Hier liegt die Sozialistische Partei
Der legendäre Parteisitz, das grossbürgerliche Stadtpalais hinter schmiedeeisernen Gittern unweit des Pariser Orsay-Museums, das sich Frankreichs Sozialisten zugelegt hatten, als es ihnen noch besser ging, gleicht am Tag 2 nach der Präsidentschaftswahl wieder mal einer Festung.
Meute an der Beerdigung
Belagert von einer Hundertschaft von Journalisten und Dutzenden Kamerateams, wie schon so oft an Tagen, die für den PS historisch waren. Als man etwa auf weissen Rauch wartete, um zu wissen, wer neuer Parteichef geworden war. Oder um dem einen oder anderen grossen Wahlsieg beizuwohnen. Oder aber an Krisentagen, als sich die verschiedenen Exponenten der Partei hinter den dicken Mauern bis aufs Messer bekriegten und ihren Rosenkrieg führten.
Diesmal ist es, als sei die Meute zur Beerdigung des PS gekommen, um sich wie Raubvögel auf die letzten Überreste der Partei von Jean Jaurès, Leon Blum und François Mitterrand zu stürzen.
Die Arroganz von Manuel Valls
Manuel Valls, bis zum letzten Herbst noch sozialistischer Premierminister, hat seine eigene Partei im Radiointerview für tot erklärt und gleichzeitig angekündigt, er werde bei den Parlamentswahlen in seinem Wahlkreis südlich von Paris für Emmanuel Macrons Partei „La Republique en Marche“ kandidieren.
Dass Macrons Partei von Valls eigentlich nichts wissen will und für den Wahlkreis bereits eine Kandidatin nominiert hatte, schien den ehemaligen Regierungschef dabei mit seiner ihm eigenen Arroganz nicht weiter zu stören. Manuel Valls, der letzten Herbst noch glaubte, der beste Kandidat der Sozialisten für das Präsidentenamt zu sein und massgeblich daran beteiligt war, dass François Hollande auf eine neue Kandidatur verzichtet hatte, kämpft heute um sein eigenes politisches Überleben.
Der Verrat von Manuel Valls
Der grosse Fernsehsender TF 1 hatte am Tag nach der Präsidentschaftswahl einen schnell gestrickten Dokumentarfilm über Emmanuel Macrons Weg an die Macht ausgestrahlt. Macron, der Kandidat, den man letzten November noch als Brutus bezeichnet hatte, weil er mit der Ankündigung seiner eigenen Präsidentschaftskandidatur seinen politischen Ziehvater Hollande brüskiert hatte, sagt in diesem Dokumentarfilm, der wirkliche Verräter gegenüber François Hollande sei Valls gewesen. Valls habe den Präsidenten „abgeknallt“.
Eigentlich wollte die erweiterte Parteiführung der französischen Sozialisten in der Parteizentrale an diesem Tag nur eine Plattform verabschieden, auf der die 577 Kandidaten der Sozialistischen Partei in den Parlamentswahlkampf ziehen sollten. Aber sie musste sich nach Valls‘ Vorpreschen plötzlich wieder mal in Krisenmanagement üben.
Keiner will Benoît Hamon
Deutlich wurde dabei auch: Diese Partei, deren offizieller Kandidat bei der Präsidentschaftswahl im 1. Durchgang, Benoît Hamon, gerade noch 6,3% erzielt hatte (François Hollande erreichte 2012 28,3% ), ist nicht mal mehr in der Lage, mit einer einheitlichen Strategie in den kommenden Parlamentswahlkampf zu ziehen.
Ein Teil der Kandidaten wird sich ähnlich wie Valls verhalten und in enger Anbindung an Macrons Bewegung Wahlkampf machen. Ein anderer Teil – um den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Hamon – wird von Anfang an für eine Oppositionshaltung gegenüber dem neuen Staatspräsidenten eintreten. Andere wiederum werden dafür plädieren, Macron nur punktuell zu unterstützen.
Die grössten Optimisten meinen, der PS könnte ab diesem Sommer 80 von 577 Abgeordneten in der Pariser Nationalversammlung stellen. Skeptiker fürchten, es könnten nur noch 30 sein, was der absolute historische Tiefstand wäre. Sicher ist, dass Benoît Hamon, der Kandidat der PS, jetzt im 1. Durchgang bei den Präsidentschaftswahlen in keinem einzigen der 577 Wahlkreise für die Parlamentswahlen an erster Stelle gelandet ist – in keinem einzigen!
War dies nicht absehbar? Überall wo sich die Sozialdemokratischen oder Sozialistischen Parteien zum Neoliberalismus bekannten, verloren sie ihre Wähler an die extreme Linke und extreme Rechte.
Die Interessante Frage dabei ist, weshalb sich die Parteistrategen diesen nicht zu bewältigenden Spagat zwischen Sicherung der Sozialen Errungenschaften und den vom Neoliberalismus gepredigten Jeder gegen Jeder angetan hatten.
Und weshalb sich diese Parteien, nicht wieder vom Neoliberalismus verabschieden können, ohne dass zahlreiche Parteigrössen lieber ihre Partei zerstören als ihren Irrglauben zu zugestehen.
Z.B. in den USA mit Sanders oder in UK mit Corbyn, wo sich das Parteiestablishment mit allen ihren Möglichkeiten gegen ihre Parteibasis gestellt hatten.
Ja, ja, die Sozialisten. Allein, die Gewerkschaften sind nicht am Boden. Sie werden dem Macron schon noch den Tarif durchgeben, wie schon seit Jahrzehnten. Die französische Sklerose hat zwei Namen: Gewerkschaften und überdimensionierter Staatsapparat.
In dieser hektischen Zeit sind die häufigen Analysen von Frankreichs Umbruch einzigartig. Viele Details und gleichzeitig den Überblick wahrend machen das Lesen jedes Artikels von Hans Woller zu einem seltenen Vergnügen. Merci!