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16. Februar 2021

Von Angesicht zu Angesicht im Schnee

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Von Angesicht zu Angesicht im Schnee

Von Peter Achten, 01.02.2012

Ist die Welt nach dem grossen Powwow im Davoser Schnee klüger als zuvor? Wohl nicht. Darauf kommt es aber auch gar nicht an. Es geht auch nicht um die Worthülsen der Globalisierungsgegner und Marktanbeter.

Die persönlichen Begegnungen von Wirtschaftsführern, hohen und weniger hohen Politikern, Ökonomen, Intellektuellen aller Denominationen, Bankern und hin und wieder einem Querdenker sind das A und O des WEF und nicht etwa Macht hinter verschlossenen Türen, wie rührige Globalisierungsgegner nach frei erfundenen Verschwörungstheorien glauben. Einmal mehr wurde – gut bewacht von mit Steuergeldern bezahlten Ordnungshütern – in Referaten, Panels, Diskussionen und Kaminfeuer-Gesprächen in mehr oder weniger lockerer Atmosphäre der Zustand der Welt analysiert.

Alles ohne Kravatte

Plausible oder weniger plausible Trends, kühne Szenarien und gewagte Prognosen wurden entworfen , beflügelt von der prickelnden Alpinen Luft, dem winterlichen Schnee und möglicherweise dem einen oder andern Hügelwein, Gin Tonic oder Mojito.

Journalisten aus Nah und Fern befragten mild die Mächtigen von Angesicht zu Angesicht. Alles ohne Kravatte. WEF-Gründer Klaus Schwab – fast so wie FIFA’s Sepp Blatter auf gleicher Augenhöhe mit Premierministern, Staatsoberhäuptern oder den Granden internationaler Wirtschafts- und Finanzorganisationen - warf dem erlauchten Publikum und der Presse wohlformulierte, tiefgründige Worthülsen vor.

Jean Zieglers und Klaus Schwabs Worthülsen

Das Davoser World Economic Forum jedenfalls ist weit weniger gefährlich, als sich das die Fundis der Anti-Globalisierungskampagne, Anti-WEF-Aktivisten und der Occupy-Wallstreett-Bewegung vorstellen. Da hilft auch Schwabs rühriger Mit-Genfer Jean Ziegler mit seinen bitter-scharf formulierten Breitseiten gegen den Kapitalismus nicht weiter. Der nach eigenem Bekunden „privilegierte“ Genfer Professor und UNO-Mitarbeiter verpackt seine Daten stets so, dass sie stets zu seinen Hypothesen passen.

Die antikapitalistischen Zieglerschen Worthülsen können sich mit Schwabs schillernden, neuerdings nur noch leicht Kapitalismus-freundlichen Worthülsen durchaus messen. Mit Wissenschaft hat beides wenig zu tun.

Ging es der Menschheit je besser?

Sicher, Hunger ist – wie Ziegler richtig feststellt – ein Skandal. Dass Hunger hauptsächlich von Spekulanten und Multinationalen Gesellschaften produziert wird, ist dagegen nicht nachzuweisen und bedient – wie so oft in den Anti-Globalisierungskreisen – simple Verschwörungstheorien. Das ist natürlich sehr viel weniger mühsam, als sich mit Fakten auseinanderzusetzen.

Ebensowenig der Wirklichkeit entspricht es allerdings auch, dass – wie man jährlich im Davoser Schnee zu hören bekommt – alles Gute von oben, will sagen von den Märkten, den Multis, den Unternehmern, der Politiker-Kaste oder gar den Bankern kommt.

Gewiss ist auch, das weltweite Armut ein Skandal und mithin inakzeptabel ist. Mit einem vertieften historischen Blick – den es in der Regel sowohl den Globalisierungs-Gegnern als auch den Finanz- und Wirtschafsbossen und nicht zuletzt den meisten Politikern, Bankern und nicht wenigen Wirtschafts-Journalisten gebricht – muss auch festgestellt werden, dass es der Menschheit insgesamt so gut geht wie nie zuvor in den rund fünftausend Jahren der geschriebenen Geschichte.

Zurück in die Niederungen des Alltags

Die vor 250 Jahren von Grossbritannien ausgehende europäische Industrielle Revolution hat die Weltgeschichte buchstäblich auf den Kopf gestellt. Die Globalisierung schliesslich der letzten sechzig Jahre brachte noch einmal einen in seiner Beschleunigung nie für möglich gehaltenen Schub zur Verbesserung des materiellen Wohlstands.

Vom weichen, blütenweissen Davoser Schnee geht es wieder in die Niederungen des harten, grauen Alltags. Im Business genausogut wie in der Politik. Zieglersche Maximalforderungen und wohlgedrechselte, mit etwas Akademia angereicherte Davoser Worthülsen sind weder hilfreich noch gut. Jetzte geht es wieder ans Eingemachte. In Europas Schuldenländern zumal, aber auch in Amerika, China, Indien und anderswo.

Was jetzt gefordert ist, sind hartes Feilschen, Kompromisse, Deals in den Hinterhöfen der Macht oder coram publico, mutige Reformen oder bei politischem Bedarf – wie beispielsweise in Myanmar oder Cuba und warum nicht in Nordkorea – auch Reförmchen. Debatten in nationalen Parlamenten und internationalen Gremien stehen auf der Tagesordnung.

Occupy Tiananmen hatten wir schon

Weder kompromisslose Maximalforderungen noch weich- und weiss-gespültes Verwedeln von unangenemen Fakten sind dabei förderlich. Nichts weniger als die Zukunft künftiger Generationen steht auf dem Spiel. Immerhin hat der Homo Sapiens zum ersten Mal nach dem Übergang vom nomadisierenden Jäger und Sammler zum sesshaften Bauern vor zehn- bis fünfzehntausen Jahren die einmalige Chance, Armut und Hunger zu besiegen. Rein technisch jedenfalls steht einem solchen Unterfangen nichts entgegen.

Seit dem Beginn des 19. Jahrunderts zum Beispiel ist die Produktivität der Landwirtschaft dank der Wissenschaft exponentiell gewachsen. Nahrungsmittel gibt es also genug, allein die Verteilung und Spekulation ist das Problem. An diesen fragwürdigen Spekulationen mit Nahrungsmitteln und fruchtbarem Ackerboden beteiligen sich in der globalisierten Welt sowohl kapitalistische als auch sozialistische Länder und verdienen sich damit eine goldene Nase und sichern sich so dringend benötigte, aber knappe landwirtschaftliche Ressourcen.

Neben Wall Street in New York sollten vielleicht die Globalisierungsgegener – stets den moralischen Zeigefinger hoch erhoben – mal in Shanghai, Peking oder Hanoi protestieren. Aber Occupy Tiananmen hatten wir ja 1989 schon einmal. Ohne internationale Beteiligung.

Das Verdienst des Genfer Professors aus Deutschland

Eines aber muss man WEF-Gründer Schwab lassen. Schon vor Jahrzehnten hat er richtig vorausgesehen, dass persönliche Begegnungen durch nichts zu ersetzen sind. Trotz oder gerade wegen sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook, Sina Weibo, Linkedin oder Emails und dergleichen ist Davos nötiger denn je. Wenn es das World Economic Forum nicht schon gäbe, müsste es der rührige Genfer Professor aus Deutschland schleunigst gründen.

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@cathari Danke. Ihre Gedanken regen mich zum Weiterdenken an. Konkret reklamieren Sie Anstand, Moral, Verantwortungsbewusstsein als wesentliche Elemente einer allenfalls besseren Welt. Mein Sinnen kreist, davon ausgehend, um das Zentrale: "Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; am grössten aber unter diesen ist die - Liebe." Sie lässt sich finden und mit ihr eine andere Welt.

Mmh... Herr Achten, wer bezahlt Sie?

Alles Zufall.?.....Aha! Also Zufälle, nichts als Zufälle...Der Zufall steht also außerhalb des objektiven Zusammenhangs. Dann würde diese Schlussfolgerung zutreffen, so müsste es einen absoluten Zufall im Sinne eines ursachelosen Ereignisses geben (was allgemein unter "Wunder" zu verstehen ist). Aber auch das Ereignis des Zufalls wird durch eine Ursache eingeleitet. Leben wir heute in den besten aller Zeiten? Materiell sicher....aber ist es Zufall oder nur dumm gelaufen,dass griechische Kinder auf den Strassen um Lebensmittel betteln? Gleichzeitig wetten anglo- amerikanische Hedge Fonds im grossen Styl gegen Griechenland. Jedes System kann überfordert werden, sicher auch durch zufällige Verkettungen von Ereignissen. Meistens sind aber systemrelevante Kräfte am Werk die diametral andere Interessen anstreben. Man spürt, Sie können es auch nicht mehr hören diese allgegenwärtigen Verschwörungtheorien. Ich denke es gibt Verschwörungen mit beabsichtigten Folgen genau wie Zufälle als nicht gewollte Ereignisse und oder auch Fehlhandlungen.....die sind ja menschlich. Sollte jedoch jemand etwas in die Wege leiten das Anderen nachhaltige Nachteile bringt....wie nennen Sie das? Sicher nicht Zufall....oder?....auch nicht Fehlhandlung nehme ich an. In der Welt von heute fehlt es nicht an Innovationen oder an Machbarkeit, sondern nur an Anstand, Moral und Verantwortungsbewusstsein. Egoismus scheint wieder geil zu sein.

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