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16. Februar 2021

Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Intellektueller

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Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Intellektueller

Von Eduard Kaeser, 20.11.2016

Es scheint, als kröchen sie aus ihren Kleingeister-Höhlen und witterten Morgenluft, in die sie jetzt einmal all ihre gestauten Ressentiments wie Fürze entladen können. Die Intellektuellen-Basher. Ein neuer Volkssport?

Plötzlich ist gehäufter die Rede von „dem“ Intellektuellen. Populisten können sich freuen. Die Stunde der Terribles Simplificateurs schlägt wieder einmal in der Politik. Und nun auch unter den Intellektuellen selbst.

Zwei Kostproben

Hier zwei Kostproben aus den höheren Etagen der Intellektualität. Nassim Nicholas Taleb, Autor eines amüsanten Buchs über den Zufall, schlägt auf die „Wohlwissenden“ ein und gebärdet sich dabei besser-als-wohlwissend, indem er einen karikaturhaften Strohmann, den sogenannten „Intellektuellen-Idioten“, zeichnet. (Link 1)

Dieser kommt zwar ziemlich selten vor, wie Taleb in einem Postskriptum einräumt, aber das hindert ihn nicht daran, seinen Strohmann zu traktieren, dass es nur so eine Art hat. Er hat von nichts eine Ahnung, verkleidet aber diese Nichts-Ahnung mit hochgestochener Phraseologie und „weiss stets und immer, wie sich sein Tun und Handeln auf seine Reputation auswirkt“. „Was wir generell als politische Partizipation bezeichnen, zerfällt für ihn in zwei Kategorien: ‚Demokratie’, sofern es in seine Weltsicht passt, und ‚Populismus’, wenn die Plebejer es wagen, einer Linie zu folgen, die seinem Geschmack zuwiderläuft.“

Pass auf was du sagst!

Sogar ein so besonnener polit-ökonomischer Analytiker wie Rudolf Strahm greift jetzt in die Kiste der Intellektuellen-Basher: „Die intellektuelle Elite befriedigt sich mit herablassenden Analysen und überheblichen Urteilen über die sogenannten Populisten, Nationalisten, Abschotter, Ausländerfeinde. Dabei bemerken die Intellektuellen gar nicht, dass sie so die anderen verletzen und erzürnen.“ (Link 2) 

Na und, soll man jetzt, wann immer eine retardierte Blödbacke nationalistischen, xenophoben oder religiösen Stuss absondert, zuerst einmal gewissenhaft und reuig in sich gehen: Pass auf, was du sagst, du bist ja ein Intellektueller. Verletze ja nicht diese armen feinfühligen Rassisten und Frömmler. Wer sagt „Hillary Clinton ist der Anti-Christ“, könnte ja seine nachvollziehbaren Gründe dafür haben und drückt sich nur in einem Idiom aus, das „der“ Intellektuelle nicht versteht.

„Den“ Intellektuellen gibt es nicht

Nun liegen weder Taleb noch Strahm falsch. Natürlich gibt es die Tendenz unter Intellektuellen, sich in Blasen abzuschotten – aber wo eigentlich nicht, selbst Fernfahrer leben in einer Blase. Natürlich gibt es die medialen Breitmäuler und universitären Mandarine; natürlich gibt es die Arroganz einer sich als dem Plebs enthobenen Gesellschaftsschicht. Das grosse und fatale Missverständnis ist: „Der“ Intellektuelle bezeichnet keine Clique, Elite oder Kaste. „Intellektuell“ meint primär eine Fähigkeit, die allen Menschen eigen ist: Differenzieren, Beiseitetreten, um einen anderen Blick auf die Dinge zu haben, Ausdenken und Abwägen von Möglichkeiten.

Was in den angeführten Beispielen betrieben wird, ist das Gegenteil: Man bemüht die altbewährte Pars-pro-toto-Unlogik, greift den besonders auffälligen – oder auch nur als auffällig karikierten – Teil einer Gruppe heraus, um die ganze Gruppe in eine gewünschte Ecke zu schieben.

Die alte Taktik: Schablonisierung

Eine solche Taktik erzeugt vor allem Unklarheiten und Unterstellungen, ist also intellektuell unredlich. Taleb führt die schon seit längerem in den Sozialwissenschaften schwelende Replikationskrise an, das heisst, eine mangelnde Verlässlichkeit empirisch-statistischer Studien. „Wie inzwischen bekannt ist, halten weniger als 40 Prozent der psychologischen Studien der Überprüfung durch Replikation stand, bei pharmazeutischen Versuchen beträgt die Erfolgsquote gerade noch ein Drittel.“

Meint jetzt Taleb, dass sich unter Psychologen und Pharmakologen besonders viele Intellektuellen-Idioten finden? Als Statistiker dürfte er wissen, dass es ja ausgerechnet Psychologen und Pharmakologen waren, die auf den Missstand der fehlenden Replikation hinwiesen. Davon kein Wort. Das würde ja auch nicht zur Haudrauf-Taktik passen.

Ein  neuralgischer Punkt

Strahm beschwört die „aufklärerischen, linksliberalen und linken Kräfte“, die eine Sozialdemokratie nötig hätte. Genau, aber sind das Kräfte ohne Intellekt? Strahm kühlt möglicherweise ein Mütchen, das man früher gegen „die Gschtudierten“ hegte. Und möglicherweise hat sich in der SP tatsächlich ein „akademischer Resonanzraum“ gebildet. Strahm legt den Finger auf den neuralgischen Punkt: „Die Karriere-, Berufsbildungs- und Weiterbildungsbedürfnisse der nicht akademischen Arbeitnehmerschaft und der jungen Berufsarbeiter hat sie (die SP, Anm. E.K.) vernachlässigt.“

Das ist ein echtes Problem für die Genossen, das man sicher nicht mit Klassenkampfrhetorik löst. Aber gerade jetzt ist nicht die Zeit, eine Intellektuellen-Schablone und ein entsprechendes „Intellektuellen-Problem“ daraus zu basteln. Oder meint Strahm am Ende einfach, dass es mehr solche wie ihn geben sollte.

Misstraut Satirikern, die sich zu Satirikern erklären

„Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent“ – so lautet die letzte Zeile aus Goethes Gedicht „Rezensent“. Der Dichter macht hier seinem Ärger Luft, dass er einen Rezensenten zum Essen eingeladen hatte, der sich an der angebotenen Speise gütlich tat, um daraufhin Goethes Werk bei einem anderen Gastgeber schlecht zu machen. Auf den Intellektuellen übertragen, würde dies etwa bedeuten: Er zehrt nur von der ehrlichen Arbeit anderer, die er dann erst noch heimlich verunglimpft. Bei Taleb tönt das so: „... die meisten Leute gehen einer richtigen Arbeit nach, und in diesem Bereich gibt es kaum Nischen für den Intellektuellen-Idioten.“

Man hat die ganze Zeit das Gefühl: Da tarnt einer sein Ressentiment als Satire. Und sie gipfelt darin, dass Talb sein Elaborat mit einem Postskriptum abgeschmeckt, welches erklärt, er habe eine Satire geschrieben, und wer das nicht sehe, sei ein Pseudointellektueller. Merke: Satire ist, wenn einem einer sagt, das, was er geschrieben habe, sei Satire. Hahaha. Wer so auftritt, geht – sei er Satiriker oder Intellektueller – keiner richtigen Arbeit nach. Also gehört er wohin?

http://www.nzz.ch/feuilleton/aktuell/nassim-nicholas-taleb-die-wohlwissenden-ld.128349

http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/amerika/aufstand-von-unten/story/31008555

Der Terminus "Intellektueller" ist ein asymmetrisch verwendeter Kampfbegriff, wie "Populist", "Neoliberaler", "Kapitalist". In obigem Falle fühlt sich aber die seit 1968 Deutungshoheit beanspruchende, medienschaffende, priesterkastenähnliche Spezies (meist Männer) in ihrem über allem erhabenen Status bezweifelt.

Bei diesem Beitrag gibt es einleitend im Lead einen Irrtum: Bei Shakespeare krochen die bösen Geister nicht aus den Löchern, sondern verschwanden bei Morgenluft daselbst. -- Kalauerte es da dem Autor nicht etwas zuviel?

DANKE FÜR DIESEN ARTIKEL !

Zu einzelnen kritisierten und dem Problem:

Nassim Nicholas Taleb ist bei seiner Schelte nicht besonders originell. Noam Chomsky hat schon lange vor ihm postuliert, dass die politische Verblendung POSITIV mit dem Bildungsgrad verbunden ist.
Noch früher war die Weisheit schon bei Antikommunisten in (wenn auch empirisch weniger gestützt).

Genosse Strahms Artikel ist harmloser. Was immer das Thema ist, gerät bei ihm meist zu einem PR-Artikel für das Schweizerische duale Bildungssystem. Wenigstens nicht schädlich.

Versagt haben eigentlich nicht "Intellektuelle" sondern die Die Berufs-UmfragerInnen, die sich als einzige die Daten für Wahlumfragen leisten und sie aufarbeiten können.

Versagt haben sie aus 2 Gründen:

1) Bei verschiedenen Gruppen gibt es verschiedene SYSTEMATISCHE (BIAS) Abweichungen zwischen Wahlabsicht und Aussagen über die Wahlabsicht (z.B. Schweigespirale). Die sind kaum auskorrigierbar, obwohl alle das versuchen.

2) Grosse Teilgruppen von WählerInnen sind mit grossen Teilnetzen der Medien so verkoppelt, dass sich in der zunehmenden Kommunikation der letzten Woche unvoraussagbare Dynamiken entwickeln. Eine voraussagbare Realität (die es trotz 1) noch gibt) verschwindet damit. Im Gegensatz zu früher sind das nicht mehr tausende von Städten / Orten und x-tausende isolierte Gruppen, deren unkorrelierte finale Entscheidungen sich ausbalancieren würden.

Wer solche Branchenprobleme einer hochspezialisierten Berufsgruppe auf DIE Intellektuellen generalisieren will grabscht nach Quote, nicht Erkenntnis.

MfG
Werner T. Meyer

SRF Archiv

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