Kuhhandel – na und?
„Kuhhandel“ ist in der Politik ein Schimpfwort. Aktuell gilt es der Verbindung von Unternehmenssteuer-Reform und AHV-Sanierung. Die Verquickung, so die Kritiker, sei nichts anderes als der Versuch, die Gegner des einen Geschäfts mit einem Entgegenkommen im anderen Dossier zu „kaufen“ – und das gewissermassen gegenseitig überkreuz. Schon für die Beschlussfassung im Parlament sei ein solcher Deal heikel. Er setze einen Mechanismus in Gang, bei dem nicht mehr allein die Abwägung zur einzelnen Sache, sondern primär politische Taktik ins Gewicht falle. Erst recht dubios sei der Kuhhandel aber im Blick auf ein mögliches Referendum. Eine Abstimmung über das so geschnürte Paket würde dem Volk eine unmögliche Entscheidung abverlangen und im Fall der Ablehnung keine klare politische Richtung für die Weiterbearbeitung anzeigen.
Die Einwände gegen den Konnex sind alle richtig. Aber die aus ihnen folgende Konsequenz – Verzicht auf die USR-AHV-Kombination beim jetzigen Stand der Dinge – ist es nicht. Vorausgegangen sind nämlich bei beiden Themenblöcken mehrere gescheiterte Reformversuche, die jeweils viele Jahre politischer Arbeit in Rauch aufgehen liessen. Beim USR-Komplex besteht mittlerweile dringender Handlungsbedarf. OECD und EU drängen die Schweiz, Steuerprivilegien für ausländische Holdings abzuschaffen. Handelt die Schweiz nicht, so drohen Konsequenzen, welche das international stark verflochtene Land empfindlich träfen.
Auch beim anderen Teil des Pakets geht es um viel. Das Vorsorge-System der Schweiz gerät zunehmend in Schieflage. Dennoch wurde das Paket Altersvorsorge 2020 im vergangenen Jahr in der Volksabstimmung genauso versenkt wie die Steuervorlage USR III. Beide waren aus vielen Puzzleteilen bestehende und schwer zu überblickende Vorlagen, bei denen es selbstverständlich gewisse Ansatzpunkte für begründete Opposition gab.
Die für komplexe Reformvorhaben nötige Kompromissbereitschaft ist zunehmend schwer zu erreichen. Ein fast dauernd im Wahlkampfmodus operierendes Parlament steht der Konsensfindung genauso entgegen wie unsere direkte Demokratie mit ihrer niedrigen Hürde für die Betätigung der Referendums-Notbremse. Sollte es jetzt aber gelingen, durch Kombination von USR und AHV die systemisch gewordene Blockade zu überwinden, so wäre daran unter den gegebenen politischen Umständen nichts Schlechtes.
Der grosse Befreiungsschlag wäre jedoch auch das etwas wohlfeil als „Kuhhandel“ gescholtene Verfahren nicht. In der Vorsorge sind damit die Probleme der Ersten Säule (AHV) lediglich gemildert; die sogar grösseren Schwierigkeiten bei der Zweiten Säule (berufliche Vorsorge) wären noch überhaupt nicht angegangen. Auf Dauer wird das bislang tunlich gemiedene Thema der Erhöhung des Rentenalters der Bevölkerung nicht zu ersparen sein. Auch die fällige USR-Reform ist lediglich ein erster Schritt, um die Beziehung der Schweiz zur EU zukunftsfähig zu gestalten.
Der Ausdruck „Kuhhandel“ prangert eine Politik an, die sich nicht um formelle Abläufe schert und um des erwünschten Ergebnisses willen auch mal ein bisschen trickst. Der Vorwurf müsste ernst genommen werden – wenn er denn von Kreisen käme, die selber Politik mit keinerlei Finten, sondern ausschliesslich mit offenem Visier und sachlichen Argumenten betreiben. Doch so kennen wir sie nicht, weder die kleine noch die grosse Politik. Sie ist Kampf um Einfluss und Gestaltungsmacht, um Positionen und Mehrheiten. Wer im Getümmel anklagend „Kuhhandel!“ ruft, ist mit grosser Wahrscheinlichkeit eben dabei, selber einen solchen einzufädeln.
Steuersenkungen und AHV-Milliarden: Übler Deal!
In der Schweiz verwildert die direkte Demokratie. Bundesräte und Parteien setzen Volksentscheide ausser Kraft. Richter beseitigen mit dem Völkerrecht die Volksrechte. Und jetzt also kommen die Parteien bis hin zur SVP, um die Demokratie mit einem hybriden, vermutlich illegalen Gesetzes-«Päckli» auszuhebeln. Auf allen Stufen die gleiche Misere: Die Staatsgewalten setzen sich über den Souverän, das Volk, hinweg, tricksen ihn aus, versuchen es zumindest.
Der Einspruch von Urs Meier liegt durchaus richtig. Die Verknüpfung von zwei sachfremden Themen auf Gesetzesstufe - aber natürlich nicht bei Verfassungsänderungen - kann in bestimmten Ausnahmefällen durchaus ihre Berechtigung haben. Das grösste Paket, das in meiner Parlamentarierzeit in Bern je geschnürt wurde, waren die Bilateren 1 von 1999, wo gleich sieben völlig unterschiedliche Materien miteinander verknüpft und erst noch mit der Guillotine-Klausel untermauert wurden. Mega-Kuhhandel oder nicht, was soll's! Der Souverän hatte das Paket am 21. Mai 2000 mit 67,2 % Ja klar angenommen.
Ob Kuhhandel oder „über Kreuz“ kaufen, man kann es benennen wie man will. Es ändert sich nichts an der Tatsache, dass dies ein Ausdruck von „unbrauchbares und am Volk vorbei regieren“ ist. Ausgelöst durch einen ideologisch geführten Grabenkrieg, bei der die Konsensfindung als erstes vor die Hunde ging. Bezahlen tut das seit langem der Mittelstand und dabei wird man mehr und mehr „schweizmüde“. Es wird bald Zeit zum Koffer packen.
Warum nur muss eine Anpassung unseres Steuersystems mit Steuergeschenken für Konzerne einhergehen? Warum setzt uns das Parlament einen Schwachsinn aus denselben bereits abgelehnten und nicht finanzierbaren Steuergeschenken vor und setzt noch ein unterfinanziertes AHV-Pflästerchen obendrauf?
Das ist kein Kuhandel und kein Kompromiss: Das ist einfach ein grosses bürgerliches Finanzloch, das geöffnet wird und zwangsläufig durch von KMU und Mittelstand bezahlten Sparmassnahmen wird kompensiert werden müssen.
Die vielen Worte können den Kuhhandel nicht schönreden. Die vielgepriesene Einheit der Materie wird mit Füssen getreten. Die Themen haben aber rein gar nichts miteinander zu tun. Somit bleibt dem aufgeklärten Stimmbürger nur die Ablehnung dieses unsäglichen 'Deals' übrig.Ansonsten macht solches Flickwerk noch Schule.