Was Sie und ich nicht wissen wollen

Verena Stauffacher's picture

Was Sie und ich nicht wissen wollen

Von Verena Stauffacher, 10.11.2018

Wussten Sie, dass der Kölner Kriminalbiologe Mark Benecke noch nie einen «Tatort» im Fernsehen gesehen hat?

Oder dass im US-Gliedstaat Georgia ein Polizeichef mit einem Taser auf eine 87-Jährige schoss, weil sie beim Schneiden von Löwenzahn ein Messer in der Hand hielt?

Ist Ihnen womöglich entgangen, dass das von der Karlsruher Polizei in Obhut genommene Eichhörnchen, das sie Karl-Friedrich getauft hatten, in Tat und Wahrheit ein Weibchen ist und jetzt Pippilotta heisst? Haben Sie etwa verpasst, dass die indische Schauspielerin Priyanka Chopra und der US-Sänger Nick Jonas sich verlobt haben? Und stellen Sie sich das mal vor: Der deutsche Sänger Clueso hat keinen Führerausweis! Sein Berufskollege Jürgen Drews dagegen einen Magen-Darm-Infekt, der ihn ins Krankenhaus gebracht hat.

Nicht aus irgendeinem Käseblatt

Woher ich das alles weiss? Aus der Zeitung natürlich. Nicht aus irgendeinem Käseblatt, einer Gratiszeitung oder einer Hochglanzpostille, sondern aus der grössten seriösen Zürcher Tageszeitung.

Nun bin ich ja durchaus der Meinung, unterhaltendes Kurzfutter dürfe auch in einer sogenannten Qualitätszeitung ihren Platz haben. So wenig wie der Mensch von Brot allein lebt, möchten wir Leserinnen und Leser ausschliesslich schwer verdauliche Kost aus Politik und Wirtschaft vorgesetzt erhalten. Schon gar nicht, wenn die entsprechenden Berichte aus nah und fern einen mit dem beklemmenden Gefühl zurücklassen, die Welt werde vom Wahnsinn oder zumindest von Wahnsinnigen regiert.

Ein paar süffige «good news» und Dinge, die die Welt nicht wissen muss, können durchaus helfen, nicht gänzlich in Schwarzmalerei und flächendeckenden Pessimismus zu verfallen. Aber Karl-Friedrich oder Pippilotta Eichhörnchen? Der fehlende Führerausweis eines singenden Irgendwer? Die Verlobung von zweien, deren Namen ich zwar noch nie gehört, die ich dafür aber schon wieder vergessen habe, bevor ich sie fertig gelesen habe? Die Diarrhö eines alternden Ex-Schlagerstars? Also echt jetzt!

Wer liest denn solches Zeugs überhaupt?

Kürzlich habe ich im Dokfilm «Die vierte Gewalt» des Schweizer Filmemachers Dieter Fahrer eindrücklich die Konsequenzen des Kahlschlags in der Presselandschaft, des Wettbewerbs mit den digitalen Medien und des teilweise rabiaten Stellenabbaus in den Zeitungsredaktionen vorgeführt erhalten. Seither wundere ich mich weniger, dass vermischte Meldungen wie die obigen aus Effizienzgründen ungefiltert, wie es scheint, aus Presseagenturen im gedruckten Blatt landen.

Gehalt und Relevanz spielen aus Zeitgründen nur noch eine Statistenrolle, Hauptdarsteller sind Neugier, Sensationslust (auch auf Nicht-Sensationelles) und vielleicht auch eine gewisse Denkfaulheit der angepeilten Leserschaft.

Damit kommen wir zur entscheidenden Frage: Wer liest denn solches Zeug überhaupt? Und weshalb? Ich, zum Beispiel. Und mit mir unzählige andere. Gefordert von Beruf, Familie, Verpflichtungen und permanenten Freizeitaktivitäten hat es etwas Entspannendes, zur Ablenkung einige Minuten lang in den Suppenteller anderer zu gucken, sich damit zu trösten, dass es «denen» auch nicht besser geht (siehe Jürgen Drews), sich zu fragen, wie lange wohl die publizierte Verlobung halten wird, den Kopf zu schütteln über die unglückliche Löwenzahnsammlerin oder sich zu freuen, dass das Eichhörnchen bei der Polizei gut aufgehoben ist – und das alles auch gleich wieder zu vergessen.

Kölner Kriminalbiologe als Vorbild

Von den Gratiszeitungen auf oberflächliche Informationsbeschaffung getrimmt, vom Internet daran gewöhnt, noch die kleinste Kleinigkeit aus irgendeiner Ecke der Welt in Sekundenschnelle hausgeliefert zu erfahren, lassen wir uns auch mit den Lappalien der Sammelsurium-Seite berieseln, weil sie perfekt in unser heutiges Medienverhalten passen. Ein Verhalten, das oft weniger vom Gehalt der Nachrichten als vielmehr von deren unüberschaubarer Menge und dem Non-stop-Rhythmus, in dem sie eintreffen, bestimmt wird.

Dass das angesprochene Blatt uns auch weiterhin mit Nichtigkeiten bedient, die weder das Papier, auf dem sie stehen, noch die verbrauchte Druckerschwärze wert sind, ist wohl nicht zu verhindern. Hingegen liegt es an uns Leserinnen und Lesern, uns öfter vor der Lektüre zu fragen, welchen Informationen wir unsere Aufmerksamkeit überhaupt schenken wollen. Und zur Entlastung unserer sowieso beschränkten geistigen Aufnahmekapazität bei gar manchen so zu verfahren wie der Kölner Kriminalbiologe mit dem «Tatort»: ignorieren!

Ähnliche Artikel

Von Nick Lüthi, Medienwoche - 07.12.2020
Von Christian Campiche, Infoméduse - 17.08.2020

Diese inflationäre Überflutung mit harmlosen, kurzlebigen BS-Meldungen aus den grössten, "seriösen" Massenmedien hat als Verschwörung in der praktischen Anwendung genau das Ziel, was der Titel dieses Artikels hier beschreibt, nämlich die Sinne und Hirnwindungen von uns Konsumenten derart zu ermüden, dass wir nicht noch mehr Daten aufnehmen wollen und können und deshalb die schwierigeren Themen - das was "das System" uns befiehlt, dass wir es nicht wissen wollen - schliesslich auch ignorieren, um uns damit nicht auch noch zu belasten und dazu die Existenz der Weltenlenker nicht zu gefährden. Nach 25 Jahren Internet (ohne Darknet) mit Abgleich und Erweiterung der Recherchen in der wirklichen Welt, komme ich zum Schluss, dass es vielleicht tatsächlich besser ist, gewisse Dinge wirklich gar nicht wissen zu wollen, sie also zu unserem eigenen Seelenheil ganz einfach zu ignorieren und unschuldig und naiv zu bleiben, weil diese Dinge so schrecklich, so furchtbar bösartig und unmenschlich, bestialisch und durchtrieben und übelst niederträchtig sind, dass das Wissen darum und das Wiedererkennen der Symptome und Mechanismen in der gelebten Gesellschaft, unsere geistige Gesundheit und emotionalen Haushalt ernsthaft und nachhaltig beschädigen können. Mich wundert ja, dass ich noch am Leben bin. Oder ist den Menschen die ganze Wahrheit zumutbar? Vermutlich würden sie kollektiv Amok laufen und Massensuizide wären auch die Folge. Oder hätte es therapeutisch wertvolle Effekte zu Heilung, Erwachsenwerden und Ganzwerdung? Vielleicht auch. Gemäss Buddha ist aber alles illusionär und gemäss Physik und Quantemmechanik, eine digitale, binär errechnete künstlich geschaffene Simulation virtueller Realität (Th. Campbell - My Big TOE), also auch eine Illusion.

Der Flug nach oben ist besetzt, wir müssen warten!
Ich bau dir ein Schloss das in den Wolken liegt, ich bin dein Pilot der dich in den Himmel fliegt. Entschuldigung Herr Jürgen Drews, ich möchte aber noch eine Weile warten, wünsche Ihnen gute Besserung! Aber sehen Sie, es sind schon viel mehr Menschen gestorben und im Himmel als welche die noch leben, genau wie bei den Bienen. Ablenkung hält uns zwar frisch, Probleme scheinen uns jedoch zu überfordern. Egoismus den es schon seit Menschengedenken gibt oder gab erfindet immer neue phantastische Hype`s, um selbst dabei zu sein. The Winner takes it all, aber man will wenigstens die Krümel auf sicher. Das geht nur mit Anlehnung an Gewinner und die haben nun mal das Sagen. Du kriegst die Informationen die dich so la la beruhigen, halbwegs manchmal sogar glücklich machen, aber der Ernst der Sache bleibt dir dadurch verborgen. Und was wünschen wir uns? Wir möchten den Fokus auf die Manipulatoren gerichtet haben, jene die uns an den Nasenringen herumführen. Nicht Fake-News, Wahrheiten sind schlimm genug, sondern durchleuchtende Fakten. Der Preis kann hoch sei, “Let’s get the son-of-a-bitch in jail!” meinten jene Selbstgerechten und was geschieht oder geschah mit Bradley Manning, Edward Snowden, Julian Assange, noch schlimmer und ungeheuerlicher, siehe J. Khashoggi. Erst dann bekommen die wahren Täter/innen ein Gesicht, erst dann werden Ross und Reiter beim Namen genannt. Aber dann, ja dann hast du Sanktionen am Hals, oft verdeckte und wer will das schon? Mut ist was anderes, aber dann kracht es halt im Gebälk! So wath? Ich möchte mich Herrn D. Kälins Kommentar vollkommen anschliessen. …cathari

SRF Archiv

Newsletter kostenlos abonnieren