Tsipras zum Zweiten

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Tsipras zum Zweiten

Von Daniel Funk, 22.09.2015

Die jüngsten Wahlen ändern nichts an den Machtverhältnissen. Genauere Analysen jedoch weisen auf mögliche Entwicklungen hin. Die Herausforderungen für das Land sind gewaltig.

Die griechischen Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben am Wochenende Alexis Tsipras und Syriza, die Koalition der Radikalen Linken (Συνασπισμός Ριζοσπαστικής Αριστεράς) , abermals zur stärksten Partei gemacht. Zusammen mit den rechtsgerichteten Unabhängigen Griechen (ANEL) kann Syriza-Chef Alexis Tsipras wiederum eine Regierung bilden. Die beiden Parteien kommen auf 155 von 300 Sitzen und sind damit wieder regierungsfähig. Oppositionsführer Evangelos Maimarakis (Nea Dimokratia) gratulierte Tsipras zum Wahlsieg.

Vor jubelnden Anhängern gab der Juniorpartner von Syriza, Panos Kammenos von den Unabhängigen Griechen, seine Erklärung ab. Er sparte nicht mit Kraftausdrücken: Die Umfrageinstitute betitelte er als „bezahlte Gauner“, die ihn aus dem Parlament schreiben und rechnen wollten, und die Oppositionsparteien als „Zuhälter“. Er kündigte zum Beispiel auch gleich an, dass gewisse Dinge, wie die durch Darlehen bezahlten Champagnerparties der Elite in Mykonos abgestellt würden.

Die eigentliche Sensation der Wahl ist die tiefe Stimmbeteiligung von nur knapp über 50 Prozent. Sie ist ein Barometer der Desillusionierung, der Orientierungslosigkeit und der Unzufriedenheit mit den herrschenden Eliten. Es ist in der Tat schwierig, in der jetzigen Situation zu entscheiden, wem man seine Stimme geben sollte, denn ein grosser Teil des Parlaments wird von Klientelparteien beherrscht, welche die Krise verursacht haben.

Auf den ersten Blick scheint das Wahlresultat eine Wiederholung des Urnenganges vom Januar. Wenn man aber die Resultate genauer analysiert, ergeben sich aber einige interessante Entwicklungen und Veränderungen.

Keine grosse Koalition

Der alte und neue Ministerpräsident Tsipras erklärte bei der Siegesfeier auf der Athener Plateía Klathmónos am Sonntagabend, dass er eine Regierung für die volle vierjährige Amtsperiode bilden werde. Er sagte überdies der überbordenden Korruption den Kampf an und will seine Ideen auch in den übrigen Ländern der Europäischen Union besser bekanntmachen. Am Schluss der Erklärung tauchte auch der Chef der Unabhängigen Griechen auf dem Podest auf und umarmte den Ministerpräsidenten.

Während des Wahlkampfes wurde viel über eine grosse Koalition zwischen den konservativen Nea Dimokratia und Syriza spekuliert. Eine solche Regierung hätte bedeutet, dass die alten Vertreter der Sonderinteressen, der Bürokratie und der verwöhnten Oberschicht den Kampf gegen Korruption und Bürokratie hätten verhindern können. Und dieser Kampf muss jetzt Priorität Nummer eins sein. Dieses Szenario hätte zusätzlich die nationalsozialistische Goldene Morgenröte zur offiziellen Opposition gemacht. Der Chrysavgite Michaloliakos als Oppositionsführer, jener Michaloliakos, der vor einigen Tagen die politische Verantwortung für den Mord am linken Rapper Fyssas übernahm. Jener Michaloliakos, der die Existenz der Verbrennungsöfen und der Gaskammern in Auschwitz leugnet. Was haben sich wohl die Kommentatoren überlegt, die dieses Szenario ventilierten?

Die Nea Dimokratia hat viel besser abgeschnitten als bei Auflösung des Parlaments vor einigen Woche erwartet. Das ist eindeutig auf den umsichtigen Wahlkampf des Interims-Parteiführers Evangelos Maimarakis zurückzuführen. Maimarakis gelingt es, die verschiedenen Flügel der Partei zusammenzuhalten. Diese Partei ist ein Wahlverein für mächtige und reiche Familien. Maimarakis ist in der Lage, diese Strömungen der verschiedenen Familien auszugleichen. Er arbeitete anfangs der 90er-Jahre für den damaligen Ministerpräsidenten Mitsotakis, dann 2004-2009 für die Regierung Karamanlis und schliesslich auch für die Regierung von Antonis Samaras. Der ruhige und besonnene Grossvater mit dem Schnauz hat zwar die Wahlen verloren, wir werden aber noch vom ihm hören.

Wenige, aber interessante Verschiebungen

Interessant ist auch, dass es der langjährigen Regierungspartei, der sozialdemokratischen Pasok, besser geht. Das Zusammengehen mit der ebenfalls marginalisierten demokratischen Linken (Dimar), hat genützt. Natürlich hat die neue Parteiführerin Fofi Gennimata ihren Job nur wegen ihres Namens bekommen – ihr Vater war ein bekannter Politiker der Partei. Aber ihre Strategie ist bisher aufgegangen.

Stabil ist die nationalsozialistische Χρυσή Αυγή (Chrysi Avgi), die Goldene Morgenröte. Sie ist die drittstärkste Partei. Auf den Dodekanes-Inseln wie Rhodos, Kos und Lesbos konnte die Partei ihren Stimmenanteil verdoppeln. Auf diese alles andere als harmlose Partei wird noch zurückzukommen sein. Heute nur soviel: Wäre der Führer dieser Partei Oppositionsführer geworden, hätte man buchstäblich den Bock zum Gärtner gemacht: Vor einiger Zeit hat er als Rezept gegen die Krise einen Ministerpräsidenten mit umfassenden Vollmachten gefordert. Mit anderen Worten: einen Diktator!

Die orthodoxen Kommunisten (KKE) haben leicht zugelegt. Der Sprecher dieser bereits 1918 gegründeten Partei sprach am Wahlabend seinen Kommentar hastig in die Mikrofone. Es handelt sich immer um die gleiche „langue de bois“ wie einstmals im Ostblock. Die Sprache war griechisch, aber in Duktus und Wortwahl erinnerte mich dieser Mann an ein Museumsstück aus der DDR oder der kommunistischen Tschechoslowakei.

Wer den Einzug ins Parlament verpasste, sind die von Syriza abtrünnigen Politiker um die ehemalige Parlamentspräsidentin Konstantopoulou und den ehemaligen Energieminister Lafanzanis: Die Laiki Enotita (LAE; griechisch Λαϊκή Ενότητα, deutsch Volkseinheit). Wahrscheinlich haben sich viele Bürgerinnen und Bürger gedacht, sie würden gleich das kommunistische Original wählen oder sind desillusioniert den Urnen ferngeblieben.

Erstaunlich, aber erklärbar ist die Rückkehr der Ένωση Κεντρώων, (Enosi Kentroon) der Zentrumsunion, ins Parlament. Nach einer Durststrecke von rund dreissig Jahren ist diese traditionelle Partei wieder in der Volksvertretung präsent. Noch in den Sechziger Jahren trug sie mit dem damaligen Ministerpräsidenten Georgios Papanderou – dem Grossvater des Amtsinhabers von 2009-2011 – Regierungsverantwortung. Sie ist also praktisch von den Toten auferstanden. Die Partei sagt und fordert vernünftige Dinge und ist auf alle Fälle eine Bereicherung für die griechische Politik. Sie versteht zum Beispiel, dass ein stabiler rechtlicher Rahmen wichtig ist für Investoren – eine Äusserung, die man sonst kaum hört.

Noch knapp im Parlament vertreten ist die linksliberale Partei To Potami (griechisch: Το Ποτάμι, deutsch: Der Fluss). Im bisherigen Parlament hat sich diese neue Partei sehr verantwortungsbewusst verhalten. Gewisse Beobachter befürchten aber, dass wirtschaftliche Interessen hinter ihr stecken.

Riesige Aufgaben

Heute Dienstag wurde die neue Regierung vereidigt und die Arbeit an der Umsetzung der dritten Darlehensvereinbarung geht los. Es ist zu wünschen, dass dies mit Mass geschieht, ohne Bevorzugung von organisierten Interessen, und dass dem Kampf gegen Korruption, Steuerhinterziehung und Bürokratie nun endlich Priorität eingeräumt wird. Griechenland hätte es verdient!

 

Wo diese Gelder herkommen? Das ist recht einfach zu erklären und stand auch in der Presse. Die Geldgeber haben keine riesigen Guthaben. Der EFSF (Euro-Rettungsschirm) nimmt dieses Geld an den Finanzmärkten auf und gibt es dann weiter nach Griechenland. Warum sind die Zinsen so niedrig? Weil die Mitglieder er Eurozone die Darlehen garantieren. Bezahlt haben sie also bisher für die Rettung Griechenlands nichts, im Gegenteil: Sie haben an den Zinsen verdient. Das wird sich aber ändern, wenn ein Schuldenschnitt beschlossen wird. Das bedeutet, dass sie als Garanten in die Lücke springen müssen.

Die USA mischen sich überall ein, Hauptsache es schadet Russland.

Die USA haben die Syriza-Regierung bei der Wahl der richtigen Taktik gegen Deutschland beraten. Die USA, die nie ein Hel daraus gemacht haben, dass Griechenland wegen der Nato im Euro bleiben müsse, haben Alexis Tsipras empfohlen, Deutschland nicht über Gebühr zu reizen. Die Taktik ist aufgegangen.
Die Regierung in Washington hat der Syriza-Regierung taktische Beratung angedeihen lassen, wie der Widerstand Deutschlands in der Euro-Krise überwunden werden kann. So hat der US-Botschaften den Griechen davon abgeraten, einen Kollisionskurs gegen Deutschland zu fahren. Stattdessen wurde der Regierung vor der Einigung am 13. Juli empfohlen, Kompromissbereitschaft bezüglich des dritten Reformpakets zu zeigen und die Gläubiger des Landes nicht unter Druck zu setzen, berichtet Kathimerini.

Die USA haben stets darauf bestanden, Griechenland in der Eurozone zu halten. Washington hat Premier Alexis Tsipras im Detail beraten. Das geht aus einem geheimen Telegramm des griechischen Botschafters in den USA, Christos Panagopoulos, an die Regierung in Athen hervor. In diesem Telegramm meldet Panagopoulos seiner Regierung, dass die USA Griechenland in der Euro-Zone halten wollten. Um dies zu erreichen, leistete Washington Überzeugungsarbeit bei den Gläubigern Griechenlands, um eine Schulden-Minderung herbeizuführen. Das offizielle US-Argument, um die Gläubiger und EU-Staaten zu überzeugen, beruhte auf der geopolitischen Wichtigkeit Griechenlands für die Nato. Für die USA ist es auch sehr wichtig den Bau einer Gas-Pipeline aus Russland in die EU zu verhindern.

Es wäre tatsächlich interessant zu wissen, wer die grossen "internationalen Geldgeber" Griechenlands waren. Ob man das aber je erfahren wird bei einer freien westlichen Presselandschaft?

Die Griechen sehen offensichtlich sehr realistisch, dass, wollen Sie in EU und Euro bleiben, die harten Sparmassnahmen unumgänglich sein werden. Sie haben für diese Aufgabe nicht die alten Parteien gewählt, weil diese die jetzige Situation verschuldet haben und keine sinnvollen Lösungen anzubieten hatten. Vertrauen geben die griechischen Wähler A. Tsipras, weil er nicht vorbelastet ist und gezeigt hat, dass er sich für das griechische Volk schlagen wird. Also voll nachvollziehbar, diese Entscheidung. A. Tsipras hat seine Position gefestigt und wird innenpolitisch mehr Spielraum haben als bisher. Was W. Schäuble wohl als Nächstes vorhat? Dieses Ergebnis wird ihm sicher nicht gefallen.

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