Land der Möglichkeiten

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Land der Möglichkeiten

Von Max Winiger, 12.09.2016

Wenn Schweizerinnen und Schweizer ennet der Grenze günstig einkaufen, jammert die lokale Wirtschaft. Wenn aber Unternehmen mit «Swiss» im Namen im Ausland Leistungen einkaufen, dann ist das nicht der Rede wert.

Zuerst die Spielregeln: Wir berichten über zwei Schweizer Unternehmen. Beide tragen «Swiss» in ihren Firmennamen. Beide gehören zu mindestens 51% dem Bund oder Kantonen. Und beide erwirtschaften mindestens 80% ihres Umsatzes in der Schweiz. Es geht bei dieser Geschichte nicht darum, dass Leistungen im Ausland billiger zu haben sind. Es geht darum, dass diese Unternehmen mit ihrem Verhalten eigentlich einen Verrat an der Leistungsfähigkeit der Schweiz begehen, unnötig Geld ins Ausland verschieben, das hier genau so gut investiert werden könnte, und darüber hinaus noch Arbeitsplätze sichern würde. Und es geht darum, dass beide Unternehmen nicht einsehen wollen, wie töricht ihr Verhalten ist.

Schweizer können keine sicheren Lose drucken

Beginnen wir mit Swisslos. Die interkantonale Landeslotterie ist eine Genossenschaft, im Besitz der Kantone der Deutschschweiz und dem Kanton Tessin. Die «Happy Day» Lose von Swisslos wurden seit Beginn bei einer Druckerei in Zürich gedruckt. Die Druckerei richtete dafür ein spezielles Stockwerk ein mit erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Im Januar 2015 tauchten Fälschungen der Lose auf. Swisslos entzog der Druckerei den Auftrag und druckt die Lose seither in Deutschland. «Swisslos hätte den bisherigen Auftragnehmer gerne weiter berücksichtigt. Er konnte aber die erhöhten Sicherheitsanforderungen nicht in geeigneter Weise erfüllen, so dass Swisslos  gezwungen war, den Auftrag an eine auf Sicherheitsdruck spezialisierte deutsche Druckerei zu vergeben. Dieser Wechsel war und ist für Swisslos  mit erheblichem Aufwand verbunden und führt nicht zu Kosteneinsparungen. Er basiert ausschliesslich auf der Notwendigkeit, unsere Produkte mit der höchstmöglichen Sicherheit zu versehen.» So lautet die Antwort von Josef Dittli, Verwaltungsratspräsident Swisslos und Urner FDP-Ständerat, auf unsere Frage nach den Gründen für die Auftragsvergabe ins Ausland.

Wertpapier-Standard

Journal 21 liegt das Mail des Forensischen Instituts  Zürich vor. Die Zürcher Druckerei hatte natürlich alles unternommen, um die Sicherheit der Lose zu verbessern. Das Institut hatte für die Druckerei Anfang April 2015 diese neuen Lose sicherheitstechnisch überprüft. «Die neu konzipierten Lose hätten einen Level erreicht, welcher nach Ansicht von uns Urkundenexperten einem ‚Wertpapier‘ entsprechen.» fassten die Urkundenexperten ihre Untersuchungsergebnisse zusammen.

Das nützte aber nichts mehr. Swisslos hatte den Auftrag bereits nach Deutschland vergeben. Und dabei auch sichergestellt, dass möglichst viel Wissen der Druckerei in Zürich über die Grenze an die neu beauftragte Druckerei geht. Mitte Februar wies nämlich eine Mitarbeiterin von Swisslos per Mail die Druckerei an, mit einer Firma in Deutschland zu kooperieren. Diese sei auf Sicherheitsdrucke spezialisiert und habe ein enormes Wissen. Sie werde nun ein Sicherheitskonzept erstellen. «Für das  Verständnis vom heutigen Prozess wird sich die Firma mit Euch in Verbindung setzen. Um ein ideales Ergebnis zu erhalten, könnt Ihr absolut offen sein, wir haben keinerlei Geheimnisse.», steht in einem Mail von Swisslos an die Druckerei in Zürich, das Journal21 ebenfalls vorliegt. Was damals nicht gesagt wurde: es ist dieselbe Firma, welche seither die Happy Day Lose von Swisslos druckt.

Verstärkte Sicherheit – ein Schweizer Patent

Das Beste kommt noch: Auf hübschen Flyern wirbt Swisslos dieses Jahr für die Happy Day Lose. Besonders erwähnt wird dabei die «verstärkte Sicherheit» Ein neuer Verschluss mache das Los noch attraktiver. Patentiert hat diesen Verschluss die Druckerei in Zürich. Das Patent ist inzwischen abgelaufen, und die Druckerei in Deutschland nutzt nun die Technik zum Nulltarif. Währenddessen musste in Zürich ein Drittel der Belegschaft entlassen werden, der Stock mit der aufwändigen Sicherheitsabteilung für den Losdruck wurde aufgelöst.

Willkommen im Land der Möglichkeiten

Swisscom ist unser zweites Beispiel: zu 51% im Besitz des Bundes, 80% Umsatzanteil in der Schweiz. der Grossteil der übrigen 20% wird in Italien erwirtschaftet. «Willkommen im Land der Möglichkeiten» lautet einer der neuen Claims von Swisscom. Aber Werbung für Swisscom – made in Switzerland? Unmöglich. Dafür braucht es schon eine Werbeagentur in Berlin. Swisscom dürfte damit das wohl einzige nationale Telekom-Untenehmen Europas sein, das seine Werbung für den heimischen Markt im Ausland entwickeln lässt.

Martin Vögeli, Leiter Group Strategy bei Swisscom, mag die Frage nach den Gründen und der Strategie hinter solchen Entscheiden nicht beantworten, sondern lässt den Leiter Mediendienst, Sepp Huber, die dafür passende Antwortkonserve aus der Schublade ziehen: «Swissness gehört klar zum Kern der Swisscom-Marke und unseren Kommunikationsplattformen. Wir setzen auf einen ausgewogenen Agenturmix und arbeiten mit verschiedenen Schweizer Werbeagenturen zusammen resp. den Schweizer Niederlassungen von international tätigen Agenturen.» Freilich wird bei dieser Antwort hübsch geflunkert. Denn die Swisscom-Werbung wird in Berlin entwickelt. Schon seit über einem Jahr. Die dortige Agentur hat nun seit Mai auch in Zürich eine Filiale. Grund dafür ist jedoch vor allem, dass sie inzwischen auch das Mandat für die neue online-Plattform siroop.ch erhalten hat, einer Kooperation von Swisscom mit Coop.

Arrogant und gleichgültig

Es geht nun nicht darum zu beurteilen, wie kreativ Schweizer oder deutsche Werber sind. Es geht auch nicht darum, über die Kosten zu diskutieren. Es geht um die Zeichen, welche Grossunternehmen wie Swisslos oder Swisscom setzen in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit. Es geht um Arroganz, wenn Swisslos behauptet, in der Schweiz sei niemand fähig, ihre Lose zu drucken. Ausgerechnet die Schweiz, die weltweit die sichersten und besten Banknoten druckt. Es geht um die Gleichgültigkeit, mit der Swisscom als nationales und weitestgehend national ausgerichtetes, halbstaatliches Telekomunternehmen eine Werbeagentur im Ausland die Kampagnen entwickeln lässt, mit denen in der Schweiz die nach wie vor stattlichen Swisscom-Gebühren und Dienstleistungen schmackhaft gemacht werden sollen. In beiden Fällen gibt es schlicht keinen einzigen vernünftigen Grund für diese Haltung.

Die Swiss bleibt in der Schweiz

Dass mit ein bisschen gutem Willen die heimische Kreativität durchaus genutzt werden kann, beweist ausgerechnet das dritte Unternehmen mit «Swiss» im Namen: «unsere» Staats-Airline, die ja faktisch ein deutsches Unternehmen ist. Bernhard Christen, Head of Marketing, bestätigt gegenüber Journal 21: «SWISS arbeitet seit vielen Jahren mit Schweizer Werbeagenturen zusammen.» Das gelte auch für die Brand Agentur, Filmproduktionen, Webagenturen. Bernhard Christen: «Ich bin klar der Ansicht, dass sich die Schweizer Kreativ-Agenturen nicht vor der ausländischen Konkurrenz verstecken müssen. Natürlich müssen auch Leistung und Preis stimmen.»

Bernhard Christen war vor Beginn seiner Tätigkeit bei der Swiss Leiter Corporate Brand & Communications Management bei Ricola. Der berühmte Ricola-Spruch «Wer hat’s erfunden?»  stammt von der Agentur Jung von Matt – Hamburg. Deren Mitinhaber und geistiger Vater des Slogans ist aber Jean Rémy von Matt. Ein Schweizer.

Vielen Dank Herr Winiger,
dass Sie aufmerksam machen auf unsere ambivalenten, bisweilen paradoxen Gewohnheiten. Bewusst sage ich unsere. Denn Wahrnehmen und Handeln gründen in unserem Denken, Wert- und Grundeinstellungen und vielfach in alten Glaubenssätzen und Tabus. Wir alle gestalten unsere Gesellschaft und Märkte, durch das wir tun, wie wir es tun, und das, was wir unterlassen. Vielleicht ist es nicht modisch, die sogenannte Political Correctness zu lüften, wie Sie es tun im Artikel. Es ist an der Zeit, alles zu beleuchten, was im Dunkeln ist und gemeinsam nachzudenken und uns auszutauschen wie wir morgen leben wollen und können.
Birgit Barth, Koordinatorin Basel Verein 50plusoutinwork.ch

EIne Welt, die Zeitschrift vom DEZA arbeitet ausschliesslich mit einer Fotografen Agentur in Köln zusammen.

Sehr gut recherchierter Artikel mit Hintergrundinformationen. Spannend.

Die Aufregung läuft mehrfach ins Leere.
Würde Politik der Wirtschaft helfen wollen, gäbe es keine Freigrenze für Einkäufe jenseits der Grenzen. Oder nur für Finanzschwache.

Diese Privatpersonen folgen den Leitplanken des Gesetzes. Es ist erlaubt. Also ab ins Auto und los. Für mich persönlich kommt es nicht in Frage.

Die genannten Unternehmen (Swisslos, Swisscom) folgen den Gesetzen des Marktes. Die Mitarbeiter lieben ihren Job und möchten ihn behalten. Also gilt: Qualität und günstig.

Die Schweiz ist keine autarke Insel. Schokolade und Käse allein schaffen keine Unabhängigkeit vom Umland. «Schweizer macht nur Geschäfte mit Schweizern» funktioniert nicht einmal in Schweizfantasia - das einige Politiker gerne gründen möchten.

Konsens: Ein klares Signal der Politik für die Schweizer Wirtschaft ist nötig.

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