Journalistischer Mehrwert
Menu
16. Februar 2021

Der Trick des Fälschers

Eduard Kaeser's picture

Der Trick des Fälschers

Von Eduard Kaeser, 02.03.2017

Der talentierte Mr. van Meegeren: Einblicke in die Technik des Täuschens - und der universelle Zweifel von René Descartes.

In den 1930er und 1940er Jahren fälschte der holländische Kunstsammler und -maler Han van Meegeren eine grosse Anzahl Bilder, vor allem von Jan Vermeer. Van Meegeren gilt als einer der genialsten Kunstfälscher des 20. Jahrhunderts. Was an seinen Falsifikaten überrascht, sagen heute Experten, sei der Umstand, wie durchschaubar sie im Grunde seien. Viele der Pseudo-Vermeers sähen den Werken des Meisters gar nicht ähnlich. Weshalb sich die Frage stellt, wie denn eine Reihe von sachkundigen Kunsthändlern und Experten dem Fälscher auf den Leim kriechen konnten.

Netz der Glaubwürdigkeit

Die Antwort muss gar nicht so weit gesucht werden. Entscheidend an van Meegerens Trick war weniger die Fälschung selbst, als vielmehr das Umfeld der Fälschung. Zwar gibt es immer ausgeklügeltere chemische und physikalische Methoden der Authentifizierung von Gemälden, aber die meisten Experten berufen sich auf ihre Kennerschaft. Sie prüfen ein Werk auf seine Echtheit, indem sie es im Gesamtkorpus begutachten; sie vergleichen es mit den bereits als echt befundenen Stücken.

Sie halten sich, wie man sagen könnte, an ein Netz der Glaubwürdigkeit. Dieses Netz ist freilich delikat. Das erkannte van Meegeren. Er brauchte nur erst einmal einen falschen Vermeer ins Netz zu schleusen, um ihn dann mit den echten zu verküpfen. War dies geschehen, konnte die Fälschung quasi von der Echtheit der anderen Werke zehren. So wie man durch die Bekanntschaft mit prominenten Leuten in der Regel auch etwas von deren Prominenz abkriegt.

Das Gespinst der Meinungen

Wir handeln und denken in einem mehr oder weniger dichten Gespinst von Meinungen, einem „web of belief“, wie dies einer der einflussreichsten Philosophen und Logiker des letzten Jahrhunderts, Willard van Orman Quine, genannt hat. Das bedeutet, dass wir Behauptungen gewöhnlich nicht isoliert überprüfen, sondern, wie die Kunstexperten, im Gesamtkorpus all jener Meinungen, die wir bereits als richtig akzeptiert haben. Wenn ich erfahre, dass Christoph Blocher im Bundeshaus durch einen Sturz seine Nase gebrochen hat, dann gehe ich ihn nicht ins Spital besuchen, um mir dies von ihm direkt bestätigen zu lassen. Ich halte die Aussage für beglaubigt, weil ich sie aus Medien erfahre, die mir bereits von früher her vertrauenswürdig erscheinen. Die Philosophen sprechen in diesem Zusammenhang von der Kohärenztheorie der Wahrheit: Eine Aussage ist wahr, weil ich sie mit andern verlässlichen Aussagen verknüpfe.

Im Gegensatz dazu gibt es auch die Wahrheit als Korrespondenz oder Übereinstimmung mit Tatsachen. Wäre ich ein Korrespondenztheoretiker, müsste ich Herrn Blocher aufsuchen, um den Nasenbruch mit eigenen Augen zu sehen und mir von ihm bestätigen zu lassen, dass die Fraktur von einem Sturz herrühre. Heute verlassen wir uns immer mehr auf das „web of belief“. Wir wären in der Informationsflut hoffnungslos überfordert, andauernd korrespondenztheoretisch zu fragen: Stimmt das auch wirklich mit den Tatsachen überein?

Die Kunst der Quellenvergiftung

Und genau dies birgt grosse, zunehmend grössere Risiken. Der Trick van Meegerens hatte gewaltigen Erfolg. Er bescherte dem Fälscher ein Vermögen. Und mit jedem neuen Pseudo-Vermeer verwandelte sich das Netz der Werke in ein Hybrid aus Originalen und Falsifikaten, die Chance, dass die nächste Fälschung ebenfalls aufgenommen würde, stieg kontinuierlich an. Nach einer gewissen Zeit erschien es nahezu unmöglich, zwischen Vermeers und van Meegerens zu unterscheiden. Die Werke des Fälschers hatten sich wie Inkuben ins Netz der echten Werke eingenistet und dieses Netz kontaminiert. Van Meegeren war ein Meister der Kunst der Quellenvergiftung.

Solche Kontamination ereignet sich nicht nur in der Kunstwelt, sondern vermehrt auch in unserem Alltag. Unsere Fähigkeit, eine Meinung auf ihre „Echtheit“ zu überprüfen, hängt sensibel und vital von den Quellen ab, anhand derer wir die Meinung prüfen. Wenn man diese Quellen sukzessive vergiftet, führt dies zur Vergiftung des gesamten „web of belief“. Das Heimtückische bei van Meegeren lag nicht an der Fälschung, in der Vorspiegelung von Originalität, sondern darin, dass die Fälschung die Idee der Originalität radikal korrumpierte. Wenn man nicht mehr unterscheiden kann zwischen echtem und falschem Vermeer, was soll dann noch die Rede von der Echtheit des Kunstwerks? Wenn man nicht mehr unterscheiden kann zwischen Wahrheit und Falschheit einer Aussage, was soll dann noch das Gerede über Wahrheit?

Philosophie im Zeichen der Fälschung

Wenig bekannt sein dürfte, dass die Philosophie der europäischen Neuzeit im Zeichen der Fälschung steht. René Descartes’ „Meditationen über die Grundlagen der Philosophie“ sind ein Bravourstück des Zweifelsähens. In heutiger Sprache könnte man den kartesianischen Ansatz zum Philosophieren in einem Satz verdichten: Alles ist Fake News. Wie Descartes schreibt: „Alles nämlich, was ich bisher am ehesten für wahr gehalten habe, verdanke ich den Sinnen oder der Vermittlung der Sinne. Nun aber bin ich dahintergekommen, dass diese uns bisweilen täuschen, und es ist ein Gebot der Klugheit, denen niemals ganz zu trauen, die uns auch nur einmal getäuscht haben.“

Mit seinem Universalzweifel ist Descartes sozusagen der erste Quellenvergifter der Neuzeit. Oder genauer: Er spielt mit dem Gedanken eines solchen Quellenvergifters: „So will ich denn annehmen, dass nicht der allgütige Gott die Quelle der Wahrheit ist, sondern irgendein böser Geist, der zugleich allmächtig und verschlagen ist, habe allen seinen Fleiss daran gewandt, mich zu täuschen; ich will glauben, Himmel, Luft, Erde, Farben, Gestalten, Töne (...) seien nichts als das täuschende Spiel von Träumen, durch die er meiner Leichtgläubigkeit Fallen stellt.“

Man kann aus Descartes’ Meditation eine Warnung herauslesen. Informations- und Kommunikationstechnologie sind heute so weit entwickelt, dass sie uns wie ein allmächtiger Geist in elektronischen Träumen wiegen können. Descartes Gedankenspiel ist nahezu realisierbar geworden. Und die Politk beginnt es zu entdecken.

Borderline-Politik

Van Meegeren hat gelehrige Schüler. Trump und seine Lakaien betreiben Quellenvergiftung als politisches Tagesgeschäft. Sie wissen nur zu gut, dass Bürger hochtechnisierter Gesellschaften sensibel und vital auf objektive und verlässliche Informationsquellen angewiesen sind, um die gewählten Repräsentanten zu beurteilen und wenn möglich zu kritisieren. Je mehr man also solche Quellen diskreditiert, desto schwieriger wird die Beurteilung, wie dies auch bei den Fälschungen van Meegerens der Fall war. Das „web of belief“ wird zu einem undurchschaubaren Gespinst von „alternativen“ Fakten, kostümierten Lügen und gezwitscherten Gerüchten.

Das Problem liegt nicht so sehr darin, dass man uns mit Unwahrheiten abfertigt, was schon schändlich genug ist, wenn auch nicht neu. Das Problem liegt in der Perfidie einer steten und unaufhaltsamen Zersetzung unseres Vertrauens in mühsam errichtete Institutionen wie Wissenschaft und unabhängige Medien, Quellen also, die uns helfen, auch in der Politik die Vermeers und van Meegerens voneinander zu unterscheiden. Jeder neue Hafenkäse, den der amerikanische Präsident in die Welt setzt, profitiert von dieser Grenzverwischung. Eigentlich müsste man von Borderline-Politik sprechen. Und sie wird nicht nur den Wert von Kunstwerken zerstören. 

Danke für den spannenden Artikel.

Hier ein Beispiel aus eingener Erfahrung.
An dem Tag als Russland in Afghanistan einmarschierte befand ich mich als junger Mann im damals noch geteilten Berlin.
Im Hotelzimmer konnte ich im Fernseher das westdeutsche und das ostdeutsche Programm empfangen.
Beide Nachrichtenprogramme zeigten Bilder von den Russen in Afghanistan.
Der Kommentar im Westen: "Russland hat Afghanistan überfallen um sich einen strategischen Vorteil zu verschaffen"
Der Kommentar im Osten: "Die russische Bruderarmee in in Afghanistan einmarschiert um Frieden, Freiheit und Demokratie zu gewährleisten".
Am Anfang habe ich über den ostdeutschen Kommentar gelacht. Als mir bewusst wurde, dass ich das Thema gar nicht beurteilen kann, ist mir das Lachen im Halse stecken geblieben.
Was wäre wenn wir genau so manipuliert werden wie jene im Osten?
Wir beziehen unsere Informationen von andern Menschen, die die Dinge so schildern wie sie sie verstehen (wollen). Viele dieser Informationen können wir gar nicht überprüfen, weil uns das Hintergrundwissen fehlt.
Für mich bedeutet das, erhalte ich für mich wichtige Informationen, muss ich sie überprüfen oder wenigstens durch denken können, sonst lass ich lieber die Finger davon.
Dennoch, ein mulmiges Gefühl bleibt trotzdem. Der Manipulation kann man sich schlecht entziehen.

Wie präzis diese Analyse einer permanenten bewussten Quellenvergiftung und ihrer Folgen ist, kann noch fast aktuell an der Nr. 17/6 der Weltwoche exemplarisch studiert werden: fast die ganze europäische Presse von Renommee wird in dieser Nr. aus der Optik der Trump-Diffamierung als fake-Instrumente disqualifiziert. Wers glaubt, findet fsast kein einziges Organ mehr, dem er/sie glauben kann!! Und das in unserer so grossartigen CH!
A. Imhasly

Leider begann diese Problematik lange vor Trump, aber spätestens mit dem Buch von Edward L. Bernays "Propaganda" von 1928.

„Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Organisationen, die im Verborgenen arbeiten, lenken die gesellschaftlichen Abläufe. Sie sind die eigentlichen Regierungen in unserem Land." Edward L. Bernays

Was 1928 noch rudimentär daherkommt wurde in der Zwischenzeit mehr als perfektioniert. Und es sollte jedem klar sein, dass die Massenmedien die Aufgabe zugewiesen bekommen haben, die Manipulation der Massen bewusst oder unbewusst zu ermöglichen.

Auch die propagierten Flaggschiffe wie NYT und WP vertreten in kritischen Phasen nicht die 4. Gewalt sondern das politische und militärische Establishment. Sie sind keine F.I. Stone's Weekley's.

Nebenbei, Amy Goodman von Democracy Now stellt den sogenannten unabhängigen Konzernmedien in den USA keine gute Note aus. Sie meint, hätten die USA nur Staatsmedien würde es heute nicht anders sein.

Es sind nicht Aussenseiter wie Trump welche das Gift der Zersetzung verbreiten, es ist das System selbst, das sich langsam aber sicher selbst zerstört. Trump scheint nur vom Selbstzersetzungsprozess profitieren zu wollen.

Ganz genau! "Alles ist Fake News." Und "Alles nämlich, was ich bisher am ehesten für wahr gehalten habe..." des besagten Descartes drucken wir Exopolitik- und Verschwörungsrechercheure gerne auch auf T-Shirts: "Alles was du weist ist falsch".
Und das „So will ich denn annehmen, dass nicht der allgütige Gott die Quelle der Wahrheit ist, sondern irgendein böser Geist, der zugleich allmächtig und verschlagen ist, habe allen seinen Fleiss daran gewandt, mich zu täuschen;" bezeichnen wir dazu als Horus-Ra und die gnostischen Archonten, Reptiloide, Echsenartige, die alte Schlange in der Bibel und Drachen oder die Dracos, über die wiederum viele behaupten, nicht mal daran denken zu dürfen, geschweige denn sie öffentlich zu erwähnen, aber so bin ich halt :)
James Jesus Angleton meinte zu dem Thema: "Deception is a state of mind and the mind of the State."

SRF Archiv

Newsletter kostenlos abonnieren