Es ist Zeit, dass die SVP schweizerisch wird

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Es ist Zeit, dass die SVP schweizerisch wird

Von Jürg Schoch, 22.10.2015

Im Parteinamen der Wahlsiegerin steht „schweizerisch“ an erster Stelle. Leider entspricht die Etikette nicht der Wirklichkeit.

Die Schweizerische Volkspartei nimmt für sich in Anspruch, in ihren Reihen die wahren, die richtigen Schweizerinnen und Schweizer zu versammeln. Sie versteht sich als Garantin echten Schweizertums (was immer das ist), sie zelebriert ununterbrochen das „Erfolgsmodell Schweiz“ und tut so, als sei sie die verlässlichste Hüterin der Faktoren -Freiheit, Unabhängigkeit, Neutralität -, die dieses Modell so erfolgreich werden liessen.

Gemeinsamen Herzens

Auffällig oft legt sie auch ein Bekenntnis ab zur Konkordanz. In einer Welt, die aus den Fugen zu geraten droht, ist Konkordanz nicht nur ein vernünftiges, sondern auch sehnsuchtsbehaftetes Prinzip, drückt es doch das Bedürfnis nach Friedfertigkeit aus. Schliesslich ist die Konkordanz nah verwandt mit der guten alten Concordia - ein Wort, in dem mitten drin der lateinische Ausdruck für Herz (cor) steckt und das nichts anderes meint, als “gemeinsamen Herzens“ sich einer Sache anzunehmen. Wer schmückt nicht alles seinen Namen mit der Concordia. Krankenkassen und Berghütten, Sportvereine und Restaurants, Studentenverbindungen, Freimaurerlogen und Gewerkschaften heissen so.

Das Betriebssystem namens Kompromiss

Selbstverständlich ist Konkordanz nicht identisch mit Concordia und sie löst allein auch noch kein Problem. Dazu braucht es eine Art Betriebssystem. In der Schweiz hat sich diesbezüglich der Kompromiss etabliert, wozu es allerdings eines langen und oft schmerzhaften Prozesses bedurfte. Erst im Gefolge des Generalstreiks von 1918, der das Land tüchtig durchschüttelte, fand sich der alles beherrschende Bürgerblock zu Kompromissen in der Machtverteilung bereit, und knapp 20 Jahre später fochten in der Arbeitswelt die Sozialpartner harte Kämpfe aus, bevor sie sich auf das Friedensabkommen einigen konnten.

Natürlich soll man die Vergangenheit nicht glorifizieren. Damals flogen die Fetzen - und wie! Aber der Streit hatte ein Resultat. Die erwähnten Wendepunkte waren in gewisser Weise Gross-Kompromisse, denen nach dem Krieg, als es wirtschaftlich aufwärts ging und die „Verteilmasse“ anstieg, hunderte von kleineren folgten. So wurde dieses Prinzip allmählich zum Markenzeichen der Schweizer Politik. Zwar schnödete man darüber, viele fanden solche Konsensfindung langweilig, das Ausland belächelte sie. Doch ist nicht zu leugnen, dass das Land gut damit gefahren und der Kompromiss zu einem wesentlichen Faktor des viel gepriesenen Erfolgsmodells geworden ist.

Die Verabsolutierung

In der jüngeren Vergangenheit flogen ebenfalls die Fetzen. Resultat: Blockade. Das lag daran, dass sich die Bereitschaft zu Kompromissen verflüchtigte. Insbesondere die SVP schwang sich wiederholt in geradezu bonapartistischer Manier aufs hohe Ross und deklarierte: Was wir sagen, ist das einzig Richtige. Entweder wird es so gemacht, oder wir sind dagegen. Sie verabsolutierte ihre Positionen, ihre Forderungen nahmen immer häufiger ultimativen Charakter an, und weil die andern sich nicht immer brav duckten, entwickelte sie sich zur sturen Neinsager-Partei, die - nicht selten im Verbund mit der Linken, die vom Dogmatiker-Virus auch nicht ganz verschont blieb - Vorlage um Vorlage bodigte.

Wenn der Kompromiss das typische Merkmal schweizerischer Lösungsfindung ist, dann hat sich die SVP in den vergangenen Jahren zutiefst unschweizerisch verhalten. Es ist höchste Zeit, dass die Partei wieder zur Vernunft zurückkehrt. Gerade jetzt, wo sie so stark wie nie zuvor geworden ist. Zwar beteuern die SVP-Häupter seit dem Wahlsieg, man wolle Verantwortung übernehmen. Das aber schliesst auch ein, dass man sich kooperativ zeigt. Die politische Landschaft der Schweiz ist zu vielfältig, als dass eine Partei allein ihr den Stempel aufdrücken könnte, auch wenn diese Partei mit fast 30 Prozent Wähleranteil die meisten Pfunde in die Waagschale wirft. 70 Prozent der aktiven Stimmbürger lehnen sie immerhin ab.

Blick auf die Bundesratswahl

Daher wird entscheidend sein, dass die Vereinigte Bundesversammlung, wenn sie im Dezember zur Neuwahl der Bundesräte zusammentritt, der SVP und ihren Kandidaten ihrerseits den Tarif durchgibt: entweder loyale Kooperation oder Status quo.

"...auch wenn diese Partei mit fast 30 Prozent Wähleranteil die meisten Pfunde in die Waagschale wirft. 70 Prozent der aktiven Stimmbürger lehnen sie (die SVP, Anm.d.V.) immerhin ab."

Diese Aussage ist nicht ganz korrekt, nur richtiggehend polarisierend nach dem Motto: wer nicht für mich ist, ist gegen mich.

Ich kenne viele (mich inklusive), die nicht SVP wählen. Ganz einfach, weil sie eine andere Partei bevorzugen, aber durchaus auch Sympathien für die SVP hegen.
Es stimmt also nicht, dass 70% der Wähler die SVP ablehnen.

Leider sind Kompromisse mit einer EU, die immer wieder ihre Kompromisslosigkeit darlegt, kaum möglich.

In Europa ist die Wahl für einen Staat heute:
1 Mitglied der EU
2 Satellit Russlands
3 Satellit der USA.
Die Wahl der rechtsradikalen populistischen Parteien ist 3.
Man kann das auch subtiler formulieren, muss es aber nicht.
MfG
Werner T. Meyer

Was war das, Herr Schoch? Eine billige Provokation, Wunden lecken, Frustration etwa?
Wie Sie anfangs richtig erkennen lebt die Konkordanz vom Kompromiss. So gesehen lebt die Schweiz vom Kompromiss, und zwar äusserst erfolgreich und gut.
Bei allem Respekt für Ihren kleinen Geschichtsausflug; aber danach alles zu verteufeln, was nicht in Ihr Weltbild passt, ist relativ tiefe journalistische Schulblade und bedient exakt die Klientel, welche Sie offenbar als Haupt-Anhängerschaft rechter Parteien orten. Dass 70 Prozent der Schweizer Wählerschaft die SVP ablehnen würde, entspricht wohl Ihrem philosophischen Sinn für Mathematik.

Das "Erfolgsmodell Schweiz" hat seinen Ursprung im toleranten Umgang mit Andersdenkenden. Geschichtlich betrachtet ist die Schweiz seit ihrem Bestehen gezwungen, sich kompromissbereit und konsensfähig zu verhalten. Und immer dann, wenn vorherrschende Parteien zu grosszügig mit der Verantwortung umzugehen drohten, schritt der Souverän als Korrektiv ein. So auch jetzt.

Was Sie als Blockade empfinden, ist objektiv betrachtet nichts weiter als ein Moment des Innehaltens, der Standortbestimmung und der Reflexion. Das alles braucht seine Zeit. Deutschland zeigt uns exakt, wohin die Reise geht, wenn man unüberlegte Hüftschüsse produziert. Frau Merkel geht aber langsam die Munition aus und die Bürgerinnen und Bürger reiben sich die Augen.

Sie schreiben von einer Welt, welche aus den Fugen gerät. Nun, dann lebe ich wohl in einer ganz anderen. Was wir weltweit erleben ist bestenfalls der ganz normale Wahnsinn. Journalistisches Dramatisieren mag der Auflage dienlich sein; die Wahrheit widerspiegelt es aber nicht. Sehen Sie, ich bin etwa jeden dritten Tag auf einem anderen Kontinent und spreche mit verschiedensten Menschen. Es stellt sich immer wieder heraus, dass es die latente Angstverbreitung der Presse ist, welche den Leuten den Tag vermiest. Die Schweiz hat hier eine Führungsrolle. Von der Gratis-Tagespresse bis zum nationalen Farbfernsehen vernehmen wir ausschliesslich negative Meldungen; und zwar im "Marietta Slomka-Depressiv-Ton". Auch Ihr Pamphlet reiht sich hier nahtlos ein. An Gehalt meines Erachtens eher dürftig, dafür mit einer übergrossen Portion Emotion belastet. Dafür mögen Sie in Ihren Kreisen beklatscht werden, inhaltlich hat es m.M. wenig konsensfähigen Wert. Wenn Sie nun tatsächlich glauben, damit die SVP "zurück zur Vernunft" zu bringen, sind Sie auf dem Holzweg. Freundliche Grüsse aus der Auslandschweiz.

Sehr gut gesagt, Renato Stiefenhofer!

Danke Herr Schoch für den guten Artikel. Die SVP wird aber nicht diesen Weg des Kompromisses einschlagen. Was schlecht ist für die Schweiz, ist gut für die SVP. Der SVP ist ihre Macht wichtiger, wie das Wohlergehen der Schweiz. Dies wird sich weiter akzentuieren. Das ist ein ausgeklügeltes Marketing der SVP. Die SVP strebt die Mehrheit an, ohne FDP. Ich gehe davon aus, dass der SVP dies auch gelingen wird.

Herr Schoch spricht mir aus dem Herzen: dieses Einteilen in eine richtige, sprich SVP-Schweiz und Landesverräter ist nicht nur langweilig sondern auch beleidigend. Das Heruntermachen und Lächerlichmachen von politischen Gegnern durch das Führungspersonal der SVP und ihrem Organ der Weltwoche ist absolut unschweizerisch und wurde durch die Exponenten dieses Vereins initiiert. Mit den Gschpänlis von FDP, der Liga und einigen Rechtsaussen von der CVP können sie in den nächsten 4 Jahren zeigen, was konstruktive und zielführende politische Arbeit ist. Der zu lösenden Probleme gibt es ja einige...!
Bin sehr gespannt, was diese Damen und Herren liefern werden. In 4 Jahren wird das Resultat dann entsprechend gewürdigt.

Na ja Herr Schoch: so viel kann die SVP nicht falsch gemacht haben. Sonst stünde ja sie nicht dort wo sie heute tatsächlich ist.
Sie schreiben von Regierungsverantwortung, gut. Wo war denn diese beim aktuellen Bundesrat als es darum ging die schweizerischen Interessen im Ausland durchzusetzten? Der devote Kotau scheint eher die Disziplin des Herzens unserer Magistraten zu sein. Nur ja kein Geschirr zerschlagen.
So lässt sich keine Achtung in harten Verhandlungen gewinnen. Und man wird nie ein Partner auf Augenhöhe.
So gibts dann Küsschen auf die Backe vor versammelter Presse u ein paar freundliche Worte.
Gleichwertige Partnerschaft sieht anders aus.

Der m.E. treffende Artikel blendet den Unterschied zwischen Kompromiss und Konsens aus. Per Definition bedeutet der Konsens ja die übereinstimmende Meinung von Personen zu einer bestimmten Frage ohne verdeckten oder offenen Widerspruch. Ein Kompromiss hingegen ist die Lösung eines Konfliktes durch gegenseitige freiwillige Übereinkunft, unter beiderseitigem Verzicht auf Teile der jeweils gestellten Forderungen. Diese Unterlassung der Unterscheidung erfolgt wohl bewusst? Warum, denn sie ist m.e. gerade in der politischen Entscheidungsfindung eminent wichtig!

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