Im Irrgarten der «Rasse»-Terminologie

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Im Irrgarten der «Rasse»-Terminologie

Von Reinhard Meier, 23.06.2020

Grüne Politiker fordern, das Wort «Rasse» aus dem deutschen Grundgesetz zu streichen. Soll damit auch der Begriff «Rassist» aus dem Verkehr gezogen werden?

Im deutschen Grundgesetz, das nach der Naziherrschaft 1949 in Kraft gesetzt wurde, heisst es in Artikel drei, dass «niemand wegen seines Geschlechts, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden» darf.

Eine Scheindebatte?

Im Furor der in diesen Tagen aus den USA herüberschwappenden Rassismus-Debatte fordern nun Führungsfiguren der deutschen Grünen wie Robert Habeck, das Wort Rasse aus der Verfassung zu streichen. Dieser Begriff und das damit verbundene Konzept sei längst wissenschaftlich und gesellschaftlich diskreditiert. «Es gibt keine Rassen, es gibt Menschen.»

Die Forderung scheint in Deutschland auf einiges Verständnis zu stossen. Auch Vertreter der Linkspartei und der FDP äusserten Zustimmung. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der CSU-Innenminister Seehofer meinten, sie seien offen für eine Debatte über eine Streichung des Rasse-Begriffs aus der Verfassung. Dafür wären allerdings Zweidrittelmehrheiten des Bundestages und des Bundesrates (Länderkammer) notwendig.

Unumstritten ist das Änderungspostulat aber keineswegs. Manche kritischen Stimmen sprechen von reiner Symbolpolitik und von einer Scheindebatte. Unklar bleibt vorderhand auch, ob das Wort «Rasse» im Grundgesetz ersatzlos gestrichen oder eventuell durch das Wortpaar «ethnische Herkunft» ersetzt werden soll. Aber was genau der Unterschied zwischen «Rasse» und «Ethnie» sein soll, dürfte in der Öffentlichkeit auch nicht so leicht zu erklären sein.

Uno-Charta und Schweizer Bundesverfassung

Zwar ist in Frankreich unter Präsident Macron das Wort Rasse bereits 2018 aus der Verfassung eliminiert worden. Doch damit ist der Begriff bei weitem noch nicht dabei, wegen seines angeblich diskriminierenden Beigeschmacks aus dem Verkehr gezogen zu werden. In fast allen grossen humanrechtlichen Abkommen der Nachkriegszeit wie der Uno-Charta von 1950, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 oder der Europäischen Erklärung der Menschenrechte von 1950 ist das Wort «Rasse» weiterhin präsent. Das gilt auch für die revidierte Schweizer Bundesverfassung von 1999.

Ebenso ist der Rasse-Begriff in der sogenannten Rassismus-Strafnorm des schweizerischen Strafgesetzbuches enthalten. Dieses Gesetz wurde 1994 gegen ein Referendum von SVP-Seite durchgesetzt. Erst im Februar des laufenden Jahres ist das Gesetz durch einen Zusatz über die sexuelle Orientierung mit einer Mehrheit von 63 Prozent des Stimmvolkes erweitert worden. Von Kritik am darin enthaltenen Rassebegriff war damals von keiner Seite etwas zu hören.

Seltsamerweise erfährt man nicht, wie die Aktivisten, die das deutsche Grundgesetz vom angeblich veralteten und politisch unkorrekten Rasse-Wort säubern wollen, es mit dem hochemotionalen Begriff «Rassismus» halten. Soll dieses Kampf- und Anklage-Wort, das heute mehr denn je in aller Munde ist und in unzähligen Ländern Demonstranten auf die Strasse treibt, auch abgeschafft oder geächtet werden?

Race und Racism – zwei Schlüsselbegriffe

Das wäre eine weltfremde Vorstellung. «Race» und «Racism» sind vor allem in den USA seit Jahrzehnten Schlüsselwörter der öffentlichen Debatte. Bisher ist es dort noch niemandem in den Sinn gekommen, diese Wörter aus irgendwelchen Dokumenten oder dem Sprachgebrauch zu streichen, weil deren ursprüngliche Bedeutung wissenschaftlich fragwürdig ist. Jeder weiss, welche gesellschaftlichen Realitäten heute damit gemeint sind. Mit welchem Begriff soll man einen Rassisten aus Fleisch und Blut benennen, wenn das Wort Rasse auf den Index der politisch unkorrekten Vokabeln gesetzt oder tabuisiert wird?

Gewiss, Wandel im Sprachgebrauch gibt es immer. Wörter mit bewusst oder unbewusst herabsetzender Tendenz gegen bestimmte Minderheiten wie Neger oder Judenschule sind inzwischen weitgehend aus dem gängigen Wortgebrauch verschwunden. In der Schweiz schlägt jetzt dem alten Mohrenkopf das letzte Stündlein.

Doch das Wort Rasse und vor allem der davon abgeleitete Begriff Rassismus ist im aktuellen Diskurs kaum zu ersetzen. Man kann sich überhaupt nicht vorstellen, dass gerade die engagiertesten unter den Frontkämpfern des Antirassismus auf diesen Kampfbegriff verzichten würden.

Wahrscheinlich wäre es sinnvoll, in der überhitzten Auseinandersetzung um Rasse, Rassismus, richtiges Bewusstsein und Denkmalstürze sich weniger um abstrakte Pauschalbegriffe zu streiten und dafür vermehrt die differenzierten Wirklichkeiten im Problemfeld der ethnischen Minderheiten wahrzunehmen.

Wohltuende Gelassenheit

Eine wohltuend skeptische und gelassene Haltung zu diesem vielschichtigen Komplex äusserten unlängst die beiden afrodeutschen Schriftsteller Ijoma Mangold und Jackie Thomae in einem Gespräch in der «Zeit». Mangold, Feuilletonredaktor des Wochenblatts, erklärte, er selber habe kein Problem, wenn ihn jemand nach seiner Herkunft frage. Unangenehmer finde er es, dass man ihn neuerdings «im Tonfall der Erschütterung» einem Kollektiv zuordne, das man «die Betroffenen» nenne. Das gefalle ihm gar nicht, weil «die Betroffenen» eben kein kollektives Subjekt seien mit identischen Erfahrungen und Meinungen.

Und seine Gesprächspartnerin Tomae meint zur Frage nach diskriminierenden Erfahrungen als schwarze Bürgerin, sie wisse zwar, dass es das gebe, «aber in meinem Leben treffe ich meist auf ganz normale Leute». Ihr reiche es, dass man sich akzeptiert und anständig miteinander umgeht. «Und dann wäre auch diese Begriffshuberei nicht mehr nötig.»

Mit «Begriffshuberei» dürfte auch die übereifrige Aufgeregtheit um das R-Wort im deutschen Grundgesetz gemeint sein.

Von Sigmund Freud stammt der Satz: "Worte und Zauber waren ursprünglich ein und dasselbe. Auch heute besitzt das Wort eine starke magische Kraft."
Die überhitzte Debatte rund um das Wort "M..r" (ich getraue mich nicht, es hier niederzuschreiben) hat bei mir magischerweise Spuren hinterlassen. Noch vor wenigen Wochen konnte ich ohne irgend welche Hintergedanken in einem Wiener Kaffeehaus einen "kleinen Schwarzen" oder "grossen Braunen" bestellen ... jetzt zucke ich innerlich zusammen... obwohl beides nicht im Geringsten etwas mit einer Hautfarbe zu tun hat.
Erfreulich immerhin, dass die Wiener Firma Niemetz seit 1927 "Schwedenbomben" produziert und bis jetzt sich nicht gezwingen sah, sie in "Schokoküsse" umzutaufen. "Eine wohltuend skeptische und gelassene Haltung" erhoffe ich daher auch von den Schweden bezüglich dieser Bomben.
Erst wenn es keine Aufregung mehr um solche Wörter gibt ist die Diskriminierung von Menschen auf Grund ihrer Erscheinung tatsächlich überwunden. Dass die Abschaffung solcher Wörter diese Diskriminierung - trotz aller magischer Kraft der Worte - beendet kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Es gibt keine menschliche Rasse/Rassen. Der Mensch unterscheidet sich im Phänotyp. Nicht im Genotyp. Die Worte Rasse und Rassismus können daher gestrichen werden.

Sicher, das ist wissenschaftlich korrekt. Das sah auch bereits Linné so, 1750, und unterschied nur Hautfarben. Im normalen Sprachgebrauch -egal ob kolloquial oder nicht- also auch in einer "politischen" Nutzung des Wortes „Rasse“ bei Menschen, ist diese "Begriffshuberei" unvernünftig. (Das Wort ist viel schöner als ...klauberei" ... da bekommt man nicht genug davon). Es ist wie befehlen zu wollen, dass man z.B. auch Hunde nicht mehr nach "Rassen" aufteilen darf. Es gibt also keine Collies und Schnauzer mehr, alles ist nur noch "Hund". Und ... nur für Menschen eine Dualität zu schaffen bei solchen Sachen. Nützt das wirklich? ... Ähnlich wie die Gender Debatte ... anstatt bei Kollektiven ohne Genusunterscheidung alles mit *innen zu pflastern schafft man besser die Artikel ab ... dann ist alles "the" oder "a". War es nicht bereits ausreichend, dass alle Plurale „die“ sind. „der“ ist in der Häufigkeit bei der Sprachverwendung weit unterrepräsentiert. Sollten wir Männer uns nicht mal wehren und die Verfassung ändern? So lange noch über 2/3 Männer im Parlament sitzen? "der Schönheit" klingt viel besser, und "der Genugtuung" ... ach so, gibt's ja auch im Genitiv. ... sorry ... Linné hat auch nicht nach Mann und Frau unterschieden. Nur Hautfarbe. Oder gleich alle Genus-Sprachen verbieten ... Spaß beiseite. Also: feinste "Begriffshuberei" ... warum auch nicht. Obowohl streng humanistisch liberal denkend, sehe ich das ganze eher als typische Politiker-Posse. Die armen ... das Sommerloch kommt. Mal sehen wie großzügig Politiker und Wissenschaftler darüber hinwegvotieren: der Vernunft zuliebe. Ich hoffe nicht weniger als 25%. Man darf gespannt bleiben.

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