Im Namen Gottes
Im Wallis oder der katholischen Innerschweiz ist es gang und gäbe, dass bei der Einweihung eines neuen Schulhauses oder der Eröffnung eines Einkaufszentrums ein Priester den Segen spendet, bevor man zum Apéro übergeht. Deshalb ist es auch nicht weiter verwunderlich, wenn zur Eröffnung eines Jahrhundertbauwerks wie der Neat die Geistlichkeit aufgeboten wird, um das Werk der Obhut des Allmächtigen zu empfehlen. Dass man dabei der Ökumene im weitesten Sinn Rechnung trägt, versteht sich von selbst.
Und so wird denn an diesem 1. Juni 2016 nicht nur der Christ Martin Werlen, ehemals Abt des Klosters Einsiedeln, unter den Segnenden sein, sondern auch der Jude Marcel Ebel, Rabbiner der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich, sowie der Muslim Bekim Alimi, Imam der Moschee von Will und Präsident des Dachverbandes islamischer Gemeinden in der Schweiz. Die drei grossen abrahamitischen Religionsgemeinschaften also, das macht angesichts der religiösen Verhältnisse in der Schweiz durchaus Sinn.
Was aber ist davon zu halten, dass in der Person von Pieter Zeilstra, Vizedirektor des Bundesamts für Verkehr, ausdrücklich auch die Konfessionslosen an der Segnung beteiligt sind? Ökumene und interreligiöser Dialog, schön und gut. In wessen Namen aber soll einer den Segen spenden, der an keinen Gott mehr glaubt? In seinem eigenen? Im Namen einer Gemeinschaft, der er nicht mehr angehört?
Gewiss, der Anteil der Konfessionslosen liegt in der Schweiz mittlerweile bei über zwanzig Prozent – Tendenz steigend. Daraus den Anspruch abzuleiten, als gleichberechtigte Gruppierung an einer interreligiösen Segnungszeremonie teilzunehmen, halte ich jedoch für verfehlt. Auch Atheisten mögen ihre Glaubenszweifel haben; eine Religionsgemeinschaft sind sie deshalb noch lange nicht.
Ich finde es auch ziemlich absurd dass ein Atheist an diesen abergläubigen Hokuspokus teilgenommen hat.
Die individuellen Vorstellungen bei Katholiken und Reformierten sind wohl nicht unterschiedlicher als diejenigen bei konfessionslosen Gläubigen. Wenn also ein Katholik für alle Christen stehen kann, kann ein Konfessionsloser auch für all diejenigen stehen, welche durch die drei andern Segnenden nicht repräsentiert werden. Konfessionslos heisst ja nicht atheistisch. Es erstaunt mich, dass Sie das gleichsetzen. Gerade ein spirituell interessierter Mensch wird wohl mit den Darstellungen der Kirchen wenig anfangen können. Während Rituale wichtig sind, scheinen mir folkloristische Segnungen durch Institutionen, welche sich für die Entwicklung der Gesellschaft als nicht mehr produktiv erweisen und die weder das Verhältnis des Menschen zum Universum noch das Verhältnis des Materiellen zum Geistigen verständlich erläutern können, sehr entbehrlich.
Super, dieser Kommentar, ein Volltreffer, danke.
Ich meine wenn nebst Christen (2, 1 Milliarden) und Muslimen (1,5 Milliarden) schon ein Angehöriger einer nur 14 Millionen kleinen Religion (0,2 % der Weltbevölkerung, 14'000 in der Schweiz) ein Jude eingeladen ist, sollte ordnungshalber und wegen BV Art. 8: „Nieman darf diskriminiert werden...“ also auch mindesten ein Mitbürger der
900 Millionen Hindus
400 M traditionell chinesisch Religiösen
400 M Buddhisten
270 M Stammesreligionen Ausübende
300 M Nichtafrikanische indigene Religionen Praktizierende
100 M Angehörige traditioneller afrikanischer Religionen
110 M der Neuen Religiösen Bewegung
23 M Sikhs
15 M Spiritisten
eingeladen werden.
Und dass die Atheisten vertreten sind, hat schon auch seine Richtigkeit, weil diese folgen ihrer geheimen Religion Kapitalismus und dienen ihrem Gott Mammon, der lieben Kohle, die ja mit den gesamten Kosten der Neat Baudenkmäler ebenfalls biblisch sehr fruchtbar war und sich göttlich vermehrt hat. Seit den bewilligten 8 Milliarden CHF der eidgenössischen Volksabstimmung 1992, habe sich dieses himmlische Manna bis heute auf rund 24 Milliarden CHF verdreifach (wikipedia). CH Medien aber anslässlich der „goldenen Bahnschwelle: Das Budget wurde eingehalten“. Ein Wunder! Halleluja!
Was ich aber noch störender empfinde, ist der Umstand, dass kein protestantischer Pfarrer anwesend ist, denn immerhin sind über einen Viertel der Schweizer Bevölkerung Mitglieder der Evangelischen Landeskirche. Als Protestant fühle ich mich durch einen Katholiken nicht vertreten und dass die Protestanten bei den Feierlichkeiten dieses eidgenössischen Bauwerks sogar noch hinter den Juden, den Muslimen und gar den Konfessionslosen angesiedelt werden, ist der eigentliche Skandal dieser fragwürdigen Segnung!
Die Idee, bei der Weihung (falls diese überhaupt stattfinden muss) nur einen christlichen Vertreter zu Wort kommen zu lassen bezeugt, dass alle Getauften Eins sind. Dieses starke Zeichen der Ökumene wäre ein Meilenstein gewesen. Ob Martin Werlen oder auch Gottfried Locher hätte für mich als Katholik keine Rolle gespielt – wir müssen immer mehr miteinander glaubwürdig werden, sonst haben wir einen Glauben ohne Würde. Dass jetzt die Pfarrerin Simone Rauch aus dem Tessin dabei ist und den Wortteil übernimmt und Martin Werlen die zeremoniellen Handlungen ausführt, ist auch in Ordnung. Eine Machtdemonstration kann es jedenfalls nicht sein, denn die Christen werden weiterhin mit „einer Stimme“ vertreten sein.
Frau Klara Obermüller hat sich im „Journal 21“ (19.5.16) in diskriminierender Weise darüber geäussert, dass am Eröffnungsfest offiziell ein Atheist teilnehme. Diese Gruppe Menschen seien keine Religionsgemeinschaft und hätten folglich an diesem Anlass keine Teilnahmeberechtigung. Liebe Klara Obermüller. Gesinnung irgendwelcher Provenienz ist in unserer offenen Gesellschaft Privatsache. Daher scheint mir ihre Darstellung absolut unverständlich. Genau auf diesem Untergrund wachsen Besserwisserei, Hass, Verachtung und Vorurteile. Was uns weiterbringt, sind gegenseitige Anerkennung und Erkennen der Vorzüge der Vielfalt als Quelle der Kreativität, Bereicherung und Buntheit des teilweise grauen Alltags.
Was haben Religionen mit einem neu erstellten Tunnel gemeinsam?
Nach Abschluss von Bauarbeiten für Häuser, Strassen und anderen Bauwerken veranstalten die Bauherren überall auf der Welt Aufrichte- oder Eröffnungsfeste. Damit verleiht man der Freude Ausdruck, ein geplantes Werk erfolgreich abgeschlossen zu haben. Den am Bau Beteiligten wird damit der Dank für ihre Arbeit ausgedrückt. Zusammen mit Beteiligten, den durch die Objekte Betroffenen und der Gesellschaft aus der nahen Umgebung übergibt die Bauherrschaft bei dem Freudenfest das “befestete“ Objekt seiner Bestimmung. Dass sich bei grossen Bauten viele Menschen angesprochen fühlen, versteht sich von selbst. Entsprechend nehmen am Fest eben auch diverse Vereine, Gruppierungen und Organisationen teil, nebst den persönlich betroffenen Individuen. Wie im Leben üblich, gibt es auch an solchen Festivitäten Personen und Gruppierungen, die sich aus irgendwelchen Gründen vom Plebs abzuheben versuchen.
Nun wird auf den 1. Juni 2016 der Gotthardeisenbahntunnel mit einem Fest eröffnet. Fast jedermann ist dazu eingeladen, denn viele Fachkräfte beteiligten sich am Bau und viele Menschen sind von Wirkung und Nutzen betroffen. Verständlicherweise gibt diese Festivität erneut einen Anlass für alle Befürworter und Gegner, ihre gestauten Gedanken zu verbreiten. Was uns aber zum Nachdenken veranlassen muss, ist die Tatsache, dass ein Streit darüber entbrannt ist, welche religiösen und nicht religiösen Organisationen durch offizielle Vertreter am Fest teilnehmen dürfen. Weil es in der westlichen Welt noch einem verbreiteten Brauchtum entspricht, gibt es gewisse Kreise, die bei allen Gelegenheiten der Veränderung – Geburt, Tod, Neubau, Neuanschaffung, Katastrophe, usw. – eine rituelle “Weihung“ vornehmen wollen, um erdachten, höheren Mächten Ehre zu erweisen. Dass es in unserer heute mit verschiedenen Kulturen und Ethnien verwobenen Gesellschaft diverse Sicht-, Denk- und Handlungsweisen gibt, müsste jedermann bekannt sein. Keine dieser Facetten ist in unserer pluralistischen Gesellschaft für sich den anderen übergeordnet. Somit wird es an einem derartigen Anlass wie der Eröffnung vom 1. Juni 2016 unmöglich, den Geltungsansprüchen dieser Gruppierungen gerecht werden zu können. Im Mittelpunkt müssen also die am Bauwerk Mitarbeitenden, die Bauherren, die Betroffenen und die Gesellschaft aus dem Umfeld stehen. Sie bestimmen und gestalten den Anlass für sich; die zusätzlich Eingeladenen dürfen sich mit ihnen über das vollendete Werk in Festlaune freuen. Blieben darüber hinaus noch irgendwelche Bedürfnisse von Vereinen und Gruppierungen unbefriedigt, bleibt es diesen überlassen, eigene Rituale zu vollführen, soviel sie wollen. Jedoch bitte ausserhalb dieser Festlichkeiten.