Die „Hallen für Neue Kunst“ sind geschlossen – vorübergehend?

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Die „Hallen für Neue Kunst“ sind geschlossen – vorübergehend?

Von Peter Studer, 17.03.2014

Unsicherheit über „Kapital Raum 1970-1977“, das späte Hauptwerk von Joseph Beuys in Schaffhausen 1)

Vor dem Schaffhauser Obergericht hat ein jahrelanges Seilziehen um das Eigentum an einer Ikone der neuesten Kunst sein Ende gefunden: Das Gericht sprach drei Sammlern in einem an Kriminalromane erinnernden Indizienbeweis die Eigentumsrechte an der grossen Installation „Das Kapital Raum 1970 – 1977“ zu. Die „Stiftung für Neue Kunst“, die in diesem Verfahren Beklagte war, muss das „Kapital“, Hauptwerk in den europaweit renommierten  „Hallen für Neue Kunst“, an die drei Sammler herausgeben.

Da das Urteil der „Stiftung“ auch die erstinstanzlichen Gerichtskosten von 180 000 Franken und die Prozessentschädigung an die Sieger von 210 000 Franken auferlegte, sind die „Hallen“ für das Publikum entgegen den Leistungsvereinbarungen mit Stadt und Kanton Schaffhausen vorderhand geschlossen: Für Personal fehlt jetzt das Geld.

Urs Raussmüller, einst selber Künstler, hat in den „Hallen“ ein europaweit einzigartiges Museum aufgebaut. Er konnte in der früheren Textilfabrik Schöller, die der Stadt Schaffhausen gehört, einziehen - Raumhöhe über vier Meter, breite Fensterfronten. Es gibt viel flexiblen Raum für die oft umfangreichen Exponate der Kunst zwischen 1965 und 1980, Stichworte Arte Povera, Minimal Art. Ein frugaler Museumstypus, der seither an vielen Kunstorten der westlichen Kulturwelt Nachahmer fand: Tate Modern (London), Dia Foundation bei New York, Löwenbräu Areal und Haus Konstruktiv in Zürich. Sie alle residieren in umfunktionierten Industrie- und Werkbauten! Raussmüller hat sich auf „Tiefe statt Breite“ festgelegt. Kommt das Publikum wieder? Ein Risiko, gegen das sich auch andere streng definierte Häuser wie das Klee-Museum (Bern), die Picasso-Sammlung Rosengart (Luzern) oder eben das Haus Konstruktiv (Zürich) behaupten müssen.

Kurz nach 1980: Drei wohlhabende Finanzmänner, an der Spitze der Zürcher Wirtschaftsanwalt Hans B. Wyss, erstanden an der Biennale moderner Kunst in Venedig 1980 „Das Kapital“ von Joseph Beuys. Das Compositum mit vielen Einzelgegenständen aus früheren Performances (zuletzt 50 Tafeln und 31 Gegenständen) war im Zürcher Kunsthaus dank dem legendären Harald Szeemann zu sehen, aber zog dann nach Schaffhausen um. Dort hatte der initiative Raussmüller in der Schöller-Fabrik einen Zwischenboden herausgebrochen und ein acht Meter hohes Raumerlebnis geschaffen, das Beuys (wie auch die Sammler) begeisterte. Beuys und Raussmüller richteten „Das Kapital“ ein – wobei der Titel nicht etwa auf Kapitalismus anspielte, sondern auf Beuys‘ Überzeugung, dass jeder Mensch schöpferisches Kapital umsetzen kann. 1984 öffneten sich die Tore der „Hallen für Neue Kunst“.

Doch die Partner lebten sich auseinander. Die Namen von Hans B. Wyss (als Vizepräsident des Stiftungsrats) und Urs Raussmüller (als Geschäftsführer) verschwanden aus dem Handelsregister. Die Sammler verlangten einen „Leihvertrag“ für „Das Kapital“; andernfalls drohten sie mit einer „Umplatzierung“. Die „Stiftung“ sträubte sich und erwähnte Mitberechtigte – die Stadt und Raussmüller. Letzterer liess mitteilen, er halte „an eigenen Eigentums- und Urheberrechten am Werk ’Das Kapital‘ fest“. Wyss und Mitsammler klagten auf Herausgabe. Ein letzter Vergleichsvorschlag des Kantonsgerichtspräsidenten – Eigentumsanerkennung gegen langfristigen Leihvertrag – scheiterte 2006 am „Nein“ der ‚Stiftung‘. Leider.

Nun setzte das Obergericht einen juristischen Schlusspunkt. Das war nicht ganz einfach, denn es lag kein schriftlicher Kaufvertrag von Wyss und seinen Kollegen vor. Wyss gibt heute etwas säuerlich zu, man habe sich damals eben von der Begeisterung hinreissen lassen. Aber die Rüge von Gerhard Mack („NZZ am Sonntag“), der „Indizienentscheid“ des Obergerichts leuchte nicht ein und mute „skurril“ an, trifft daneben.

Das Obergericht stellte auf Wyss‘ hohe Vorauszahlungen an Beuys‘ Galeristen Konrad Fischer ab; spätestens 1983 sei „Das Kapital“ - wahrscheinlich durch Raussmüllers Vermittlung – mit einem angegebenen Marktwert von 700 000Fr. „in das Eigentum der Sammlergemeinschaft ‚Crex‘ übergegangen. (Heute beträgt allein der Versicherungswert 4,5 Millionen Fr.). Das Rearrangement in Schaffhausen ändere nichts am Eigentum der Sammler; ihnen gehörten die Bestandteile von „Kapital“. Raussmüller selber habe das später und noch 1990 bestätigt. Der vielstufige „Indizienbeweis“ überzeugt. Zwar behauptet Raussmüller neuerdings in einem Statement, Joseph Beuys habe das Werk nach dessen Fertigstellung in Schaffhausen „meiner Frau und mir überlassen“. Das Obergericht sah das nicht so. Unbewiesen ist allerdings auch Hans B. Wyss‘ Erinnerung, Beuys habe sich bei ihm in Schaffhausen für eine leihweise Überlassung während etwa fünf Jahren bedankt.

Und jetzt? Das Schaffhauser Urteil ist rechtskräftig; der “Stiftung“ fehlte das Geld für einen Weiterzug an das Bundesgericht. Verhandlungen zwischen den Schaffhauser Behörden, der „Stiftung“ und den drei Sammlern stehen offenbar bevor. Möglich scheint – wie vor sieben Jahren schon – die Eigentums - und Wartungsbestätigung im Austausch gegen einen längeren Leihvertrag. Scheitern die Verhandlungen und droht gar ein Abbruch des „Kapitals“ in den „Hallen“, so könnte die Schaffhauser Regierung aufgrund des Kantonalen Natur- und Heimatschutzgesetzes (1968, Artikel 8a) wohl eine Unterschutzstellung dieses „Einzelobjekts von nationaler Bedeutung“ verfügen. Dabei wären die „Hochrangigkeit“ der Beuys-Installation und die Verhältnismässigkeit der Eigentumsschmälerung (gegenüber den drei siegreichen Sammlern) gerichtsfest nachzuweisen. Ähnliches gilt für eine mögliche Unterschutzstellung durch den Bund (Gesetz über den Natur- und Heimatschutz 1966, Artikel 16). Es gibt nicht ganz unvergleichbare Bundesgerichtsurteile, etwa zum Schutz des Zürcher Jugendstil-Innenraums im Café „Odeon“ am Zürcher Bellevueplatz (1983). Ein Enteignungstatbestand würde allerdings teuer. Schliesslich droht noch eine Urheberrechtsklage der Witwe Beuys, vielleicht Arm in Arm mit Urs Raussmüller, die in der „Umplatzierung“ des „Kapitals“ mit seinen Teilen eine „Zerstörung“ dieser monumentalen Installation sähen. Das Schaffhauser Obergericht hat beide Rechtsbehelfe gegen sein sachenrechtliches Eigentumsurteil ausdrücklich offengelassen. Als Kunstfreund kann man nur hoffen, dass das „Kapital“ nicht auf Jahre hinaus in einen solchen Rechtsdschungel gerät. Dahinter droht ohnehin noch die Zahlungsunfähigkeit der „Stiftung“ und ihrer europaweit einzigartigen Schaffhauser „Hallen für Neue Kunst“.  So oder so sei der Ruf angestimmt: Öffentliche und private Mäzene vor!

Der Jurist und Journalist Peter Studer war 1978/88 Chefredaktor des „Tages-Anzeigers“. Heute schreibt er über Medien- und Kulturrecht.

1) Dieser Text ist am Wochenende im Kulturteil des Zürcher „Tages-Anzeigers“ erschienen

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