Still und heimlich: Ein undemokratischer Entscheid
Es mag eine Bagatelle sein, aber die folgende Begebenheit und ihre Vorgeschichte zeigen, wie intransparentes Verhalten einer alten Institution das Vertrauen in diese unterminiert und die Gleichgültigkeit gegenüber ihr wachsen lässt.
Still und heimlich hat die Kirchgemeinde Fluntern von 22.00 Uhr abends bis 07.00 Uhr morgens den Stunden‐ und Viertelstundenschlag abgeschafft. Es soll ein Einzelner gewesen sein, unterstützt von ein paar verwöhnten Studenten, die neben der Kirche wohnen, welche diesen intransparenten und undemokratischen Entscheid angemahnt haben. Der Einzelne (oder die Einzelne) hat natürlich keinen Namen, so dass ich auch die neue Pfarrerin unserer Kirchgemeinde der Stummschaltung der Glocken verdächtigen darf.
Lieber röhrende Sportwagen als Kirchenglocken
Ich dachte zuerst, das sei der Moment, endlich aus der Kirche ganz auszutreten, mit der mich sowieso nur noch eine nostalgische Bande zu meiner Grossmutter verbindet. Auch die sozialen Werke scheinen mir durchaus steuerberechtigt. Sie müssten ja sonst von jemand anderem
übernommen werden. Aber dann dachte ich, ich könnte meine Rechte als Mitglied dieses Vereins auch öffentlich reklamieren.
Es ist nicht das erste Mal, dass in unserem Quartier das Läuten von Glocken zum Thema wird. Als wir vor mehr als 20 Jahren einzogen, waren wir begeistert von den (leise) bimmelnden Schafen, welche auf der Wiese unter der Kirche weideten (ja, es ist die Wiese, wo die Zünfter ihren zünftigen Wein anbauen wollen). Es war beruhigend, friedlich und schon fast ein bisschen ländlich, also ein Grund nicht in die Agglomeration zu ziehen.
Aber es gibt leider viele Zeitgenossen, welche unter Lärm leiden wie ich übrigens auch. Natürlich nicht unter dem der unschuldigen Schafe, sondern unter dem der vielen röhrenden Sportwagen und SUVs, die mitten in der Nacht die Gloriastrasse raufbrausen oder den Polizeiautos, welche um 03.00 Uhr nachts mit Sirene das ganze Quartier aufscheuchen, auch wenn kein Verkehr mehr auf den Strassen ist. Oder die Kirchgemeinde selbst, welche mit dem Mähen ihrer Kirchrain‐Wiese mit zweigetakteten Rasentrimmern (!) zwei Mal im Jahr das ganze Quartier terrorisiert.
"Früher hat das kaum jemand gestört"
Kurz und gut, die Schafe wurden nach anonymen Reklamationen abgeschafft, eine Zeit lang durch Rinder ersetzt, auch die bimmelten noch kurz, aber dann wurde endgültig durchgegriffen. Da man sich gegen die Autos und Fahrzeuge unserer Sicherheitskräfte nicht wehren kann, geht man halt auf die Glocken los, welche nun doch eine mehr als 2000 Jahre alte Geschichte haben und früher kaum gestört haben.
Auffallend ist, dass es immer Einzelne sind, welche sich heimlich oder auch medienwirksam in Szene setzen, um dem Läuten einen Riegel zu schieben. Sie gehen dafür sogar vor Gericht, was wohl doch auf ein Problem mit der Verhältnismässigkeit hindeutet. Im Gespräch mit Nachbarn stellte ich fest, dass viele die tröstliche Begleitung der Glocken durch die Nacht vermissen. Ich auch.
Wir wurden alle nicht gefragt, genauso wenig ,als es darum ging, für ein lächerliches Handgeld einen Telefon‐Funkmast im Kirchturm unterzubringen. Natürlich habe auch ich ein Smartphone, welches mir die Zeit auf Wunsch anzeigt oder alle Viertelstunde piepsen kann. Aber das ist nicht dasselbe. Es geht eben nicht nur um Zeit, sondern um das Gefühl von fortdauernder Zeit, eine Art Geborgenheit in der Zeit, welche der Glockenschlag vermittelt. Aber wahrscheinlich wächst die Zahl von Leuten, welche nicht mehr unterscheiden können zwischen Lärm und Glocken, zwischen vergehender und steter Zeit.
Ganz ehrlich? Ich brauche GAR KEIN Glockengebimmel von diesen jeweiligen Sekten, und Gruppen die sich anders nennen, welche sich herausnehmen, ganze Täler zu beschallen (aus welchen logischen Gründen auch immer - wo heute jeder eine Uhr hat). Habe ich gegen 22 Uhr die Musik ein wenig lauter, kommt schon mal die Polizei vorbei und wird "lauter" (bei dieser Aktion dann natürlich gleichgestimmt das wesentlich lautere Glockengebimmel im Hintergrund) - welches komischerweise als "normal" angesehen wird. So ich lese nun Pawlow weiter, der mit dem Hund und Glocke...
"Es geht eben nicht nur um Zeit, sondern um das Gefühl von fortdauernder Zeit, eine Art GEBORGENHEIT IN DER ZEIT, welche der Glockenschlag vermittelt."
Ich bin allergisch auf Lärm und liebe den Stundenschlag sowie das Geläute der Glocken. Die Predigerkirche in Zürich: eines der schönsten Glockengeläute: Samstagabend 19h und Sonntagmorgen 10.45h öffne ich die Fenster selbst im tiefsten Winter.
Wäre ich in einem muslimischen Land aufgewachsen, würde ich wohl auch den Ruf des Muezzins als einen wiederkehrenden Rhythmus lieben.
"....stellte ich fest, dass viele die tröstliche Begleitung der Glocken durch die Nacht vermissen. Ich auch."
Im Ernst, Herr Schlumpf?
Obwohl ich nicht betroffen bin, erachte ich das Gebimmel während der Nacht als eine Anmassung.
Selbst für Hardcore-Christen gilt bekanntlich: Tradition ist Erhaltung des Feuers, nicht Anbetung der Asche.
So gesehen sollten Sie sich in Ihrer Not eine Bimmel-App leisten, abwechselnd mit Schafblöken und Rindermuhen. Für die tröstliche Begleitung durch die Nacht. ;)
Ich kann jedes Wort unterschreiben, nur könnte ich es nicht so gut formulieren.
Fremder in der Nacht.
Bekanntes, geliebtes verloren?
Tasten durch Raum und Zeit, alles klar, es war. Vieles gibt’s nicht mehr und mehr und mehr. Kein Ende der Verluste. Alles Neuland, Expedition auf fremdem Planet. Trauriges Suchen nach Vergangenheit. Schöne Zeit. War gewesen in Gedanken. Nur Gutes blieb in Erinnerung. Resten verdrängt, liegen gelassen, modern vor sich hin. Schaurig schöne neue Wirklichkeit. Vorerst sinnentleert, Neuland eben. Neuordnen unsere Pflicht. Muss sein, wir schaffen das… cathari
@cathari: "Muss sein, wir schaffen das", aber wir müssen es nicht schaffen!