Im Stich gelassen

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Im Stich gelassen

Von Heiner Hug, 21.06.2018

Man mag die italienische populistische Regierung verabscheuen. Dafür gibt es gute Gründe. Aber.

Italiens Innenminister Matteo Salvini zeigt immer wieder, dass er ein unappetitlicher Rassist sein kann. Da und dort schimmern bei ihm rechtsextreme Tendenzen durch. Seine Freundschaft mit Marine Le Pen, der AfD und Konsorten macht Angst. Dennoch: 59 Prozent der Italiener befürworten seine harte Politik. Tendenz steigend. Weshalb?

Sicher haben viele Italiener einfach genug von der korrupten, aufgeblasenen Politelite, die nur an sich selbst denkt. Deshalb befürworten viele einen radikalen Wechsel. Andere vermuten, das italienische Volk habe es im Blut, einen starken, frechen Emporkömmling zu bewundern. Das mag alles stimmen, teilweise.

Doch die Hauptschuld am Höhenflug der Populisten trägt zu einem grossen Teil auch Europa. Italien wurde und wird in der Flüchtlingsfrage alleingelassen. Das Land hat nun einmal das Pech, geografisch ein Vorposten Nordafrikas zu sein. Hier kommen all die Flüchtlinge an, die dann niemand will.

Die EU verurteilt, zu Recht, den Populismus in Italien, aber gleichzeitig fördert sie ihn, indem sie nichts tut. Man mag die populistische Regierung kritisieren, aber in einem hat sie recht: Die Flüchtlinge kommen nicht nach Italien, sie kommen nach Europa. Und wenn Salvini die „Aquarius“ mit 700 Migranten nicht landen lässt, ist das menschlich verabscheuenswürdig. Doch gleichzeitig ist es ein Schrei in der Not: Helft uns endlich! Wir können die Last nicht allein tragen! Doch die Aussichten, dass Italien geholfen wird, sind trübe.

Die letzten Tage haben gezeigt, dass es unrealistisch ist zu glauben, die EU würde sich auf eine wirksame, gemeinsame Flüchtlingspolitik einigen. Die Union besteht aus 27 oder 28 Staaten; es ist verständlich, dass jeder seine Eigeninteressen durchsetzen will – und dass keiner die Flüchtlinge will. Die Migrationswelle ist eines der grossen Probleme unserer Zeit. Es ist erstaunlich, wie konzeptlos Europa dieses Problem noch immer behandelt.

Italien wird wohl weiter im Stich gelassen, und die Popularität der Populisten wächst. Von europäischer Solidarität – keine Spur. Im Gegenteil: Der zunehmend irrlichternde deutsche Innenminister Seehofer hat gar vorschlagen, Migranten, die sich in Deutschland aufhalten, nach Italien zurückzuschicken.

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Es gibt keine Frage, dass Italien und Griechenland die Hauptlast der ankommenden Hilfesuchenden getragen hat und noch trägt. Europa sollte dankbar sein. In meinem gestrigen Leserbrief habe ich Italien kritisch betrachtet, da dieser Innenminister Mateo Salvini (irgendwie erinnert der Namen an salvar = retten ???) vor einigen Tagen geäußert hat, er wolle Sinti und Roma ebenfalls aus dem Land "herauskomplimentieren"… Wenn nun ein "aufrichtiger" italienischer Politiker auf die zweifelsohne schwierige Zuwanderungsfrage eine drastische Warnung an die Gemeinschaft, die sich Europa nennt, gesandt hätte, wäre meine Beurteilung anders ausgefallen. Wenn es sich jedoch um einen Politiker handelt, der nur auf eine Möglichkeit gewartet hat, populistische Vorteile hieraus zu ziehen und Minderheiten bedroht, dann bin ich angeekelt. Politiker, die sich bemühen, eine Lösung zu finden (die natürlich den mangelhaften Lösungswillen in der Vergangenheit einsehen müssen), diese Politiker werden von oberflächlichen Demagogen nieder geschwätzt. Ein Blick nach Amerika genügt, wo sogar offiziell von einer Republikanerin behauptet wird, dass der Präsident den jammernden Kindern widerstehen solle, da es sich hier um "child actors" handele… Einem ganzen Schiff Landung zu verwehren erinnert an die grausame Zurückweisung der drei Flüchtlingsschiffe von Haifa nach Hamburg in 1947 durch britische Protektoratsbeamte. Was folgte, sollte nicht in den Geschichtsbüchern versanden. Flüchtlingselend, hervorgerufen von Macht besessenen und verblendeten Narzissten. Gracias España für die Hilfe; gracias! Danke den Menschen, die sich bemühen. km
PS: In HR2Kultur-Doppelkopf (ebenfalls als Podcast erhältlich) habe ich vor ein paar Tagen Ihren Kollegen, Herrn Ali Sadrzadeh, zugehört. Ich war beeindruckt und (auch ein wenig stolz), mich auf Ihrer Plattform artikulieren zu dürfen.

Korrektur!
Sie entschuldigen, ich habe mich bezüglich der drei Flüchtlingsschiffe im Jahresdatum geirrt. Es handelte sich um die "Exodus", deren Flüchtlinge (jüdische Holocaust-Überlebende) 1947 in Haifa gewaltsam auf drei britische 'Gefangenenschiffe umgeladen', und von dort die Irrfahrt über Frankreich nach Hamburg ertragen mussten.
Ich danke Frau Gisela Blau für ihren erschütternden Bericht "Ozean aus Tränen".

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