Gerechtigkeit für Europa
Kein Buch für Schnellleser, welche ihre festgefassten Meinungen, seien diese pro- oder anti-EU, bestätigt sehen wollen. Nichts weniger liegt vor als eine gründliche wissenschaftliche Untersuchung der unabsehbaren Literatur über vermeintliche und wirkliche Missstände in „Brüssel“, deren Ursprung und der Vorschläge zu deren Beseitigung.
Missmut
Das in der Hauptsache im Laufe des Jahres 2016, also vor der von Präsident Macron ausgelösten letzten Zeitenwende im europapolitischen Diskurs entstandene Werk beginnt mit der Aufzählung der wichtigsten monierten Missstände. Der Autor zeigt interessante Aspekte auf, wann, wie und warum wegweisende Entscheide in der Geschichte der EGKS (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl), dann EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) und heute EU getroffen worden sind.
Aus den Ursprüngen frappieren etwa die radikal unterschiedlichen Sichtweisen der zwei grossen Franzosen Charles de Gaulle und Jean Monnet. Der überragende Politiker einerseits, für dessen tief im 19. Jahrhundert verwurzeltes Staatsdenken auch die geringste Souveränitätsübertragung des Nationalstaates undenkbar war. Auf der anderen Seite der Spirituosenhändler aus Cognac, der als Symbol eines von Kriegsgräueln traumatisierten Kontinents nur gesamteuropäisches Vorgehen gegen nationalistische Verblendung für möglich hielt.
Leicht lächeln muss auch der nicht voreingenommene Beobachter beim Vergleich, wessen Sichtweise sich mit Blick auf „Brüssel“ heute durchgesetzt hat. Nicht jene des im Platz-und Strassenbild von ganz Frankreich unübersehbaren Generals, sondern jene von Monnet, der lediglich mit einem kleinen – aber wunderschönen und sehr sehenswerten – Museum in seinem Wohnhaus in den Paris-nahen Yvelines geehrt wird.
Demokratiedefizit
Aus den erwähnten „Missständen“ hebt Kreis das „Demokratiedefizit“ speziell hervor. Die sehr breite Aufzählung aller mit europäischer Einigung befassten Abstimmungen seit Beginn nimmt bei weitem den grössten Platz ein. Dies sowohl jener Abstimmungen in rein repräsentativen Demokratien, also mit nationalen und regionalen Parlamenten, als auch bei nationalen Plebisziten, welche teilweise verfassungsrechtlich zwingend, in ihrer Mehrheit aber arbiträr angesetzt wurden und werden.
In bester wissenschaftlicher Manier geht der Autor dabei aufzählend und nicht wertend vor. Bei der Besprechung des britischen Brexit-Entscheids etwa hätte man sich sonst die Erwähnung der rechtsnationalistischen Medien von Rupert Murdoch vorstellen können. Ohne Skynews und „The Sun“ sowie deren politischen Mitläufern wäre die Abstimmung wohl umgekehrt ausgegangen.
Bemerkenswert eine Folgerung im Buch mit ausführlich belegten Quellen: Die Tatsache nämlich, dass auch und gerade bei europäischen Abstimmungen und Wahlen ein guter Teil von Neinsagern der eigenen nationalen Regierung eins auswischen will. Europa und die EU sind also oft eine Art negative Echowand, auf die viele Politiker, auch in der Schweiz, ja oft Bürgerkritik ablenken.
Politische Union
Seine Ausführungen zum Kapitel „Das Ausbleiben der politischen Union“ beginnt Kreis mit der lapidaren, aber heute oft vergessenen Feststellung, dass die europäische Einigung von Beginn weg als ein nach oben offener Prozess gesehen worden ist. Gesehen werden musste, weil nationalistische Vorbehalte „Brüssel“ seit jeher begleiten. Das 2-Kreismodell wird besprochen und die Grundsatzfrage gestellt, ob die Privilegierung der Wirtschaft als Vorläuferin des politischen Einigungsprozesses gerechtfertigt war und bleibt (Euroraum!).
Zentral sicher die Feststellung hier, dass mehr Demokratie zwingend auch mehr Europa nach sich ziehen muss. Wie das? Bei Grundsatzentscheiden gilt immer noch das Einstimmigkeitsprinzip aller EU-Mitglieder. Wenn damit ein nationales Parlament und/oder nationales Stimmvolk ein von allen anderen Europäern gutgeheissenes Projekt zu Fall bringen können, ist das aus europäischer Sicht alles andere als demokratisch.
Noch ausgeprägter erschient dies, wenn ein regionales Parlament eine gesamteuropäische Vorlage torpediert, wie das vor kurzem das wallonische Parlament androhte und Wallonien prompt mit einer Sonderbehandlung bedient werden musste. Im Namen von Bürgernähe verkommt so Demokratie zu Selbstbedienung für Sonderinteressen für Gruppen, welche keineswegs bereit sind, auf das übrige gemeinschaftliche Manna zu verzichten. Ein auch innerhalb von Bundesstaaten nicht unbekanntes Phänomen ...
Neuanfang?
Auch hier geht der Autor gründlich vor, indem er die wichtigsten Neuerscheinungen, primär aus Deutschland, und Ideen zur EU-Reform bespricht und einen Teil davon als populistische Polemik (Hans Magnus Enzensberger) oder realitätsfremde Utopie (Ulrike Guérot) entlarvt.
Ganz zum Schluss steigt Kreis vom Hochsitz akademischer Distanz ins Spannungsfeld des aktuellen Europadiskurses herab. Er nimmt Partei für den „grossen Schritt“ in ein Kerneuropa, das sich zu den „Vereinigten Staaten von Europa“ entwickelt und mit der Parallelstruktur einer „Kontinentalen Partnerschaft“ mit nicht voll einigungswilligen europäischen Ländern exklusiv enge Beziehungen unterhält. Da mag man zustimmen oder nicht, unbestreitbar aber liegt nun ein schweizerisches Werk vor, mit dem sich in der Schweiz und darüber hinaus unqualifizierte EU-Kritik als intellektuelle Unredlichkeit entlarven lässt.
Ich glaube; "verfassungsrechtlich zwingend, in ihrer Mehrheit aber arbiträr (Anm. willkürlich) angesetzt", und dass das ganze Volk nicht zu allem gefragt wird und abstimmen kann, sind der springende Punkt, dass Europäische Union, ausser für das Wachstum der Konzerne. nie wirklich funktionieren wird. Man bedenke bloss die Jugend- und Akademiker-Arbeitslosigkeit in den südlichen Ländern, und die Verschuldungen, einhergehend mir der Umwelt- und Artenvernichtung. Auch die euopäische Menschheit ist gescheitert. Und einer kleinen weissen Elite gehört alles.
Die Schweiz im Kleinen, Europa als Ziel, Regionalität als vorläufiger Kompromiss
Professor Georg Kreis legt rechtzeitig vor einem "Reset" oder Neubeginn der Regelung unserer europäischen Beziehungen des Bundesrates in der causa Europa ein Buch vor, das möglicherweise für alle Beteiligten inklusive die Schweiz bahnbrechend für eine europäisch-nationale Zukunft sein kann. So wie das Urbild der Confoederatio ein Vorbild des heutigen Europas war und eigentlich auch weiter ist, darf der "Dörfligeist", der auch in der Schweiz oft mehr Hindernis für die Demokratie als Förderer derselben darstellt, nicht vernachlässigt werden. Europa kann nur existieren, wenn wie im CH-Bundesstaat alle Ebenen, Gemeinde, Regionen und Kantone zusammen arbeiten und sich gegenseitig ergänzen. Dabei darf auch die grenzüberschreitende Regionalität nicht vernachlässigt werden: Die Regio Basiliensis mit der Nordschweiz, Elsass und Baden-Württemberg hat mehr Gemeinsamkeiten als das etwa das Wallis und Zürich. Grenzen wie auch in der Romandie zu Savoyen, vom Tessin zu Oberitalien werden schon lange kaum mehr beachtet. Auch innerhalb der europäischen Staaten herrscht grenzüberschreitende Regionalität vor.
Europa ist und war ein politisch auseinanderstrebendes Gebilde, das allein durch die gemeinsame Geschichte, die monotheistisch christliche Religion und die Demokratie Athens und die perfekte Verwaltung der römischen antiken Republik zusammenpasst. In einem solchen Gebilde hätte durchaus auch die Schweiz ihren Platz.
Ein vielfältig grandioses Europa, eines für unsere Jugend!
Mitten in einem kränkelnden Europa schlägt ein gesundes und direkt-demokratisches Herz. Zwar öfters im Abstossungsmodus durch Inkohärenz, dennoch bereit ein Gutes zu sein. Wendepunkt wäre angesagt! Einige Organe im sonst kräftigen Leib der EU bräuchten sorgfältige, auf sie abgestimmte Zukunftsvisionen der besonderen Art. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut! Die in der Welt entstehenden ja bereits entstandenen Blöcke könnten uns in Zukunft wirklich das Fürchten lernen! Sollten mehrere Einzelstaaten, zwar bedeutend jedoch egoistisch und allein zahnlos, zum reinen Konsumenten und Zulieferer der Welt werden, dann würde Europa als Macht bedeutungslos. Wir leben bereits seit längerem in einem mit harten Bandagen geführten Wirtschaftskrieg und wie wir letzthin sehen und hören konnten, wird er noch härter werden. Riesige Potentiale liegen in einem noch viel grösseren Europa vor uns und irgendwer sagt, dort darf man nicht! Wenn wir`s tun, will die EU auch und die ist zu nahe dran und hätten ersichtliche Vorteile. Zudem wäre eines unserer Lieblings-Feindbilder zerstört. Nun mein Wunsch; Europa sollte den eigenen Staaten mehr Zeit zur Anpassung lassen, langanhaltende Liebe entsteht manchmal auch aus kompromissbereiter Gewöhnung und Zuneigung! Gut so, indem man halt zeitlich begrenzte Abstriche macht, Sonderrechte zugesteht, es würde sich lohnen, hauptsächlich für die europäische Jugend und jene der Schweiz. … cathari