Vom Schweinestall zur Nummer 1
Alle fünf Jahre findet ein Kongress der allmächtigen Kommunistischen Partei statt. Und neuerdings wird alle zehn Jahre die gesamte Führung ausgewechselt. Für das Reich der Mitte ganz wichtig: Nach über drei Reform-Jahrzehnten wird ein neues Entwicklungsmodell gesucht. Für China aber auch für die Welt wird so der am 8. November in Peking beginnende Parteitag von einiger Bedeutung sein. Ein Überblick.
Chinas Wachstum ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Noch vor zwei Jahren notierten die Genossen Statistiker eine Vergrösserung des Brutto-Inlandprodukts von 10,3 %, nachdem es ein Jahr zuvor mitten in der westlichen Finanz- und Wirtschaftskrise noch mehr als elf Prozentpunkte waren. Im vergangenen Jahr allerdings knickt das BIP-Wachstum auf 9,3 % ein und jetzt, wenn nicht alles täuscht, wird es für China gerade noch für magere 7,5 oder 7,8 % reichen. Das ist wenig verglichen mit den zeitweise zweistelligen Raten und der Durchschnittsrate von 9,5 % per annum für die vergangenen 33 Reformjahre.
Das schwächste Jahr seit langem
Chinas Wirtschaft steuert kurz vor einem entscheidenden Parteitag auf das schwächstes Jahr seit langem zu. In westlichen Medien – vor allem bei jenen, die seit Jahrzehnten von hochbezahlten Experten den Zusammenbruch des Reiches voraussagen lassen, wird das mit Stirnrunzeln registriert und kommentiert. In China selbst nimmt man das viel gelassener. Schon am Nationalen Volkskongress im vergangenen März setzte Premierminister Wen Jiabao eine Wachstumsrate von 7,5 Prozentpunkten als Ziel, „weiche Landung“ eingeschlossen. Pekings Führung weiss, dass sich China neuen ökonomischen und womöglich weniger enthusiastisch politischen Realitäten anpassen muss. Kurz, China befindet sich in einer Konsolidierungsphase. Der Parteitag kommt akkurat zum richtigen Zeitpunkt.
Nachhaltiges Wachstum
Nach dreiunddreissig Jahren erfolgreicher Wirtschaftsreform steht das Reich der Mitte in der Tat vor wichtigen strategischen Entscheidungen. Die Einsicht hat sich durchgesetzt, dass „nachhaltiges“, umweltfreundliches, Ressourcen schonendes und sozialverträgliches Wachstum der Weg der Zukunft sein muss. Bislang galt Wachstum um jeden Preis, komme, was da wolle. Die Führung der Partei arbeitet deshalb seit längerer Zeit an einem neuen Entwicklungsmodell. „Hinter dem Vorhang“ allerdings, intransparent und abgeschottet von der Öffentlichkeit.
Trotz „Reform und Öffnung“, wie das im Parteijargon heisst, hat sich eines seit Jahrzehnten nicht um ein Jota bewegt: Die wichtigen Entscheidungen werden nach wie vor und ausschliesslich „en Petit Comité“ gefasst. Das ist vor allem das 300-köpfige Zentralkomitee, das 24-köpfige Politbüro und dann letztlich die wichtigste, oberste, entscheidende Instanz der Partei und Chinas, der neun- bis siebenköpfige Ständige Ausschuss des Politbüros. Nach dem Rücktritt von Partei-, Staats- und Militärchef Hu Jintao und Premier Wen Jiaobao wird zum ersten Mal seit zehn Jahren eine „jüngere Generation“ an die Macht kommen. Die neue Nummer 1 wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Xi Jinping.
Vom Schweinestall zur Nummer 1
Der 59-Jährige gehört auch der sogenannten „Prinzchen“-Fraktion an, d.h. er ist Sohn eines ehemaligen hochrangigen Kaders. Xi allerdings hatte es nicht einfach in seiner Jugend. Da sein Vater während einer Mao-Kampagne „gesäubert“ worden war, wurde Jung-Xi „aufs Land hinunter geschickt“, wo die „bäuerliche Masse“ in lehrte, den Schweinestall zu säubern. Er studierte Chemie an der renommierten Tsinghau-Universität in Peking, promovierte später auch als Jurist und hatte verschiedene Provinzposten inne, bevor er 2007 Parteichef von Shanghai wurde und sich dort mit dem Austrocknen des Korruptionssumpfes seine ultimativen Meriten verdiente. Vor Jahren schon sagte Xi seinen Untergebenen: „Haltet eure Frauen, Kinder, Verwandten, Freunde und Angestellten im Zaun, und seit bedacht, eure Macht nicht für persönliche Vorteile zu Missbrauchen“.
660‘000 korrupte Kader
Das sind Qualitäten, die heute – nach dem tiefen Fall des korrupten und machtbesessenen Boxilai, Parteichef von Chongjing und Politbüro-Mitglied mit noch höheren Ambitionen, besonders gefragt sind. „Keiner steht über dem Gesetz“, liess sich vollmundig die amtliche Nachrichten-Agentur Xinhau zum Fall Bo Xilai vernehmen.
In den letzten fünf Jahren allein, meldete He Guoqiang, zuständig für Parteidisziplin, seien 660'000 Kader der 82 Millionen starken Partei wegen Korruption bestraft worden, neben Bo Xilai auch ein so hoher Beamter wie der Eisenbahnminister Liu Zhijun oder der Bürgermeister der 12-Millionen-Metropole Shenzhen, Xu Zhongheng. An die Adresse der Parteimitglieder, vor allem aber an das immer aufmüpfigere Volk gerichtet, sagte Korruptionsvorkämper He Guoqiang aber auch: „Die Partei und Regierung von Korruption zu säubern, das ist in der Tat eine langfristige Aufgabe“. Der ehemalige Parteichef Jiang Zemin nannte Korruption das „Krebsübel der Partei“, und Nachfolger Hu Jintao sah in Korruption eine grosse Gefahr für die Erhaltung des Machtanspruchs der Partei.
Keine Anti-Korruptionsbehörde
Nach Ansicht ausländischer Beobachter wird der Antikorruptionskampf trotz Lippenbekenntnissen ohne grosse Wirkung bleiben, solange es keine wirklich unabhängige Anti-Korruptions-Behörde gibt. Und die wird es unter dem von der KP beanspruchten Machtmonopol nicht so schnell geben. Politische Abrechnungen und Machtkämpfe sind so gar nicht selten. Die ganze Wahrheit über Bo Xilai wird wohl nie ans Tageslicht kommen.
Heute ist Xi Jinping, der Kronprinz sozusagen, Vize-Staatspräsident und Mitglied des Ständigen Politbüros. Von Kadern in der Parteihochschule wird er als offen und liberal-konservativ eingeschätzt. Wie viele hohe Kader vor ihm hat Xi eine Tochter, die an der Harvard-Universität in den USA studiert. Im übrigen ist Xi Jinpings Frau beim Volk sehr viel bekannter. Sie nämlich ist als Volkssängerin Peng Liyuan in ganz China berühmt und bliebt.
(Fortsetzung folgt)