sind Geschichten, so schwer, dass sie auch aus heutiger Perspektive schwer wiegen.
Und dann erzählte er, wie er nach einigen Jahren am Inselspital Anspruch auf ein Sabbatical hatte. Anstatt nun „segeln zu gehen“, entschloss er sich, bei Sandoz in den USA eine Art Praktikum als Pharmavertreter zu machen. Dazu muss man wissen, dass er mit der Nichte des damaligen Präsidenten von Sandoz, Marc Moret, verheiratet ist.
Die Veränderung
Aber man darf Vasella glauben, was er damals erzählte: Es war ein verdammt hartes Brot, auf den Bänken in den Wartezimmern der amerikanischen Ärzte zu sitzen und als ein Nobody Pillen anzupreisen. Die Zeiten als Oberarzt am Inselspital in Bern waren doch erheblich komfortabler gewesen. Aber Vasella schaffte es, den Umsatz in Nordamerika markant zu steigern. - Es gibt ganz sicher nicht viele Menschen, die eine derartige Charakterstärke aufweisen.
Das sind meine Eindrücke von 1995. Einige Jahre später habe ich ihn wieder für ein Interview aufgesucht. Auch diesmal hat mich seine Ausstrahlung in den Bann geschlagen. Aber etwas hat diesen Menschen so verändert, dass dies nicht mehr gilt.
Warum immer mehr?
Ich kann nur vermuten: Vasella war ganz wesentlich an der Fusion von Ciba-Geigy und Sandoz zu Novartis beteiligt. In gewisser Weise war das ein Geniestreich, und Insider sagen, dass niemand den Laden so gut kennt und deswegen so gut führen kann wie Daniel Vasella. Aber das ist nicht das Problem.
Das Problem ist der Grössenwahn. Warum muss ein so fantastischer Mensch wie Daniel Vasella sich so viele Millionen als Manager auszahlen lassen, dass er nicht mehr fantastisch, sondern nur noch lächerlich ist?
Warum Abzocker?
Aber diese Frage ist noch geradezu lächerlich im Verhältnis zu der Frage, die sich jetzt stellt: Warum muss der Mensch, der Novartis mit kreiert und zum Erfolg geführt hat, dafür mit einer Abfindung von 72 Millionen Schweizer Franken bedacht werden, dass er das Unternehmen, das er mit begründet und geführt hat, nicht durch einen Verrat an die Konkurrenz ruiniert?
Soll jetzt etwa das als unumstösslich gelten, was wir nur aus billigster Unterhaltung kennen: Gauner gegen Gauner? Gilt diese Regel jetzt auch für einen Arzt, der weiss, was Schicksalsschläge bedeuten, der als Internist wunderbar auf seine Patienten eingegangen ist, der den Mut hatte, für sich einen ganz neuen Weg zu versuchen? Und am Ende lässt er sich als potentiellen Gauner mit 72 Millionen Schweizer Franken dafür bezahlen, dass er nicht die niederträchtigste Handlungsweise wählt?
Das Problem, das sich für mich stellt: Die Abzocker sehen nicht immer so aus wie Abzocker. Was macht sie dazu?
Sehr geehrter Herr Wehowsky, ich teile Ihre Enttäuschung, zumal ich Herrn Vasella in der ursprünglichen Sandoz als überaus intelligenten und dynamischen Vorgesetzten gekannt habe. Welcher Teufel hat den verdienstvollen, einst bewunderten Manager geritten? Seit Bekanntwerden seines möglicherweise sittenwidrigen Stillhaltedeals à 72 Millionen wird sein Name nur noch mit Gier, fehlendem Anstand und schlechter Governance in Verbindung gebracht. Herrn Vasellas unglaubwürdige Kommunikation ist seinem inzwischen ramponierten Ruf auch nicht gerade förderlich gewesen (im SonntagsBlick vom 27.1.2013: "viel Geld zu verdienen war nie mein Ziel, es hat sich ergeben"; in der SRF-Tagesschau vom 23.1.2013, 12.45 Uhr: angeblich keine Konkurrenzklausel zu einem Millionenlohn pro Jahr). Da solche Exzesse unweigerlich den Wunsch nach Regulation hervorrufen, verdankt ihm die Schweiz nun das potentiell schärfste Aktienrecht der Welt, wobei Herren Ospel und Barnevik freilich Vorarbeit geleistet haben.
Zwei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust. In welcher nicht?
"Was macht sie dazu?" Eine gute Frage. Und eine Frage, die schwierig zu ergründen ist. Herr Vasella hat eine Psychoanalyse gemacht. Vielleicht hat er dabei nicht alles verarbeitet? Vielleicht hat er in jungen Jahren dem Tod ins Auge gesehen? Vielleicht hat ihn dies zutiefst verstört? Vielleicht muss er nun, da der Tod wieder näherrückt, sich reich beschenken? Vielleicht hat er Angst vor dem Leben? Was erstaunt ist, dass er sich mit dieser Abfindung von 72 Millionen derart in die Nesseln setzt. Das ganze Politik- und Wirtschaftsestablishment schreit auf, versucht zu retten, was nicht zu retten ist: nämlich, dass der Gegenvorschlag der Minderinitiative durchkommt. Vielleicht hat Vasella unterschätzt, dass er diese enorme Summe nicht in einem angelsächsischen Land bezieht, sondern in der Schweiz. Und da kann es zum Glück noch vorkommen, dass irgendwann das Mass voll ist. Das Land ist wohl nicht zu rechtschaffen, aber zu klein, um einem solch einmaligen Reibach den Segen zu erteilen. Vasella hat abgehoben. Er ist in den Olymp aufgestiegen. Fragt sich nur noch, ob er mit der Zeit besser Golf spielt als Marcel Ospel? Und ob am schönen Zugersee die Kirschbäume blühen wie eh und je?
Ihre Enttäuschung, Herr Stephan Wehowsky, rührt daher, dass Sie die Managern vom Schlage Vasellas nicht gleich, von vornherein als "Gauner" betrachten, sich blenden lassen von deren "Habitus" und "Ausstrahlung". Sie nehmen zu deren Gunsten an, dass bei denen schon alles in rechtschaffenen Bahnen läuft und auch alle Einnahmen ordentlich versteuert werden.
Leider ist es in der Realität genau umgekehrt! Kein Gangster wird "gesetzestreu" und rechtschaffen nur weil er mächtig viel "Kohle" abgreifen konnte, im Gegenteil.
Was mir aber an Ihnen gefällt, Herr Stephan Wehowsky, ist eben genau diese "Enttäuschung", diese "naive" Vorstellung, unsere Gesellschaft müsste doch von ehrlichen und aufrichtigen Geschäftsleuten und Politikern "geführt" werden.
Und ich lese gerne auch weiterhin Ihre Beurteilungen. Die lesen sich wie Romane, voll von enttäuschter "Liebe" und Gefühlen. Und dabei kann ich dann auch weiter von einer "intakten" Gesellschaft träumen.
Die 72 Millionen sind herausgeworfenes Geld. Denn: Würde sich Vasella von einem börsenkotierten Pharma-Konkurrenten anheuern lassen, sänke dessen Aktienkurs sofort. Bei der Ankündigung des Transfers.
"Warum immer mehr?" Komische Frage, ein Blick auf seine Vergangenheit beantwortet diese sofort: Mangel damals wird kompensiert durch Raffen später, klarer Fall von krankhafter Kompensation. Man ist dann halt der Meinung, dass man es "verdient" hätte, weil man ja in der Vergangenheit darben musste. Problematisch wird es dann, wenn das System die Möglichkeiten dazu gibt oder wenn dazu staatliche Strukturen benutzt werden, die dafür eigentlich ja nicht da sind, siehe viele Politiker.
Das Ganze wirft auch ein völlig anderes Licht auf die wahren Motive für die überraschende Rücktrittserklärung von Vasella. Das hat noch niemand aufgegriffen, ausser hier: http://polizei24.ch/vasellas-abgangs-entschadigung-ware-kriminell/
Für den Menschen Vasella kann ich mich hinein fühlen für den, der nie genug gekriegt hat oder nicht das was er wollte, was zu seiner (wahrscheinlich) möglichen Verletzung geführt hat. Er füllt ein Loch mit immer mehr, nur das Loch ist so riesig, dass das Gefühl von Fülle nur kurz anhält, wenn er etwas mehr kriegt. Das Mass ist jetzt aber enorm und die Übersicht und Bezug zur Wirklichkeit verloren. Irgendwo hat er den Bezug zu dem was wirklich ist verloren und Angst was er hat würde nicht (nie) reichen. Das ist Keine Entschuldigung für ihn, nur eine Erklärung wieso so etwas geschieht. Wir haben Jahrzehnte zugeschaut und nichts getan, denn insgeheim haben doch viele gedacht "soviel Geld wir er möchte ich auch haben." Was für uns, die zuschauen wichtig ist: handeln und nicht nur kritisieren! Jetzt Einhalt geben und nicht warten, denn er ist nicht der Einzige! Es gibt viele solche Manager und wir regen uns auf aber tun NICHTS. Wir warten darauf das IRGEND JEMAND etwas tut, wir übernehmen keine Verantwortung und stellen uns nicht ins Rampenlicht, denn: wir könnten uns ja bloss stellen. Ich hoffe es schwer, dass man Vasella einen Einhalt geben kann und verhindern dass er noch eine Belohnung kriegt, welche weder uns noch ihm gut tut. Jeder kann persönlich etwas tun, es muss nichts grosses sein aber einen Beitrag ihn zu stoppen, jeder auf seine Art, jeder nach seiner Kraft und seinen Möglichkeiten...