„Hallo“ geht gar nicht
Seit dem Überhandnehmen des E-Mail-Verkehrs als dominante schriftliche Kommunikationsform wird von manchen traditionsbewussten Geistern der Niedergang der guten alten Briefkultur bedauert. Zwar bedeutet ja der Siegeszug der elektronischen Post, die in Sekundenschnelle Botschaften in fernste Länder befördert, keineswegs, dass heutzutage weniger Schriftliches ausgetauscht wird, als in den Zeiten Goethes, Gottfried Kellers und Tolstois – ganz im Gegenteil.
Was bei diesem inflationären schriftlichen Verkehr mehr als in früheren Zeiten oft vernachlässigt oder bewusst ignoriert wird, sind einigermassen stilvolle Anrede- und Grussformeln. Natürlich gibt es dafür keine bindenden Regeln. Es geht hier um Fragen des Geschmacks und des Stilempfindens – und da befinden wir uns weitgehend im subjektiven Bereich.
So sind denn auch die hier angeführten Beispiele und Bemerkungen nur im Sinne solcher subjektiver Präferenzen des Schreibenden zu verstehen.
Die Anrede „Lieber Herr Schwarz“, „liebe Frau Müller“ oder „liebe Freunde“ ist meiner Meinung nach im E-Mail-Verkehr die problemloseste und kann für ein sehr breites Spektrum von Beziehungsverhältnissen verwendet werden. Selbst wenn man jemanden anspricht, den man nicht persönlich kennt, ist diese Form in den meisten Fällen korrekt. Sie dürfte jedenfalls von E-Mail-Empfängern selbst in einer Amtsstelle als sympathischer empfunden werden als das eher gestelzte und angestaubte „Sehr geehrter Herr Blum“ usw.
Kennt man den E-Mail-Empfänger besser und ist mit ihm per Du und häufig in Kontakt, kann unter Umständen das Adjektiv weggelassen werden und als Anrede nur der Name des Empfängers gesetzt werden. Also: „Max, hast Du schon vernommen…“
Wachsender Beliebtheit erfreut sich die Anrede „Guten Tag“, offenbar eine Art Ersatz für die steif-distanzierte Formel „Sehr geehrter…“. Mir gefällt diese Anrede nicht besonders. Sie hat einen verlegenen, anbiedernden Beigeschmack.
Keine gute E-Mail-Anrede ist ein kurzes, eher kaltschnäuziges „Hallo“. Auf einer Webseite, die sich „Knigge für e-mail-grussformeln“ nennt, habe ich dazu folgendes Verdikt gefunden: „Hallo“ geht gar nicht. Diese Anrede sei unpersönlich, fade und plump. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Kann man E-Mails auch ohne Anrede verschicken? Das scheint vor allem unter jüngeren Leuten häufiger verbreitet. Verboten ist das natürlich nicht, aber nach meinem Geschmack doch ein Stilfehler, selbst unter guten Bekannten.
Jetzt zur Grussformel. Populär und offenbar ansteckend ist das Kürzel „LG“ für „Liebe Grüsse“. Not my cup of tea. Ich empfinde es als zu mechanisch und unpersönlich. Besser und nicht viel aufwendiger: „Herzlich"; etwas distanzierter: „Mit freundlichem Gruss“, oder einfach „mit Gruss“, „Bis bald“.
Unter Freunden oder guten Bekannten kann auch gelegentlich eine fremdsprachige Wendung etwas Schwung und Farbe in eine E-Mail Botschaft bringen. Zum Beispiel „Saluti“, „Hasta la vista“, „So long“, „Cordially“, „Au revoir“, „Ciao" oder „Tschö".
Anrede und Gruß zu Beginn und Ende ist die eine Sache. Die Andere ist das bloße Schreiben auf dem normalen Textformular, an dessen Ende sich lediglich ein Adressenblock mit Kontaktdaten befindet. Diese Aufmachung drückt eine Form der Beliebigkeit, ja gar des Herabsetzens der eigenen Person aus. Was bisher in Form eines entsprechend gestalteten Briefpapieres üblich war, läßt sich nun leichter und günstiger mit einem schön gestalteten Textformular ausdrücken. Wer es nicht selbst kann, ein solches zu erstellen, der kann sich dies, für geringe Kosten, gestalten lassen. Und schon ist man weg von der ausdruckslosen Beliebigkeit. Man drückt damit auch eine Achtung vor dem Angeschriebenen aus. Von der Eindeutigkeit und, des sicherlich auch notwendigen Echtheitsnachweises des Absenders ganz zu schweigen. Irgendwelche stolperhaften Grußformeln erledigen sich damit von alleine. Nicht zuletzt ist auch im geschäftlichen Schriftverkehr am häufigsten die Variante des ausdrucks- und stillosen, lediglich mit Absenderblock am Ende ausgestatteten E-Mail-Formulares üblich. Ein Armutszeugnis, eine Blöße größerer Art, die man sich eigentlich nicht leisten kann oder sollte. Vor einiger Zeit führte ich im Betrieb ein entsprechendes Formular ein, das im Anhang einer Mail mitgesandt wird. Auf dem Normforular lediglich eine Anrede und der Hinweis auf das Schreiben im Anhang. Nach anfänglicher Skepsis wurde es allgemein als gut empfunden und akzeptiert. Das Anrede- und Grußproblem entfiel völlig...
Wären wir alle normiert, brauchte es die Floskeln gar nicht. Wer Floskeln ungewohnt nutzt, kommuniziert immerhin Eigenständigkeit, Ausdruckskraft (oder -defizit), und gibt dem Gegenüber bei Bedarf persönliche Metainformation .. wie das "Sent from my iPhone" .. das, (Schleichwerbung ausgeklammert), verwertbare Metainfo für die Scanner der Gratis-Mail-Konten ist. Vielleicht halten hier standardisierte Anreden Datenrauschen (und personalisierte Werbung/Info) im Zaum?
Aber die Formel "x geht gar nicht" ist doch noch stupider!
Aber Hallo Herr Meier
Ich bin echt kein Lieber und finde es äusserst primitive Anbiederung, wenn z.B. Werbemails mit "Lieber Herr ...." beginnen. Diese Formulierung ist m.E. strikt auf das private Umfeld begrenzt.
Zum Ausgleich kann ich es überhaupt nicht einsehen, warum ein "Hallo Herr XYZ" weniger gut sein sollte?
Mit vorzüglicher Hochachtung
R.Dummermuth
"Tschüss" ist für mich das schlimmste.
Mit Herr Meiers Kritik bin ich einverstanden. Mir fehlen aber konkrete bessere Anreden. Also bleibts bei den alten Floskeln.
Immer wenn mich jemand mit Hallo begrüsst, entgegne ich: Ich heisse Hugo, nicht Hallo. Auch den Schlussgruss: Tschau, tschüss, berlinerisch tschüssikowski, erwidere ich mit.; bhüet di Gott, leben Sie wohl, vale. Die so Bedachten hüten sich alle, mich mit der Standardformel Hallo, Tschüss, zu beehren. Ja, Sprachverluderung ist im Deutschen am meisten zu beobachten. Wir bewundern die Franzosen, die noch stolz auf ihre Sprache sind.
"Bhüet di Gott" ist ein so schöner Ausdruck! Man wagt es kaum mehr, ihn auszusprechen. Vor ein paar Jahrzehnten hat man mich in Andalusien jeweils mit "vaya von díos" verabschiedet.
Da gabs ja noch kein e-mail, wo man immer mit adäquaten Grussformeln ringt.
Warum nicht wieder einmal einen"Schreibebrief" mit Feder und Papier per Post? Automatisch nämlich stellen sich dann die richtigen, akkuraten Anreden und Grussformeln ein.