Melkplatz Schweiz
Gemolken werden Konsumentinnen, Konsumenten, Steuerzahlende. Rund 6 Milliarden Franken jährlich lassen wir uns das politische Tabu Schweizer Landwirtschaft kosten. Zwar hat in der vergangenen Herbstsession der Nationalrat die „Agrarreform 2014“ erfreulicherweise angenommen. Da der Bundesrat dieser vorgängig auf Druck der Bauernlobby die meisten Zähne gezogen hatte, ist ehrlicherweise eher von einem „Reförmli“ zu reden.
Das Ziel der Schweizerischen Agrarschutzpolitik, „die Landwirtschaft ressourcenschonend und zu günstigen Preisen produzieren zu lassen“, verharrt unerreichbar in weiter Ferne. Der Milliardenregen (rund 17 Millionen Franken täglich), insbesondere die hohen Direktzahlungen, verhindern weiterhin den überfälligen Strukturwandel. Zudem sind die Folgen völlig unrealistische Produktionsresultate. Jährlich produzieren unsere Bauern zu viel Kartoffeln, zu viel Milch, zu viel Käse, zu viel Schweinefleisch – kurz: zu viel. Die Verwertung dieser Überschüsse kostet die Steuerzahlenden zusätzlich weitere Millionen. Bereits verlangen auch die Saumäster wieder zusätzliche Bundeshilfe.
Ein Prozent des BIP wird geschützt und gehätschelt
Rufen wir uns doch in Erinnerung, dass unser Wohlstand zu einem großen Teil dem Werkplatz Schweiz mit seinen vielen KMU und deren phantastischer Exportkraft zu verdanken ist. 51% des BIP stammt aus Exporterlösen, weniger als 1% aus der Landwirtschaft. Unsere Industrieproduktion von annähernd 12'000 Franken pro Kopf macht uns zum Weltranglistenersten. Wollen wir diese Leistung beibehalten, ist die geografische Diversifizierung unserer Exportindustrie in Zeiten der Globalisierung Bedingung. Der entsprechende Marktzugang wird durch Freihandelsabkommen gesichert.
Doch die Landwirtschaftslobby bekämpft solche Verträge erfolgreich. Warum tut sie das? Weil diese Vereinbarungen gegenseitig sind. Wollen wir exportieren, müssen wir auch importieren – dagegen wehren sich seit Jahrzehnten unsere bäuerlichen Vertreter mit Händen und Füssen.
Eigenartig: Hier werden 1% des BIP geschützt und gehätschelt, dort 51% unserer Wohlstandsgarantie gefährdet. Wir sägen am Ast, auf dem wir sitzen. Und nur wenige realisieren das.
"Gut gibt's die Schweizer Bauern"
Mit anderen Worten: Das Thema Marktöffnung wurde in der isolierten Agrarpolitik 2014 – 2017 ein weiteres Mal bewusst ausgeklammert. Aspekte wie Standortpolitik für die gesamte Schweiz, Land- und Ernährungswirtschaft sind kein Thema. „Diese Strategie ist für den Wirtschaftsstandort Schweiz langfristig schädlich, da sie zu Wohlfahrtsverlusten führt“, warnt Prof. Aepli von der ETH Zürich.
„Gut, gibt’s die Schweizer Bauern“, wird uns auf SF1 allabendlich verkündet. (Diese Werbespots der Landwirtschaftsverbände berappen übrigens die Steuerzahlenden – jährlich 55 Millionen Franken kosten sie uns). Was hinter den idyllischen Kulissen mit den gackernden Hühnern abläuft, ist allerdings weniger geeignet für Marketinggags. Wer realisiert schon, als Beispiel, dass jährlich an die 300'000 Tonnen Soja und Sojaschrot vornehmlich aus Brasilien für Kraftfutter in die Schweiz importiert werden? Dafür werden dort 92'000 Hektaren Ackerfläche beansprucht, insgesamt für alle Futtermitteleinfuhren sind es gar 140'000 Hektaren. Damit wird vor allem in Mittellandbetrieben die Milchleistung auf jährlich bis zu 10'000 Liter pro überzüchtete Kuh gesteigert. Am Ende dieses „Irrsinns“, wie Rudolf Strahm nachweist, resultieren die oben erwähnten Überschüsse. Total importieren wir sogar 1,1 Millionen Tonnen Importfutter (auch Weizen, Mais, Melasse und andere Rohstoffe) pro Jahr, was die gesamte inländische Futtermittelproduktion übersteigt.
Gerede von Lobbyisten
Man muss sich das mal vorstellen. Und weiterdenken: Darauf beruht der viel beschworene „Selbstversorgungsgrad“ von knapp 60% unseres Landes. Die „Ernährungssouveränität“, die uns von rührigen CVP- und SVP-Politikern in Bern bei jeder Gelegenheit vorgegaukelt und im neuen Landwirtschaftsgesetz sogar verankert wird, ist ein Gerede von Lobbyisten. Sie basiert auf diesen gewaltigen Importmengen – da beißt sich tatsächlich die Kuh in den eigenen Schwanz.
Ernährungssouveränität, angewiesen auf importiertes Kraftfutter! Vor 20 Jahren lag dessen Anteil bei 28%, heute bei über 50%. (Dass dieser Import auch ein ökologischer Wahnsinn ist, wissen wir inzwischen. Die dafür benötigten riesigen Landwirtschaftsflächen sind vielfach auf gerodetem Urwald angelegt und fehlen zudem bei der Nahrungsmittelproduktion und der Bekämpfung des Hungers).
"Die Kuh nicht zur Sau machen"
Dass die Schweizer Kühe immer mehr Soja fressen statt Gras – das geht eigentlich auf keine Kuhhaut. Die Fakten zur Lage der Schweizer Milchkuh fasst Peter Thomet in einem Satz zusammen: „Wir sollen die Kuh nicht wie in den nördlichen und südlichen Nachbarländern zur Sau machen.“
Wer die Lage der Bauernnation Schweiz analysiert, kommt um ein weiteres Kapitel des epischen Trauerspiels nicht herum. Das Gentech-Moratorium. Eine unheilige Allianz aus lobbyierenden Politikern, alarmistischen Gentechkritikern und schutzbedürftigen Bauern will dieses Gentech-Moratorium ein weiteres Mal verlängern, um drei Jahre.
Gentechnisch veränderte Pflanzen können ohne Schaden für Mensch, Umwelt und konventionelle Landwirtschaft angebaut werden. Zu diesem Schluss kommt die Untersuchung des Nationalen Forschungsprogramms NFP. Weltweit ist der Vormarsch dieser Technik zu beobachten, deren Nutzen vor allem in herbizidresistenten Sorten von Saatgut oder fungizidsparenden Obstkulturen liegt. Doch die Ergebnisse der 12 Millionen Franken teuren NFP-Studie gehen praktisch spurlos an der Politik vorbei. Das ursprünglich auf fünf Jahre beschränkte Anbauverbot wird sich wohl auf 12 Jahre verlängern. Die Rechnung der Gentech-Gegner ist, so muss man neidlos eingestehen, vollumfänglich aufgegangen – die Schweiz ist gentechfrei.“ Dass man sich damit Chancen für die Zukunft verbaut, will kaum jemand hören, bedauert im gleichen Beitrag Markus Hofmann. Dass unsere Bauern keine gentechnisch veränderten Produkte anbauen wollen, hängt damit zusammen, dass sie heute „eine Marktführerschaft für Schweizer Qualitätsprodukte – natürlich aus der Schweiz“ einnähmen – meinen sie. Dass sie gleichzeitig hinter abgeschotteten Grenzen überhöhte Preise realisieren können – denken vielleicht andere.
Hoffnungsschimmer
Nun hat also der Nationalrat beschlossen, in Zukunft nicht mehr die Haltung möglichst vieler Tiere, sondern die Größe der bewirtschafteten Flächen zu belohnen. Damit sollen Milchseen zukünftig der Vergangenheit angehören. Dies ist zweifellos ein kleiner Fortschritt. Hansjörg Walter, SVP-Nationalrat und abtretender Präsident des Schweizerischen Bauernverbands, hat sich erfolglos dagegen gewehrt. „Mit der Reform verlieren die Bauern gegenüber heute viel Geld“, orakelte er. Was natürlich nicht stimmt, denn in Tat und Wahrheit sind die Bundessubventionen nochmals leicht erhöht worden.
Doch mit dem Nationalratsentscheid ist ja eigentlich noch gar nichts beschlossen. Das Geschäft geht in der Wintersession in den Ständerat. Dort sind die ländlichen, konservativen und von Bauern geprägten Kräfte stark und eine Zustimmung ist deshalb fraglich. Jedenfalls sprechen enttäuschte Bauernlobbyisten inzwischen von einer verlorenen ersten Halbzeit und geben damit ihrer Hoffnung Ausdruck, der Ständerat korrigiere die Beschlüsse in ihrem Sinne. Legt der Ständerat sein Veto gegen die minimen zukunftsgerichteten „Reformen“ ein, kommt es in der Frühlingssession zum Versuch einer Differenzbereinigung im Nationalrat. Der Ausgang ist offen. Ein Hoffnungsschimmer ist aber da: Gerade erst hat sich die Finanzkommission des Ständerats gegen Mehrausgaben für die Landwirtschaft ausgesprochen. Der Nationalrat hatte sich ja diesen Herbst mit einer hauchdünnen Mehrheit dafür entschieden, den Zahlungsrahmen um 160 Millionen Franken zu erhöhen.
Wir dürfen gespannt sein.

1) Christoph Zollinger, 1939 in Zürich geboren, befasst sich seit 35 Jahren mit Veränderungsprozessen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Als Ökonom und selbständiger Unternehmensberater versucht er das Vordergründige zu durchschauen und hinter die Fassaden zu sehen. Acht Jahre lang war er Gemeinderat (Exekutive) seines Wohnorts Kilchberg bei Zürich.
Herr Zollinger, mit diesem Artikel sprechen Sie mir aus dem Herzen!
Wir müssen uns wieder vermehrt in Erinnerung rufeb, wovon der schweizer Wohlstand abhängt (und warum wir uns die im Vergleich mit den Nachbarländern exorbitanten Preise landwirtschaftlicher Produkte überhaupt leisten können). Unsere Wirtschaft profitiert enorm von offenen Grenzen und Freihandel. Leider wird die Landwirtschaft, die ja schon längstens völlig abgekoppelt wurde von jeglicher ökonomischer (und auch ökologischer) Vernunft, mehr und mehr zur Last, ja sogar zum Hindernis für unsere Wirtschaft. Ein Scheitern von Freihandelsverträgen wegen dem Widerstand der Bauern, die es sich mit Subventionen und Marktabschottungen bequem eingerichtet haben, wäre fatal. Auch unsere Hotellerie/Gastronomie verliert aufgrund der gegenüber den ausländischen Konkurrenten massiv höheren Einkaufspreise massiv an Wettbewerbsfähigkeit.
Auch bin ich es leid, dauernd suggeriert zu bekommen, ein Produkt sei qualitativ besser bzw. ökologischer, nur weil es innerhalb unserer Landesgrenzen angebaut worden ist ("Schweizer Zucker" ...etc.). Sehr viele ausländische Produkte aus ökologischer Produktion sind immer noch massiv günstiger als herkömmlich angebaute inländische Produkte (etwa Fleisch; immerhin ist die Schweiz eines der wenigen Länder, die von BSE betroffen waren/sind). Als mündiger Konsument möchte ich selber entscheiden, welche Produkte ich konsumiere und brauche keine staatlich finanzierten Werbekampagnen, die mir "schweizer" Produkte schmackhaft machen wollen. Die Bauern sollen die Konsumenten mit ihren Produkten überzeugen, wie dies in einer freien Marktwirtschaft üblich ist.
Ich hoffe mit Ihnen, das das Parlament in Zukunft etwas von der heutigen "Planwirtschaft" abrücken wird. Sollten die Verhinderungspolitik der Bauernvertreter tatsächlich dazu führen, dass weite Teile der Schweizer Exportindustrie Einschränkungen in ihrem Zugang zu ausländischen Märkten hinnehmen müssen, werden dies nicht zuletzt auch die Bauern selbst zu spüren bekommen. Den Luxus der heutigen landwirtschaftlichen Subventionen und die überhöhten Preise muss sich die Schweiz schliesslich auch leisten können.
Danke für diesen Beitrag Herr Zollinger, Ich gehe völlig einig mit Ihnen. Besonders ärgern mich die durch unsere Landwirtschaftspolitk verpassten Chancen für Handelsabkommen mit den USA, China, Europa und weiteren Ländern. Die Kosten dieser verpassten Opportunitäten lassen sich nicht exakt beziffern, gehen aber wohl ins Unermessliche. Zum Schutz unserer Bauern errichten wir die weltweit höchsten Import-Mauern um unser Land und fördern damit nicht nur wirtschaftlich sondern auch kulturell eine weltfremde Insel-Mentalität, die den Blick auf die globalen Realitäten verstellt.
Wir können gar nicht zuviel für eine gut funktionierende und gesunde Landwirtschaft ausgeben! Unser Land ist sehr klein, wir haben nicht viel Agrarland und jeden Tag schliessen Bauernbetriebe die es bearbeiten. DAS können wir uns eigentlich gar nicht leisten! Die 6 Milliarden Subventionen für unsere Landwirtschaft hingegen schon! Für mich ist das ewige Gequengel wegen der Subventionen für die Landwirtschaft absolut nicht nachvollziehbar. Was hat man gegen gesundes Futter? Bauernbetriebe kann und soll man nicht mit anderen Betrieben verwechseln. Wenn es in Ordnung ist Banken mit Milliarden gesund zu pflegen weil sie scheints sysemrelevant sind - obwohl sie nichts wirklich Relevantes für das Überleben der Menschheit liefern (kann man Geld und Zinsen essen?) - warum sind dann 6 Milliarden für die Erhaltung und Förderung unserer Bauern die damit qualitativ 1. klassige Nahrungsmittel für uns produzieren, welche man tatsächlich essen kann und die einem am Leben erhalten, zu viel "Investition" von Steuergeldern? Und was sind schon 6 Milliarden gegen all' die Ausgaben für irgendwelche Kampfjets und das ganze Steuergeld das devot aus unverständlichen Gründen andauernd über die Schweizer Grenzen hinweg "gespendet" wird und das ohne wirklich nachvollziehbare Erklärungen? Zur Erinnerung: Gutes Essen und sauberes Wasser sind absolut Überlebenswichtig. Der Luxus eine Landwirtschaft im eigenen Land fördern zu können die einem das garantiert darf uns tatsächlich etwas kosten!!! So hat man als Bürger doch noch die Wahl zwischen CH-Landwirtschaftsprodukten und dem manchmal zweifelhaften Import. Wenn uns die Subventionierung unserer Landwirtschaft allerdings reut und wir ihre Qualität und Leistung für uns einfach preisgeben wollen (?) dann haben wir den wahren Wert einer anständig produzierten Nahrung vielleicht infolge dekadenter Abgehobenheit vergessen !
Der "Irrsinn" wurde im Artikel gut mit allgemein zugänglichen Quellen belegt. Der Grundton dürfte aber zu polemisch sein, um ein breiteres Publikum zu überzeugen.
Taktisch ein Fehler war, die Gentechnik auch noch dazu zu mixen. Sie hätten nicht eine Lobby mit einer andern anreichern sollen. Wie die Reaktion von Cathari zeigt, dürfte dadurch manch eine/r von einer vergleichweise "guten" Investition von 6 Mia. ausgehen. Die Argumentationskette, weshalb dieses Geld wenig mit Gesundheitsschutz zu tun hat, verpufft.
Sachlich sind Ihre Punkte zur Gentechnik zudem zu umstritten. Dass sowohl die "Landwirtschafts-" als auch die "Gentechnik-Lobby" im NFP-Programm vertreten war, mag in der kleinen CH fast nicht anders gehen, hat aber mit "Forschung" nur begrenzt zu tun. Beunruhigender sind ferner neuere, unabhängigere (gibt's das?) Forschungsergebnisse.
So oder so, beide überproportional mächtige Lobbys lassen Emotionen hochkommen. Schon nur bei der einen, der Landwirtschaft, lässt sich wie Sie schreiben noch lange mit geschicktem Marketing Reformen - schon nur die Diskussion über Alternativen - erfolgreich verhindern.
Sehr geehrter Herr Zollinger. Wir wissen eigentlich nur, was wir unbedingt wollen. Wir wollen viel lieber unsere verlässlichen Bauern als teure Landschaftsgärtner ( wenn möglich noch von der ETH ) Wir wollen aus gesundheitlichen Gründen Fleisch mit Herkunftsnachweis nach Richtlinen von CH garantiert. Wir wollen weder Monsantogift noch Monsanto-Genpflanzen! Mag gut sein für Amerikaner, weniger gut für die Inder (über 200`000 Bauern- Selbstmorde )Wir hoffen auf die grösstmögliche Eigenversorgung der Schweiz mit gesunden Lebensmitteln weil wir in Krisenzeiten uns dann auf niemanden mehr verlassen können. Reformen in bestimmten Bereichen ja, aber niemals auf Kosten von Qualität, Volksgesundheit und Versorgungsgarantie. Landschafts und Tierschutz sprich Menschenschutz ist uns heilig! Mit Hormonen in bestimmtem ausländischem Fleisch wachsen den Männern ja eventuell noch Brüste. Wir geben jährlich 60 Milliarden für Gesundheitskosten aus. Sind da die 6 Milliarden für unsere Landwirtschaft nicht gut investiertes Geld?