Wer kontrolliert die selbsternannten Kreuzritter der Transparenz?
Was sich wirklich abgespielt hat zwischen dem missionarischen Internet-Enthüller Assange und den zwei – mindestens zeitweilig freiwilligen – schwedischen Bettgefährtinnen, die ihn später verklagt haben, weiss ausser den drei unmittelbar Beteiligten vorläufig niemand genau. Das werden nun die schwedischen Justiz-Instanzen zu klären versuchen.
Märtyrer für totale Transparenz
In den Tiefen seiner Seele aber dürfte Assange, dem ja narzistische Bedürfnisse offenbar nicht fremd sind, über die spektakuläre Verhaftung in London gar nicht so unglücklich sein. Denn kaum eine andere Entwicklung der turbulenten Wikileaks-Saga hätte ihm in den Augen eines breiten Spektrums der internationalen Öffentlichkeit so fraglos zum Märtyrer-Status verhelfen können. Zum Märtyrer der nach Assanges Meinung hehren Sache totaler Transparenz, die uns eine bessere Welt bescheren soll – und die ausgerechnet vom finsteren Amerika und seinen willigen Trabanten wie Schweden mit hinterhältigen Methoden bekämpft wird.
Doch verdient der irrlichternde Assange einen derartigen Heiligenschein? Lassen wir die schwedische Anklage ganz aus dem Spiel, die ja bei unaufgeregter Betrachtung kaum etwas mit der massenhaften Verbreitung geklauter Regierungsdokumente zu tun hat. Was diesen letzteren Komplex betrifft, so hat der Berliner Politologe Herfried Münkler im „Spiegel“ die entscheidende Frage auf den Punkt gebracht: Wer kontrolliert eigentlich die selbsternannten Transparenz-Ritter von Wikileaks? Diese redeten von Transparenz in der Politik, machten aber mit Geheimnissen selbst Politik.
Wer selektioniert – und wie?
Tatsächlich möchte man wissen, nach welchen Selektionsprinzipien denn Assange und seine Mitstreiter die ihnen zugespielten Dokumente schubweise veröffentlichen. Übergeben sie alle zur Verfügung stehenden Dokumente den an der Verbreitung dieser Leaks mitbeteiligten Zeitungen (New York Times, Guardian, Spiegel, Le Monde, Guardian, El Pais)? Lässt sich Wikileaks von diesen Blättern für seine Materialien bezahlen? Wenn ja, in welcher Grössenordnung? Werden auch diejenigen Zulieferer, die Wikileaks mit neuen Datenbergen versorgen, bezahlt? Wo bleibt da die viel beschworene Transparenz?
Ein anderer Punkt, der zu skeptischen Fragen Anlass gibt, ist der Umstand, dass Wikileaks in letzter Zeit fast ausschliesslich Dokumente aus dem Innenleben der amerikanischen Regierungsbürokratie enthüllte. Liegt das hauptsächlich daran, dass die USA ihre internen Informationen (allerdings nicht streng geheime Dokumente, die offenbar nicht so leicht „geleakt“ werden können) zwischen den Amtsstellen derart leichtfertig zirkulieren liessen, dass sie ein einfacher Soldat im Irak problemlos auf eine CD herunterladen konnte? Wenn das stimmt, wäre die einseitige Fixierung auf die USA wenigstens teilweise aus technischen Gründen erklärlich.
Dennoch bleibt es ein gewaltiges Defizit, dass Interna aus diktatorischen oder autoritären Regimes, die keinen oder höchst rudimentären parlamentarischen und rechtsstaatlichen Kontrollen unterliegen, bisher von Wikileaks nicht verbreitet worden sind. Dabei hatte es noch in einer Grundsatzerklärung aus den Anfängen von Wikileaks geheissen, man hoffe, vor allem Dokumente von repressiven Regierungen wie China oder Russland veröffentlichen zu können. Warum gibt Wikileaks keine Rechenschaft, weshalb solche Ansprüche nicht erfüllt werden oder erfüllt werden können?
Nobelpreis-Idee aus Moskau
Gewiss ist es ein leichtes, aufgrund der jüngsten Veröffentlichungen von vertraulichen amerikanischen Diplomaten-Berichten dieser oder jener Regierung bei diesem oder jenem Thema Doppelzüngigkeit vorzuwerfen. Aber hat jemand mit gesundem Menschenverstand erwartet, dass dies im politischen Geschäft nicht vorkommt? Wissen aufgeklärte Bürger nicht, dass diplomatische Höflichkeiten im internationalen Umgang den eigenen Interessen mitunter besser dienen, als ungeschönter Klartext? Besorgte Puristen sollten sich auch fragen, ob sie sich gegenüber dem lieben Nachbarn immer genau gleich ausdrücken, wie wenn sie hinter dessen Rücken über ihn reden.
Die britische Presse hat in dieser Woche berichtet, Stimmen aus dem Kreml hätten gefordert, Nichtregierungsorganisationen sollten ernsthaft darüber nachdenken, ob der Wikileaks-Chef Assange nicht zum Kandidaten für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen werden könnte. Der „Guardian“ zitiert den russischen Botschafter bei der Nato, Dmitri Rogosin, mit dem Ausspruch, Assanges Verhaftung in London beweise, dass es im Westen keine Medienfreiheit gebe. Wie gesagt: Ein Jammer, dass die schwedische Justiz Julian Assange in London festnehmen liess. Die wirklich relevanten Fragen um seine Transparenz-Piraterie – und um seine Bewunderer rund um den Erdball, inbegriffen diejenjenigen im Kreml – werden so von seiner Märtyrer-Krone verdunkelt.
Was sich der Autor auch nicht fragt: Wie selektieren die etablierten Medien (New York Times, Guardian, Spiegel, Le Monde, Guardian, El Pais) aus den Riesenmengen von Daten von Wikileaks? Wie wurden diese Medien überhaupt auserwählt? Warum wollen sie das Monopol über diese Datenselektion behalten? Welcher Deal steht dahinter? All das hinterfragt eher oder ausgerechnet die traditionellen Medien. Deshalb greift sie der Autor vermutlich auch nicht auf. Demgegenüber liegt schon nur aus technischen Gründen die Vermutung nahe, dass Wikileaks bei den neueren Daten mit vielen vielen Daten eines oder mehrerer Informanten bedient wurde, notabene freiwillig. Aber eher strafbar für die Informanten. Mit so vielen Daten, dass Assange und Co. kaum eine Auswahl selber bewältigen konnten. Aber warum machen die genannten Zeitungen eigentlich mit? Weil sie dabei Auflagen halten können und mitverdienen? So banal? Es ist einfacher, neue Entwicklungen wie Wikileaks zu kritisieren, als letztlich sich selber als herkömmlicher Journalist. Entwicklungen, die einem unheimlich sind. Die Kritik kann teilweise berechtigt sein. Aber rückblickend werden wir solche Entwicklungen vielleicht nicht anders beurteilen, als damals die doch so gefährliche Bahn, die Autos, alle anderen unheimlichen Technologien, hoffentlich?!?
Wie andere Kommentare antönen, werden schon im Untertitel Erwartungen zu den "zentralen Fragen um Wikileaks" geweckt. Dann folgt aber die vielfach wiederholte und abgeschriebene Frage "wer selektioniert was". Zentrale Frage? Die meisten Medien, je traditioneller desto mehr, wie es scheint, fragen sich selber genau das selten. Wie werden angebliche Enthüllungen, aber auch scheinbar gewöhnliche Meldungen selektiert? Oder ist es das selbstherrliche Verständnis der meisten Journalisten, dass ihre Arbeit in jedem Falle ehrenwert und in Ordnung sei? Schwieriger dürfte ohnehin sein, was warum es nicht in die Mainstream-Medien schafft: zu wenig spektakulär? den wirtschaftlichen Interessen widersprechend? Keine Transparenz. Eine Ahnung davon, dass dieser Anteil gross sein könnte, geben allenfalls einige marginale Nischenmedien.
Womöglich zentralere Fragen wären: Dient die Aufregung rund um Wikileaks gerade in Demokratien als Vorwand für die weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit? für mehr staatliche Kontrolle? Unabhängig davon, ist den Journalisten alter Schule überhaupt bewusst, was alleine schon bspw. in Deutschland abgeht? Gibt es hierüber keine Berichterstattung, weil die intransparente Selektion wirtschaftlichen Interessen folgt? also a priori "richtig" ist? Und wäre es nicht zentral, die Frage zumindest zu diskutieren, ob Missetaten, auch wenn von demokratischen Staaten verübt, bestraft werden sollten oder aber diejenigen, die sich "erfrechen", solche dem Publikum bekannt zu machen?
Das soll Assange oder Wikileaks weder verteidigen noch verdammen. Diplomatische Depeschen zu veröffentlichen kann problematisch sein, obschon gerade hier kaum wirkliche Enthüllung geschah. Zu diskutieren wären wie gesagt eher Veröffentlichungen von dem, was Staaten an Grausamkeiten verschweigen. Und ja, nicht nur von Demokratien. Allerdings ist es bezeichnend, dass hier gerade Staaten, die nicht unserer Vorstellung von Demokratie entsprechen, "uns" wohl nicht ganz zu unrecht angreifen.
Der republikanische, streitbare US-Parlamentarier Ron Paul gab mit seinem getwitter "In a free society, we are supposed to know the truth. In a society where truth becomes treason, we are in big trouble" einen Denkanstoss zu einer mutmasslich wichtigen Frage. Wohl zu unbequem, sie aufzugreifen?
Zum wenig innovativen Abschreiben von angeblich zentralen Fragen kommt hinzu - glücklicherweise nicht in diesem Artikel - dass Autoren, selber wohl meistens digitale Migranten, sich kaum die Mühe nehmen, sich über Technik & Medienverhalten neuerer Medien zu orientieren oder weiterzubilden. Beispielsweise wird DDoS als "Hacking" bezeichnet und man schreibt es einander ab. Hacking klingt schliesslich spektakulärer.
Es ist erschütternd, wie einseitig gerade gestandene Journalisten auf Wikileaks und Assange reagieren. Es ist erschütternd, wie hier eine grossartige Bewegung leichtfertig abgetan und lächerlich gemacht wird. Ihre Reaktion Herr Meier macht einmal mehr klar, wie dringend wir eine Organisation wie Wikileaks brauchen und wie dringend wir weltweit einen Journalismus brauchen, der über das gegenseitige Abschreiben und den Agenturjournalismus hinausgeht.
Denn was Sie hier geschrieben haben, kann man so oder ein bisschen anders in manch anderem Medium auch lesen. Nichts Neues und nichts Spannendes, nur das übliche Lächerlich machen.
Es war keine "spektakuläre Verhaftung", sondern der "halbseidene Assange" hatte sich gestellt. Nicht er hat sich produziert, sondern die Medien haben den Scheinwerfer auf ihn gerichtet anstatt auf die Veröffentlichungen von Wikileaks.
"Wissen aufgeklärte Bürger nicht, dass diplomatische Höflichkeiten im internationalen Umgang den eigenen Interessen mitunter besser dienen, als ungeschönter Klartext?" - Nein, die meisten Menschen wissen wenig darüber, weil sie darüber nicht aufgeklärt werden. Die Aufklärung, Herr Meier, sie hat sich schon lange satt und stumm gebummst. So ist das.
Ja, da sind weniger Dokumente, von repressiven Staaten, wie Russland oder China. Nur - über diese Staaten weiss die Öffentlichkeit bereits einiges. Aber wenn so genannte Demokratien kriminell handeln, ist es etwas anderes.
Journal21? Ich würde mehr erwarten. Es ist zuweilen so müde und beliebig, wie die meisten anderen Print- und sonstigen Produkte. - Fragt Ihr Euch nicht, warum die Medien heute in dem Zustand sind, in dem sie sind. Selbstreflexion, Selbstkritik, eine Auseinandersetzung mit Eurer Arbeitsweise? Warum mehr und mehr Menschen ausweichen auf andere Informationsquellen? - Einfach Journalismus weiter betreiben, wie Ihr es Euch gewohnt seid?
Hier für Sie zwei Quellen, die etwas anders mit der Thematik umgehen:
http://www.drs.ch/www/de/drs/sendungen/top/tagesgespraech.html http://wikileaks.ch/video.html
In der Hoffnung, dass Sie sich wenigstens die Mühe nehmen, auch diese Sichten zu berücksichtigen und dabei auch einen journalistischen Mehrwert bekommen.
Wir dürfen gespannt sein auf die wichtigen Leaks aus schwedischen Betten. Hollywood wird Freude haben.
Da kommen natürlich neue Fragen auf.Ist Wikileaks eventuell der infiltrierte verlängerte Arm der Geheimdienste? Seine Anklägerin in Schweden ist ja mit grösster Wahrscheinlichkeit eine Agentin der CIA( Sie war mehrmals in Kuba und hat mit den Contras gegen Fidel Castro gearbeitet und eine Publikation herausgegeben. Die Contras werden vom CIA finanziert!)Also! Sollte das Ziel eine totale und legitimierte Kontrolle des Internets und die daraus resultierende Untergrabung der westlichen demokratischen Verfassungen sein,(freie Informations und Meinungsäusserung )dann wäre der Schachzug so genial wie der Krieg gegen den Terror oder die künstlich angefachte Finanzkrise.Die bis jetzt eher banalen Skandale können die mit links verkraften.Denkt daran, die Welt hat sich langsam aber stetig an die schlimmsten Sachen gewöhnt und nimmt es hin ohne grosse Aufregung..........Hey.....Die wissen das! Bis die Leute endlich schalten,habt ihr den Faschismus!
Herrn Assange werden desöfteren narzisstische Bedürfnisse unterstellt. Da muss doch die Frage erlaubt sein, wem kann man das noch unterstellen? Der Narzissmusvorwurf ist - heutzutage - lediglich ein Allgemeinplatz und Ausdruck einer billigen Küchentischpsychologie.
Nick H.