Der Schweizerfilmmacher

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Der Schweizerfilmmacher

Von Alex Bänninger, 25.02.2016

Rolf Lyssy feiert heute seinen Geburtstag: mit 80 Kerzen, nach 15 Filmen und vor einem grossen Projekt.

Der Schweizer Film in zwei Worten heisst Rolf Lyssy. Heute und mitten in der Vorbereitung für eine weitere Spielfilmproduktion wird er achtzig. Er ist ein Solitär. Geschliffen mit der Härte, die der Filmberuf bedeutet, mit dem Erfolg, den das Metier bringen kann, mit den Angriffen, denen der Herausragende ausgesetzt ist, geschliffen auch mit der Kraft, die es besonders hierzulande braucht, um zugleich als komödiantisch brillant und künstlerisch ernsthaft zu gelten.

Wirkungsmächtige Komödie

Sein 1978 realisierter Film "Die Schweizermacher" mit Walo Lüond und Emil Steinberger in den Hauptrollen ist das Paradebeispiel. Das witzig und spritzig als bieder und tückisch geschilderte Einbürgerungsverfahren für Ausländer begeisterte ein Millionenpublikum. Rolf Lyssy wurde zu einer Grösse und blieb es bis heute.

Rolf Lyssy, aufgenommen kurz vor seinem 70. Geburtstag im Februar 2006. (Foto: Keystone/Str)
Rolf Lyssy, aufgenommen kurz vor seinem 70. Geburtstag im Februar 2006. (Foto: Keystone/Str)

Aber es erreicht ihn seither vom Hochsitz der Kunstwächter auch die Nörgelei, publikumsberechnend unterhaltend zu sein, den Film nicht in umstürzender Mission stets neu zu erfinden und dem Erzählerischen verbundener zu sein als dem belehrenden Thesenschwall. Der Einwand beruht auf Neid und einem unscharfen Blick. Rolf Lyssy legte mit "Die Schweizermacher" einen wirkungsmächtigen Film vor, der ans patriotisch Eingemachte geht.

Knallhart, aber ohne Provokation

Er verwandelt unsere Lachen über Ausländer in die Lächerlichkeit unserer Borniertheit und redet uns ins Gewissen, unsere Identität nicht aus der selbstgerechten Überhöhung unserer Stärken und der selbstgefälligen Ausblendung unserer Schwächen abzuleiten. Im Kern ist die hinreissende Komödie eine treffsichere Zeit- und Gesellschaftskritik, die uns abwechselnd den Honig echter Schweizer Bienen um den Mund streicht und uns Saures gibt.

In der beachtlichen Reihe der politisch markant formulierten Werke unseres Filmschaffens nehmen "Die Schweizermacher" mit ihrer Popularität einen Spitzenrang ein. Es ist ihnen das Verdienst eigen, die Niedertracht gerade der bünzlig gehäkelten Fremdenfreindlichkeit ohne Provokation der Abwehrreflexe zu brandmarken. Rolf Lyssy kennt die Seelen seiner Pappenheimer.

Virtuos in der Vielfalt

Die Zielgenauigkeit zeichnet seine Filme aus. Sie bezeugen die wache Teilhabe an der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit. Die Themen bestimmen die Art der Aufbereitung in Moll oder Dur. Die ernste Filmsprache war angemessen für "Konfrontation" (1974) übers Attentat auf den NS-Gauleiter in der Schweiz oder für "Schreiben gegen den Tod" (2002) übers Warten eines Gefangenen auf die Exekution.

Die Inszenierung aus leichter Hand bot sich an für "Vita parcoeur" (1972) über den Fitnesswahn, für "Teddy Bär" (1983) über einen schweizerischen Oscar-Gewinner oder für "Leo Sonnyboy" (1989) über eine vertrackte Liebesbeziehung.

Schauspieler Mathias Gnädinger (links) und Rolf Lyssy, an der Pressekonferenz zu Lyssys Spielfilm \"Leo Sonnyboy\" im Dezember 1989. (Foto: Keystone/Str)
Schauspieler Mathias Gnädinger (links) und Rolf Lyssy, an der Pressekonferenz zu Lyssys Spielfilm "Leo Sonnyboy" im Dezember 1989. (Foto: Keystone/Str)

Der Wechsel von einem Fach ins andere erklärt sich aus der medialen Virtuosität Rolf Lyssys, der auch anregende Kolumnen schreibt, über seine Depression ein fesselnd ehrliches Buch verfasste, Bühnenstücke inszeniert und sich als Schlagzeuger im Jazz behauptet.

Motivierendes Leiden

Aus Beobachtungen und Erfahrungen, die Rolf Lyssy in Verwunderung, Nachdenklichkeit oder Wut versetzen, entstehen die Filme. Bevor er lacht oder böse wird, leidet er. Unter jenen, die Unsinn, Unheil oder Ungerechtigkeit verantworten müssen, und wegen jenen, die zu komischen oder tragischen Opfern wurden.

Rolf Lyssys Massstäbe und Botschaften sind die Vernunft, die Menschenwürde und die Gerechtigkeit. Ausnahmslos. Ob die Filme die Pointen wirbeln oder uns den Atem stocken lassen.

Den Dingen auf den Grund gehen

"Ursula - Leben in Anderswo" (2011) ist der reifste und berührendste Film Rolf Lyssys. Er schildert mit dem Schicksal der von Geburt an taubblinden Ursula Bodmer und ihrer Pflegemutter Anita Utzinger das ihm humanitär Wichtige mit Sensibilität und Sachlichkeit. Anteilnahme und Distanz sind im Gleichgewicht.

Bis dahin war der Versuchung zu widerstehen, einfachheitshalber ein mitleidvolles Rührstück oder ein medizinisches Lehrstück zu drehen. Vor dem Verrennen bewahrten Rolf Lyssy die Erfahrung, die Neugier, den Dingen nüchtern auf den Grund zu gehen, und die von seinem Sohn Elia professionell geführte Kamera. Die dokumentarische Arbeit ist vom Credo der für jeden Menschen geltenden Würde geprägt.

Bedeutendes Oeuvre

Der mit "Die Schweizermacher" erworbene Ruhm begleitet Rolf Lyssy seit nunmehr fast vierzig Jahren und wird kein baldiges Ende nehmen. Zu Recht auch deshalb, weil die thematische Aktualität ungebrochen anhält.

Dringend anzufügen ist, dass der Regisseur weitere bedeutende Filme schuf, die bis ins Detail sorgfältig geplant waren, handwerklich solid und inszenatorisch sehr wohl kalkulierend, wie das Publikum gepackt und an der Entdeckung verborgener und lästiger Wahrheiten interessiert werden kann. Die offizielle Wertschätzung dafür ist der 2012 verliehen Ehrenpreis im Rahmen der Schweizer Filmpreise.

Schwere Leichtigkeit

Rolf Lyssy wurden zwar in reichem Mass die Honneurs erwiesen, aber für die Finanzierung seiner Produktionen biss er bei den Fördergremien regelmässig auf Granit. Diese Seltsamkeit begann mit der empörenden Ablehnung eines Herstellungsbeitrages des Bundes für "Die Schweizermacher". Daraus wurden leider keine Lehren gezogen.

Aktuell beschert der Förderbetrieb, dem vor dem klassischen Erzählkino und seiner vermeintlichen Leichtigkeit graust, Rolf Lyssy das Los, um die Hilfe der öffentlichen Hand für seinen nächsten Spielfilm bangen zu müssen. Nach 15 Filmen, 14 nationalen und internationalen Auszeichnungen und einer die Drei-Millionen-Grenze überschreitenden Publikumszahl.

Kräftig in die Pedalen treten

Möge "Die letzte Pointe" über eine eingebildete Demenz mit Happy-End die Geldgeber vor dem Witz einer Absage bewahren und dem Regisseur zur Chance werden, mit Tiefsinn die komödiantischen Register zu ziehen. Das ist unser erster herzlicher Geburtstagswunsch.

Der zweite: Dass das jetzt von Georg Kohler und Felix Ghezzi im Zürcher Verlag Rüffer & Rub herausgegebene Buch "Die Schweizermacher - Und was die Schweiz ausmacht" mit einer breiten Resonanz belohnt wird.

Der dritte Wunsch: Es möge Rolf Lyssy die mit eiserner Disziplin auf dem Rennvelo staunenswert erworbene Vitalität erhalten bleiben, um sich als hellsichtiger Mahner und spannender Widerspruchsgeist weiterhin tüchtig in unsere Angelegenheiten einzumischen. Das Gehör ist ihm, der über Popularität und Autorität verfügt, sicher.

Rolf Lyssy, fotografiert am 23. Januar 2016 in Solothurn. (Bild: Keystone/Alessandro della Valle)
Rolf Lyssy, fotografiert am 23. Januar 2016 in Solothurn. (Bild: Keystone/Alessandro della Valle)

Die Narrenfreiheit der Komödianten ist gefährlicher als sie vorgibt!

Die Narrenfreiheit der Komödianten ist für die politische Meinungsbildung gefährlicher als sie vorgibt. Sie zielt auf den Bauch und setzt sich auch dort länger fest, weil sie mit einfachen Kalauern und Bildern operiert. Wir sind doch alle dankbar für einfach merkbare Bilder in unserer komplexen Welt. Wer will sich schon bei Abstimmungen mühsam mit einer kontroversen Abstimmungsvorlage auseinandersetzen? Da hilft doch ein karikierender Film wie „Die Schweizermacher“ oder ein Spruch von Giacobbo/Müller über all die Mühsal hinweg.

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