Ein Votum für Sachpolitik statt Schaumschlägerei
Ihre Plakate dominierten Bahnhöfe und ganze Strassenzüge, ihre Wortmeldungen waren wie immer laut und drohend („Geheimplan“ für den Ausverkauf Schweiz an die EU), ihre Zeitungsinserate gross, grell, und grob. Doch am Sonntagabend muss die SVP sich eingestehen, dass mit Geld allein nicht alles zu machen ist. Die Millionen, die sie in die Hand genommen hat, zeitigten jedenfalls nicht das Rendement, das sie sich versprach. Vor einigen Monaten lautete ihr Kampfziel: 30 Prozent Wähleranteil. Dann schraubte man die Erwartung auf „Halten des Bestandes“ (28,9 Prozent) herunter. Nun liegen die Hochrechnungen bei 26,8 Prozent und zeigen einen Verlust von 7 Sitzen an (bisher 62).
Die Blocher-Partei, während Jahren von Erfolg zu Erfolg eilend, ist also markant gestoppt worden. Das hat seine Gründe. Immer mehr Schweizerinnen und Schweizern wird offenbar bewusst, dass ihre kompromisslosen Forderungen, ihre emotional aufwühlenden Initiativen (z.B. Minarettverbot) und ihre so völlig unschweizerischen Absolutheitsansprüche das Land kein Jota vorwärtsbringen ist.
Am andern Pol, bei Links-Grün, gibt es ebenfalls keinen Grund zum Jubeln. Die Grünen machten einen regelrechten Taucher. Die Hochkonjunktur, in der sie sich nach der Atomkatastrophe in Japan und der sogleich einsetzenden Ausstiegsdiskussion in der Schweiz wähnten, hat sich überraschend schnell verflüchtigt. Die SP, zweitstärkste Partei hinter der SVP, ist gewissermassen mit einem blauen Auge davon gekommen. Ihr Wahlziel von 23 Prozent hat sie allerdings weit verfehlt, sie bleibt bei einem Wähleranteil von rund 19 Prozent sitzen. Das ist wohl eine Quittung für ihr neues, an alten Dogmen orientierte Parteiprogramm (Abschaffung der Armee, Überwindung des Kapitalismus, EU-Beitritt), aber auch dafür, dass sie in der zu Ende gehenden Legislaturperiode ähnlich wie die SVP ausserordentlich stur auf ihren Positionen beharrte und Arm in Arm mit ihrer ideologischen Gegnerin manche Vorlage (z.B. 11. AHV-Revision) zu Fall brachte.
Perestroika in der Mitte
Interessant an diesen Wahlen aber ist, was sich in der Mitte abspielt. Hier findet eine eigentliche Perestroika statt, ein Umbau. Betrachtet man den Freisinn, die traditionsreichste Partei des Landes, so fällt einem – man darf es fast nicht sagen – das ein, was Ende der 1980er Jahre Generalsekretär Gorbatschow mit Blick auf die DDR gesagt haben soll: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Zu lange haben die Freisinnigen sich für den Finanzplatz und die Banken verkrümmt und verbogen, haben deren Interessen durch Dick und Dünn auch noch vertreten, als breitesten Schichten das, was sich auf eben diesen Finanzplätzen abspielte, immer unheimlicher wurde. Sodass sich auch Leute, die der Partei an sich gewogen wären, zu fragen begannen: Wo bleibt da die Vernunft, der liberale, der freie Sinn? Ähnlich unzeitgemäss verhielt sich die Partei, die vor einem halben Jahrhundert noch mehr als eine Lanze für den Natur- und Landschaftsschutz (z.B. Rheinau-Initiative) brach, auf dem Feld des modernen Umweltschutzes. Ihre eigene Bundesrätin, Elisabeth Kopp, liess sie oft ins Leere laufen, und bei der jüngsten Atomausstiegsdebatte präsentierte sie sich derart konfus, dass am Schluss niemand mit Gewissheit sagen konnte, was die Partei eigentlich will.
So verwundert es niemanden, dass – neben der BDP – nun vor allem die Grünliberalen ihr das Wasser abgraben. Konkurrenz ist gut, sagt die FDP – und man muss ihr beipflichten: Je markanter sich die junge GLP positioniert, desto mehr wird die altliberale Schwester ihre eigenen Positionen und Strategien überdenken müssen.
Der Ständerat wird kein Stammtisch
Zu Beginn des Wahlkampfs erklärten die SVP-Chefs, das Stöckli – diese „Dunkelkammer“ – müsse umgekrempelt werden. Im Sinne des einstigen Kinderspiels „Der Kaiser schickt Soldaten aus und schickt sich selbst“ warfen sie sich höchstpersönlich in den Wahlkampf: Blocher, Baader, Brunner, Freysinger, Giezendanner usw. Der Erfolg blieb aus, die meisten müssen in einen zweiten Wahlgang mit grösstenteils ziemlich geringen Erfolgschancen. Caspar Baader, den die SVP im Dezember gerne in den Bundesrat schicken möchte, ist ganz aus dem Spiel. Das Baselbieter Volk vertraute den Sitz dem bisherigen SP-Mann an.
Mit diesen Entscheiden haben die Wählerinnen und Wähler ein deutliches Zeichen gesetzt: Der Ständerat soll das bleiben, was er ist – eine Kammer, in der meist auf hohem Niveau debattiert, dem andern zugehört und nach vernünftigen Kompromissen gesucht wird. Als Gegengewicht zum Nationalrat, dessen Ratsdebatten Emotionalität, Eigenprofilierung und stures Parteidenken prägen, ist diese vielleicht etwas „ruhige“ kleine Kammer unentbehrlich. Was es sicher nicht braucht, sind z w e i Stammtische unter der Bundeskuppel.
Das Volk will einen andern Stil
Ein Einzelresultat untermauert diese These deutlich. Im grossen und ziemlich konservativen Kanton Aargau hat die junge SP-Frau Pascal Bruderer auf Anhieb einen Ständeratssitz gewonnen, während die bisherige FDP-Vertreterin sowie der laute und ausserordentlich umtriebige Ulrich Giezendanner in eine zweite Runde steigen müssen – letzter in einer nicht sehr komfortablen Position. Dieses erstaunliche Resultat zeigt, dass heute wieder eine andere Art des Politisierens gefragt ist: Die Menschen in diesem Land lehnen harte Debatten nicht ab, aber sie wollen, dass nicht nur debattiert, sondern nach der Debatte ein tragfähiger Kompromiss auf dem Tisch liegt. Zu dem man dann auch steht. Wohl schliessen Kompromisse grosse Würfe aus, und sie haben stets auch einen gewissen Beigeschmack. Und doch sind sie es, die die Schweiz zu dem gemacht haben, was sie ist.
Die Wahlresultate vom Wochenende müssten namentlich den Parteien an den Polen, der SVP und dem linksgrünen Lager, diese schlichte Wahrheit in Erinnerung rufen. Denn alle wissen, dass schwierige Traktanden anstehen: das Verhältnis der Schweiz zur EU, die Sicherung der Sozialwerke, der Ausstieg aus der Atomenergie, die Neuorganisierung des Finanzplatzes usw. Mit einer „Kopf-durch-die-Wand-Politik“ wird bei keinem dieser Themen etwas zu erreichen sein.
Ich gehe mit vielem in diesem Kommentar einig. Ich glaube, der Wahlausgang, mit seinen Tendenzen, aber auch mit den überraschenden Zwischentönen zeigt, dass immer mehr Menschen in der Schweiz ohne ideologische Scheuklappen herumlaufen. Es liegt weniger an der Attrakivtität des BDP- oder GLP-Programms, sondern daran, dass viele eigentlich apolitische, zwar weltoffene aber durchaus bodenständige Stimmbürgern an die Urne gefunden haben, die dann Köpfe suchen, in denen sie sich gespiegelt sehen und die für Neues und Pragmatisches einstehen. Find ich gut.
BDP und Grünliberale als neue junge und frische Mitte zu bezeichnen, finde ich nun doch etwas gar übertrieben. die Grünliberalen werden sich eher als grüne FDP entpuppen (haben sie ja schon) und die BDP ist eine Abspaltung von der SVP, also alles andere als Mitte.
In Zeiten immenser zukünftiger Bedrohungen ist Vernunft angesagt und die Vernunft hat gesiegt. Es wäre "die" Chance für die Mitte wenn sie die Hand am Ofen behalten würde um die wechselnden Temperaturen des Volksempfindens richtig zu interpretieren. Die Wahl zeigt ein klares Statement zur sozialen Marktwirtschaft aber mit Einflussnahme des Volkswillens. Für die FDP heisst das ..... jetzt Farbe bekennen. d.h schnelle, eindeutige und unverwechselbare Aussagen zu anstehenden Sachthemen. Einige andere Parteien sind da vorbildlich und machen das schon längere Zeit richtig.