Die SP als Vorreiterin: nur weiter so – aber jetzt mit Europa!

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Die SP als Vorreiterin: nur weiter so – aber jetzt mit Europa!

Von Gret Haller, 21.10.2019

Die SP kann nach den Wahlen 2019 den Durchbruch des Themas feiern, das sie vor Jahrzehnten allein auf die politische Bühne gebracht hat. Nun braucht sie wie damals ein neues zukunftsweisendes Thema als Alleinstellungmerkmal.

In der langfristigen Betrachtung kann die schweizerische SP zufrieden sein: Sie war es, die vor mehreren Jahrzehnten die ökologische Frage auf den Tisch gelegt hat, als es weit und breit noch keine Grünen gab. Diese kamen in Deutschland auf, und zwar deshalb, weil die deutschen Sozialdemokraten für Ökologisches damals kein Musikgehör hatten. Dass grüne Parteien in der Folge europaweit gegründet wurden, ist logisch und auch positiv zu bewerten.

Die ökologische Frage hat die Wahlen 2019 weitgehend dominiert und das Feld der ökologisch Motivierten hat sich massiv verbreitert. Dies bedeutet eine reiche Ernte für die politische Ausrichtung, die von der SP vor Jahrzenten begründet worden ist. Erfahrungsgemäss passieren solche Durchbrüche oft dann, wenn man nicht mehr weiss, woher die Idee eigentlich gekommen ist. Wenn eine Idee politisch einmal reif geworden ist, setzt sie sich meistens genau dann durch, wenn sich ihre Träger vervielfältigt haben. Genau das ist bei den Wahlen 2019 passiert.

Jetzt braucht die SP ein neues Vorreiterthema, und zwar eines, das mindestens so quer liegt wie damals die Ökologie, gleichsam als Alleinstellungsmerkmal der Partei. Die ökologische Fragestellung hat sich durchgesetzt, sie verschiebt sich in die Phase der tagespolitischen Umsetzung, und die SP wird sie im Verbund mit den grünen Parteien voranbringen, wie sie es schon seit dem Auftauchen dieser Parteien auf der politischen Bühne gewohnt ist. Neben diesem tagespolitischen Geschäft braucht die SP aber auch einen zukunftsorientierten Schwerpunkt, der durchaus kontrovers und „sperrig“ sein soll. Das war die Ökologie vor Jahrzehnten auch.

Das Thema liegt bereits auf dem Tisch und heisst „Europa“. Damit ist nicht vor allem die Auseinandersetzung mit dem Rahmenabkommen gemeint, denn dies gehört zur tagespolitischen Notwendigkeit der Wahrung schweizerischer Interessen. Das eigentliche Vorreiterthema kann nur der Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union sein. Dieses Thema garantiert nicht nur die Alleinstellung, sondern es fügt sich ein in die Grundhaltung der Sozialdemokratie und ihrer internationalen Verantwortung. Das Ignorieren der Beitrittsfrage kommt einer Politik-Verweigerung im Rahmen der EU gleich und passt eigentlich schlecht zu dieser internationalen Verantwortung.

Nach den Wahlen ist der Raum frei für eine neue Themensetzung. Mit der ökologischen Frage hat die SP damals ein entscheidendes Thema gesetzt. „Themen Setzen“ hat immer zu den vornehmsten Aufgaben dieser Partei gehört, sei dies anfänglich vor allem im Bereich der Sozialpolitik, dann in der Ökologie oder nun eben auch im Bereich der internationalen Verantwortung gegenüber Europa.

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Na ja, liebe Gret, da schmücken wir uns aber etwas mit fremden Federn. Das habe ich ziemlich anders erlebt und erlebe es anders: In den Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre, als sich die Grünen auch in der Schweiz formierten waren von der SP nicht viele ökologische Töne zu hören, sondern, die Grünen wurden eher scheel angesehen, wenn ich auch zugebe, dass die Linke sich relativ bald linken Themen anschloss, weil sich damit Staatseingriffe und Steuern rechtfertigen liessen.

Jetzt aber zu meinen, dass die ökologische Frage auf dem Tisch liege und in der tagespolitischen Umsetzung stehe ist eine gewaltige Täuschung. Die IPCC-Berichte melden nur die Hälfte der Kalamität, das Pariser Abkommen wird nirgends umgesetzt, selbst bei dessen Umsetzung wäre die Klimakatastrophe nicht abgewendet, und die Mehrheit der Entscheidungsträger - allen voran die Vordenkerin NZZ - übt sich im Augenverschliessen und Schönreden. Namhafte Stimmen vertreten, dass sich der Untergang der Industriegesellschaft und der Zivilisation nicht mehr aufhalten lasse (Jem Bendell, Pablo Servigne, David Wallace-Wells, Catherine Ingram, Jonathan Franzen, John Schellnhuber) und, weil keine konzertierte Aktion erfolgt werden sie recht behalten.

In allen Europäischen Staaten regt sich Widerstand gegen die grenzenlose Freizügigkeit und die Bürokratie, die Brüssel auch uns aufzwingen will. Hier empfiehlt sich nicht Schrittmacherdienst, sondern Abwarten, bis klarer wird, das dieses Europa denn ist oder sein will.

Liebe Grüsse Lukas Fierz

Ganz herzlichen Dank, liebe Grat Haller, für diesen Artikel. Wie recht Du hast!

Schweiz versus EU
„Die Regierung bringt es nach wie vor nicht übers Herz, der drängenden EU mitzuteilen, dass man sich, nie und nimmer, fremdes Recht und fremde Richter aufs Auge drücken lasse. Die freiwillige Selbstauflösung der Schweiz unter die Fuchtel der EU? Niemals.
Solche Töne hört man nicht. Wo liegt der Grund? Vielleicht hier: Die Schweiz ist fein gewoben. Ihre Bewohner sind mehrsprachig, hellhörig, gutmütig, sensibel für andere. Das Land funktioniert nur deshalb, weil sich alle zurücknehmen und niemand dem anderen seine Art aufzwingt. Stillschweigend wird erwartet, dass sich jeder an die gemeinsamen, unausgesprochenen Regeln hält.
Zurückhaltung ist die grosse nationale Tugend. Gerade der Verzicht darauf, die eigene Art, die eigene Kultur, die eigene Sprache oder Religion herauszukehren, ist ein Erfolgsrezept unseres Zusammenhalts. Das Integrationsmodell der Schweiz ist die weitestgehende Nichtintegration ihrer Bewohner nach dem Motto «Leben und leben lassen». Die Schweizer sind so fremdenfreundlich, dass sie die Schweiz eher überfremden lassen, anstatt die Fremden einzuschweizern.
Die Risiken sind offensichtlich: Der Stille läuft Gefahr, vom Lauten überrollt, herumkommandiert zu werden. Und noch etwas kommt hinzu: Der Schweiz geht es gut. Zu gut. Wir leisten uns Frauenquoten und Flüchtlinge, die keine sind. Noch reicht das Geld, um den meisten Konflikten auszuweichen. Man zahlt, um seine Ruhe zu haben.
Dass die EU diesen schweizerischen Hang zur Streitvermeidung ausnützt, ist offensichtlich. Der Bundesrat hat nicht die Kraft, von sich aus Gegenwehr zu geben. Am Schluss müssen es auch diesmal wieder in der Schweiz die Bürger richten.“ (Roger Köppel in Weltwoche, Ausgabe 28 vom 11. Juli 2018)

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